Unterwegs:Das Tempo einer Sommernacht

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Nachts auf der Autobahn: Zeitlos driftet man durch das dunkle Universum, immer dem Licht hinterher. Doch wie schnell ist schnell genug?

Von Richard Christian Kähler

Die Autobahn erstreckt sich tiefschwarz und entspannend leer. Ein paar rote Lichterpaare voraus, ein paar weiße auf der Gegenseite, der Rest nur man selbst und der magische Kegel des Scheinwerferlichts. Der Tank ist voll, die Heimat noch ein Stück entfernt, doch keiner wartet dort auf einen. Zeitlos driftet man durch das dunkle Universum, immer dem leuchtenden weißen Strahl hinterher.

Wenn man in einer lauen Sommernacht so über die Bahn zieht, kann es vorkommen, dass man sich zur Entspannung ein Leittier sucht, wie den Führenden im Rennradpulk. Und dass man sich an einen langsam Überholenden oder Vorausrollenden hängen und ihm die Führung durch die Nacht anvertrauen möchte. Oft aber ist das Schlafmützchen vor einem doch zu trantütig für die eigene Stimmung, ein anderer Überholer wieder zu testosterongetrieben.

Und welches Tempo ist uns Menschen überhaupt zuträglich? Ein britischer Arzt prophezeite bereits vor fast 200 Jahren "Es ist dem Menschen unmöglich, die hohen Geschwindigkeiten der Eisenbahn zu ertragen. Sein Atmungssystem wird zusammenbrechen, Tod durch Lungenbluten wird die Regel sein" und hat bis heute unrecht.

"75 Stundenkilometer! Das ist das ideale Fahrtempo!", schwört mein alter Lastwagenmeister Hans. Er lenkt einen getreuen kleinen Dieseltransporter, der auch unbeladen nicht viel mehr schaffen würde. "Ideal, um die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten, aber sie trotzdem auch noch geistig verdauen zu können! Und die Seele bleibt bei diesem Tempo im Gegensatz zu einem Flugzeug auch noch im Körper!"

Aber was ist mein persönliches Idealtempo durch die Nacht? Im Moment finde ich, es gibt nichts Entspannenderes, als mit sagenhaften 90 im sanft flatternden Restwindschatten eines Trucks dahinzurollen. Wäre da nicht immer diese leise Angst aus einst untermotorisierten Zeiten, ein zweiter Riesenbrummer käme von hinten aufgerückt, und man Winzling würde zwischen den beiden Monster mir nichts, dir nichts zusammengedrückt und im Straßengraben entsorgt. Nun gut, dann eben alleine fahren.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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