Unrealistischer Normverbrauch:Die Tricksereien werden immer ausgefeilter

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Im Alltag ist der Kraftstofftank eines Autos meist schneller leer, als er es laut Normverbrauch sein sollte.

(Foto: dpa)

Neuwagen schlucken in der Praxis viel mehr Sprit, als von den Herstellern angegeben. Neue Testmethoden sollen den Schwindel bei der Verbrauchsermittlung beenden. Doch in der Realität dürfte das Gegenteil der Fall sein.

Von Joachim Becker

Überraschend kam die Meldung des International Council on Clean Transportation nicht: "Der Unterschied zwischen dem offiziellen und realen Kraftstoffverbrauch erreicht einen neuen Höchstwert", gab das ICCT bekannt. "Noch vor zwei Jahren lag die durchschnittliche Abweichung des Realverbrauchs bei 25 Prozent. Heute sind es bereits 31 Prozent für Privatfahrzeuge und mehr als 40 Prozent für Firmenfahrzeuge", erklärte Peter Mock, Geschäftsführer der unabhängigen Forschungsorganisation.

Die Untersuchung nutzt eine breite Datenbasis, die sich unter anderem aus Erhebungen von Leasingfirmen speist: "Unsere Analyse beruht auf dem tatsächlichen Fahrprofil von mehr als einer halben Million Pkw in ganz Europa, sowohl von Privat- als auch Firmenfahrzeugen", betont ICCT-Experte Mock.

Härtere Sitten in den USA

Wie an dieser Stelle schon mehrfach berichtet, besteht kein Zweifel daran, dass die Realverbräuche immer stärker von den sinkenden Normwerten abweichen. Verbraucherschützer und Umweltverbände bemängeln seit Langem, dass der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), nach dem der Normverbrauch eines Autos ermittelt wird, die realen Alltagsbedingungen nur in den seltensten Fällen abbildet.

In den USA mussten Mini, Mercedes und Hyundai bereits ihre Verbrauchsangaben korrigieren und die Käufer auf Druck der Umweltbehörde EPA entschädigen. Doch in Europa gibt es keine nachträglichen Tests, nachdem neue Modelle in einem zertifizierten Durchlauf gemessen wurden.

Umstrittener Testzyklus

Als die NEFZ-Norm 1997 eingeführt wurde, stand eine saubere Verbrennung im Vordergrund: Motoren müssen heute die EU-6-Abgasnorm einhalten. Weil der NEFZ das Gesamtfahrzeug nur am Rande berücksichtigt, können die Autohersteller einige Schlupflöcher nutzen: Klimaanlagen, Sitzheizungen und temperierbare Scheiben gehören heute zwar ebenso zum Standard der meisten Neuwagen wie Radio, Navigationsgerät oder Fahrerassistenzsysteme. Trotzdem dürfen die spritzehrenden Helferlein bei der Verbrauchsmessung abgeschaltet bleiben.

Umstritten ist der rund 20-minütige NEFZ-Testzyklus auch, weil er hauptsächlich einen städtischen Fahrmodus mit vier Ampelstopps simuliert: Das Durchschnittstempo liegt bei 33,6 km/h, eine Autobahnpassage auf dem Prüfstand dauert ganze 400 Sekunden und erreicht höchstens 120 km/h. Im Testlabor wird nur moderat beschleunigt und die Temperaturen dürfen bis zu 30 Grad Celsius betragen: Ideal für niedrige Verbrauchswerte, denn gerade Dieselmodelle müssen die Abgasnachbehandlung bei häufigen Kaltstarts mit zusätzlichem Kraftstoff auf Touren bringen. Insgesamt legt ein Auto während seiner Modelltyp-Prüfung nur elf Kilometer auf dem Rollenprüfstand zurück. Eine moderne Motorelektronik erkennt den Testlauf und dosiert die Kraftstoffversorgung entsprechend mager.

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