Bildband "Ultimate Collector Motorcycles":Die fliegende Merkel

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Die Flying Merkel von 1914 hat Fahrradpedale anstelle von Fußstützen. (Foto: Taschen)

Ein prächtiges, zweibändiges Buch inszeniert stilbildende Motorräder als Kunstwerke.

Rezension von Stefan Fischer

Man kann von der Bundeskanzlerin a. D. denken, was man möchte. Aber dass sie dem Bestseller-Autor David Safier herhalten muss als schrullige Hauptfigur seiner betulichen Uckermark-Krimis, als biedere Mutti Miss Marple, wenn man so möchte - das ist durchaus niederschmetternd. Um wie viel schmeichelhafter ist da der Umstand, dass es ein knallorangefarbenes Motorrad gibt, das "Die fliegende Merkel" heißt, "The Flying Merkel"? Auch wenn das ein Schmücken mit fremden Federn ist.

Denn The Flying Merkel wurde bereits 1914 konstruiert. Da hieß Angela Merkel noch nicht Merkel und war obendrein längst nicht geboren. Entworfen hat das Motorrad Joseph Merkel aus Milwaukee, Wisconsin. Der war ein begabter Tüftler und einflussreicher Pionier der aufkommenden Motorradindustrie. Er entwickelte für seine Maschine ein System, das die Abgase weg von den Fahrern blies. Bis dato knatterten die oft durch den selbstproduzierten Qualm. Und The Flying Merkel hatte zwei Gänge, ein Novum zu dieser Zeit.

The Flying Merkel ist eines von hundert Motorrädern, die Charlotte und Peter Fiell in ihr zweibändiges, englischsprachiges Prachtbuch "Ultimate Collector Motorcycles" aufgenommen haben. Auf knapp tausend Seiten zeigt es bemerkenswerte Bikes, viele von ihnen sind für Rennen gebaut worden und befinden sich heute in wichtigen Sammlungen. Bei einigen von ihnen handelt es sich um Einzelstücke, von anderen wurden nur wenige Dutzend oder allenfalls einige Hundert gebaut.

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Dass Motorrädern von Sammlern ein hoher Wert beigemessen werde, sei ein relativ neues Phänomen, schreibt der frühere Late-Night-Talker Jay Leno in seinem Vorwort. Vor dreißig oder vierzig Jahren noch sind alte Maschinen oftmals bei Auktionen verkauft worden, bei denen es vor allem landwirtschaftliches Gerät zu ersteigern gab. Erst die Ausstellung "The Art of the Motorcycle" in den Neunzigerjahren im New Yorker Guggenheim-Museum habe daran etwas grundlegend geändert. Es war die bis dato bestbesuchte Schau in der an gut besuchten Ausstellungen nicht armen Geschichte dieses Museum. Leno selbst sammelt leidenschaftlich Oldtimer, sowohl vier- als auch zweirädrige. Er ist insofern ein denkbar geeigneter Gewährsmann für diese opulente Präsentation.

Besonders spannend sind die Anfangsjahrzehnte, in denen sich noch keine Normen durchgesetzt hatten und in denen stattdessen viel experimentiert und improvisiert werden musste. Die ersten Motorräder waren getunte Fahrräder, und es dauerte bis in die 1910er-Jahre, ehe sich die Motorradindustrie einigermaßen von der Fahrrad-Produktion emanzipiert hatte. Auch The Flying Merkel hatte noch Fahrradpedale anstelle von Fußstützen.

Das Suzuki-Rennmotorrad des Weltmeisters Barry Sheene von 1976. (Foto: Suzuki)

Insofern ist das erste Viertel dieser Edition auch eine Art Kuriositätenkabinett. Da gibt es Geschwindigkeitsmesser, bei denen sich nicht die Tachonadel, sondern die Tachoscheibe bewegt. Bikes mit Lenkrädern und wohnzimmersesselartigen Sitzen - das Wilkinson TAC Model A von 1909. Beim Megola-Sport-Tourer, einem deutschen Fabrikat von 1921, ist der Motor im Vorderrad verbaut. Und von Anbeginn wurde groß gedacht, was in diesem Fall heißt: in Geschwindigkeit und Rekorden. Die amerikanische Curtis V8 Land Speed hat, wie ihr Name verrät, einen Achtzylinder-Motor. Die Spitzengeschwindigkeit wird mit 219 Kilometern pro Stunde angegeben. Gebaut hat das Höllengefährt Glenn H. Curtiss - im Jahr 1907.

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An dieser sehr speziellen, exquisiten Kollektion lässt sich nichtsdestotrotz die Geschichte des Motorradbaus ablesen. Die Motorisierung von Fahrrädern als Startpunkt von zunächst sehr vielen kleinen Herstellern, vor allem aus den USA, Großbritannien und Deutschland. Dann Konzentrationsprozesse und Verdrängungswettbewerbe. Irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg kommen dann sehr massiv italienische Fabrikate hinzu und schließlich auch japanische.

Inszeniert werden die Maschinen als Kunstwerke, wie Skulpturen sind sie ausgestellt, zum Bestaunen und auch zum Fachsimpeln. Bei aller Zweckmäßigkeit spielt ziemlich schnell auch das Design eine wesentliche Rolle. Es gibt Maschinen, die alles zeigen, was sie haben, die ganze Mechanik liegt offen zutage. Andere sind verkleidet und machen sich damit geheimnisvoll. Bei der Majestic 350 sieht diese Verkleidung beinahe aus wie eine Autokarosserie aus dieser Zeit Anfang der Dreißigerjahre. Die Henderson KJ Streamline Custom sieht, nicht nur aus der Perspektive des Baujahres 1934, extrem futuristisch aus. Und die braune Hülle, in der die italienische Moto Major Prototype von 1947 steckt, wirkt, als sei das Material nicht Metall, sondern ein dunkles Rindsleder. Und so bedient das Buch nicht nur Technikfreaks, sondern auch Ästheten.

Charlotte und Peter Fiell : Ultimate Collector Motorcycles. Taschen Verlag, Köln 2023. Zwei Bände, 940 Seiten, 250 Euro.

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