Test:Vom Baum zum Bike

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Holz findet im Fahrradbau immer öfter Verwendung - so auch bei einem Pedelec von My Esel aus Österreich, das sich rasant beschleunigen lässt.

Von Felix Reek

Es beginnt gleich beim Auspacken: "Was ist das?", fragt ein Kollege der Postabteilung. "Ist das Holz?" Ist es. "Hat das einen Motor?" Ja, hat es. Ein anderer Kollege will das Pedelec im Aufzug hochheben, der nächste fragt, ob er den Rahmen anfassen darf. Auf der Straße an der Ampel lächeln Menschen. Einfach so. Das österreichische Start-up My Esel hat beim Design seines Fahrrads offensichtlich alles richtig gemacht. Und weckt allein mit der Wahl des Rahmenmaterials Sympathien.

Die Idee ist nicht neu: Das erste Laufrad von Karl Drais vor mehr als 200 Jahren bestand aus Holz. Danach verdrängten Metallrahmen den Werkstoff. Die waren leichter und billiger herzustellen. Mit dem Boom des Fahrrads als Alternative zum Auto und zu öffentlichen Verkehrsmitteln kehrt Holz aber seit einigen Jahren verstärkt zurück. Gerade kleine Firmen und Gründer setzen darauf, die Liste ist mittlerweile lang: Lagomorph, Connor, Sandwichbike, Grainworks, My Boo, sie alle verwenden Holz oder Bambus für ihre Rahmen.

Christoph Fraundorfer von My Esel aus Österreich kam 2014 auf die Idee - aus reiner Not: "Ich bin sehr groß, 1,95 Meter, hab' lange Beine, und vieles, was ich kaufe, passt einfach nicht." Maßfertigungen als Serienproduktion gibt es in der Radbranche kaum und wenn, sind sie teuer. Also baute er selbst den ersten Prototypen. Dass dafür nur Holz infrage kam, war dem Architekten schnell klar: "Es hat die perfekten Eigenschaften für den Fahrradbau, war in den letzten Jahrzehnten aber wirtschaftlich einfach zu teuer. Das hat sich jetzt durch Automatisierung und Digitalisierung geändert." Holz ist steif, es dämpft Vibrationen und wer einen Rahmen auf Maß schneidern will, braucht keine neuen Maschinen, sondern passt einfach den Wert beim Fräsen an.

Ein echter Blickfang: Der Holzrahmen des Modells E-Cross von My Esel fällt sofort auf – und weckt bei vielen Sympathien. (Foto: max.ones photography/My Esel)

Das merkt man auch beim E-Cross, dem Test-Fahrrad, das so viele Blicke auf sich zieht. Rein vom Fahrkomfort unterscheidet sich das Pedelec nicht von seinen Konkurrenten aus Stahl, Alu oder Carbon. Für ein Fahrrad mit Elektromotor ist es sogar relativ leicht: 19 Kilogramm wiegt das My Esel. Erreicht wird dies durch eine breite Rahmenkonstruktion, die innen hohl ist. Das reduziert Gewicht und nebenbei können dort die Züge für Bremsen und Schaltung verlegt werden. Auch der Akku ist dort verborgen. Das sieht schick aus, hat aber natürlich den Nachteil, dass die Batterie nicht entnommen werden kann, um sie zu laden. Der Anschluss befindet sich etwas versteckt an der Unterseite des Rahmens, kurz vorm Tretlager. Wer sich ein Pedelec von My Esel zulegt, braucht also einen Stromanschluss im Fahrradkeller - oder muss es in seine Wohnung tragen.

Dafür bekommt er ein Rad, dessen Rahmen lokal und nachhaltig produziert wird. Die Hölzer stammen ausschließlich aus Österreich. Kernesche ist eines davon, beim Rennrad ist es Pablonia, das leichter ist. Hergestellt wird der Rahmen im Plattenverfahren, mehrere Schichten fungieren als Verbund. Das ist eine Technik, die aus der Fertigung von Skiern bekannt ist. Doch wie ist es mit dem Schutz des Rahmens? Sieht der nach ein paar Jahren draußen immer noch so schick aus? Das garantiert zumindest der Hersteller. Eine spezielle Vierfach-Versiegelung schützt das Holz vor Witterung und Abplatzern. Sollte tatsächlich einmal durch einen Unfall eine große Schramme auftreten, lässt sich das nachbessern. Der Kurztest nach einigen Tagen im Regen zeigt zumindest - dass sich nichts zeigt. Der Rahmen des E-Cross sieht aus wie vorher. Anfälliger als das Holz dürften eher die Federgabel, die siebenstufige Kettenschaltung und die restlichen Teile sein, die von den üblichen großen Herstellern der Branche stammen wie Shimano.

Das Alleinstellungsmerkmal des My Esel bleibt aber sein Rahmen und seine Möglichkeit, ihn individuell auf den Fahrer anzupassen. Eine von den Österreichern entwickelter Konfigurator errechnet aus der Körper-, Schuh- und Unterschenkelgröße den optimalen Wert für den jeweiligen Fahrer. Das kostet allerdings extra: 500 Euro berechnet My Esel Aufpreis für den persönlich abgestimmten Rahmen, die Lieferzeit liegt zwischen vier und fünf Wochen. Etwas, für das nicht jeder extra zahlen will: Drei Standardgrößen decken Körpergrößen zwischen 1,60 und 1,90 Meter ab. Das drückt den Preis bei den normalen Fahrrädern auf 2000 Euro.

Die Hölzer für die Räder stammen ausschließlich aus Österreich. Kernesche ist eines davon, beim Rennrad ist es Pablonia. (Foto: max.ones photography/My Esel)

Mittlerweile verkauft My Esel aber vor allem Pedelecs, etwa 80 Prozent der Räder werden laut Fraundorfer mit Elektromotor geordert. Die sind deutlich teurer: Das E-Cross zum Beispiel kostet mindestens 3500 Euro, was aber durchaus branchenüblich ist. Empfehlenswerte Pedelecs großer Hersteller gibt es ab 2000 Euro. So sportlich wie das My Esel E-Cross fahren die sich aber in den meisten Fällen nicht. Der 250 Watt starke Motor sitzt an der Hinterradnabe; er sorgt für einen Schub sorgt, den sonst nur die Fahrer von E-Autos kennen. Dazu muss man die höchste der fünf elektrischen Stufen am kleinen Display links am Lenker wählen, einen niedrigen Gang einlegen, treten und beobachten wie Autofahrer und andere Radler verdutzt schauen. Innerhalb weniger Sekunden beschleunigt das My Esel auf Tempo 25, mehr erlaubt der Gesetzgeber eh nicht.

Die Wahl dieses Konzepts hat aber den Nachteil, dass sich jenseits dieser Geschwindigkeit alles ein wenig mühsam anfühlt. Nicht, weil das My Esel schwer fortzubewegen wäre. Selbst ohne Motorunterstützung tritt es sich wie ein normales Fahrrad. Sondern weil die Fortbewegung mit E-Antrieb so einfach und kräftesparend ist, dass es geradezu ein kleiner Schock ist, wenn dieser sein Maximaltempo erreicht hat und tatsächlich Muskelkraft eingesetzt werden muss, um höhere Geschwindigkeiten zu erreichen. Das ist aber natürlich Geschmacksache. Die einen bevorzugen eine möglichst subtile Unterstützung, andere wollen den Elektromotor auch spüren. Für letztere dürfte ein My Esel genau das richtige Pedelec sein. Jede Menge Aufmerksamkeit und Sympathie auf der Straße inklusive.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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