Fahrrad-Vergleichstest:Dreierlei vom Rennrad

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Von oben nach unten: Das Endurance-Rad Trek Domane, das Race-Bike S-Works Tarmac von Specialized und das Aeroad von Canyon. (Foto: Hersteller)

Race-Bike, Aero-Rad oder Marathon-Rennrad: Vor allem Einsteiger sind verwirrt über die vielen neuen Produktkategorien. Der Vergleichstest klärt, welches Velo zu welchem Radlertypen passt.

Von Sebastian Herrmann

Rennradfahrer verhalten sich oft wie Fashionfreaks, die ständig diesen einen Satz zitieren: "Ich habe nichts anzuziehen!" Genauso denkt und spricht der Rennradfan, der bereits ein ganzes Arsenal feiner Fahrräder besitzt und trotzdem sagt: "Für die nächste Tour fehlt mir wirklich diese eine, ganz genau passende Rad." Die Fahrradindustrie befeuert dieses nagende Gefühl, indem sie jedes Jahr neue Rennrad-Kollektionen auf den Markt bringt, die sich weiter ausdifferenzieren. Die Hersteller haben in den vergangenen Jahren ihre Produktpalette in zahlreiche Kategorien zerlegt und so weit verfeinert, dass zumindest viele Neulinge im Rennradwesen verwirrt sind.

Im Wesentlichen bieten die Hersteller Rennräder in drei großen Kategorien an. Das Race- oder Wettkampf-Segment besteht aus den klassischen Rennrädern. Die Sitzposition auf diesen Rädern ist durch ein verhältnismäßig langes Oberrohr und einen tiefen Lenker gestreckt, so dass der Radlerleib flach über dem Rahmen hängt; er soll dem Gegenwind möglich wenig Angriffsfläche bieten. Der Radstand ist meistens kurz, damit sich das Rad wendig fährt und auf kleinste Lenkimpulse reagiert. Der Lieblingswert vieler Rennradler, das Gewicht, spielt in diesem Segment die größte Rolle, am besten nahe an den sechs Kilogramm - je leichter, desto besser, desto teurer. An diesen Rädern sind meist größere Übersetzungen verbaut, vorne eine Kurbel mit 52/36 Zähnen, hinten gerne ein Ritzelpaket, das Zahnräder mit 11 bis 28 Zähnen bündelt.

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Das Gravel Bike hat einen Lenker, der fast zu schweben scheint und besser federn soll. Doch in Wahrheit ist es wie im Tierreich: Er dient vor allem der Show.

Von Sebastian Herrmann

Seit einigen Jahren haben viele Firmen ihre Palette um Aero-Räder erweitert, aerodynamisch optimierte Renner. Nun ließe sich einwenden, dass der Radler auf dem Sattel dem Wind die größte Angriffsfläche bietet. Doch am Körperbau lässt sich nur mit großer Mühe etwas machen. Diese Räder sind meistens etwas schwerer als jene aus dem Race-Segment, um die sieben Kilogramm oder mehr. Die Rohre der Rahmen sind breit und flach, so dass der Wind gut an ihnen vorbeiströmt. Auch Lenker, Gabel und Sattelstütze sind auf windschnittige Eigenschaften getrimmt, die Laufräder mit hohen Flanken ausgestattet, die Sitzposition ist gestreckt. Ob es das für den Hobby-Fahrer bringt? Es treibt die Beine schon an, wenn das Gefühl, auf einem schnellen Rad zu hocken, die dicken Gänge dieser Räder mitkurbelt. Und vielleicht bringt die günstige Aerodynamik bei Spitzengeschwindigkeiten einen kleinen Vorteil, der aber vor allem für Wettkämpfer relevant wäre.

Für Einsteiger ins Rennradwesen empfehlen die Hersteller Modelle aus ihrer Endurance- oder Marathon-Palette, in diesem Segment verkaufen sie ihre größten Stückzahlen. Sie haben einen längeren Radstand, sodass sie ruhiger rollen und nicht hektisch auf kleinste Lenkbewegungen reagieren. Die Sitzposition ist im Vergleich aufrecht; so lässt es sich länger im Sattel aushalten, ohne dass zum Beispiel Schmerzen in der Schulterpartie den Ausritt sabotieren. Marathon-Renner verfügen oft über einen etwas breiteren Lenker, der zusätzliche Kontrolle verleiht. Dämpfungselemente im Rahmen verringern Erschütterungen und auch die verhältnismäßig breiten Reifen reduzieren Stöße. Im Marathonsegment haben sich Scheibenbremsen schon weitgehend durchgesetzt. Die Übersetzung ist oft so gewählt, dass sie für Berge ausgelegt sind: Vorne mit einer 50/34-Kompaktkurbel, hinten mit Ritzelpaketen mit 11-30 oder 11-32 Zähnen. Mit diesen Rädern lässt sich auch über kurze Schotterwege radeln, dafür sind sie auf Asphalt ein kleines bisschen weniger rasant als Räder aus den anderen Kategorien.

Und jetzt? In jeder dieser Kategorien verkaufen die Hersteller so viele Modelle, dass sich mit ihnen die Garage vollstopfen lässt wie ein überfüllter Kleiderschrank. Der folgende Kurztest eines exemplarischen Modells aus jeder der drei Kategorien beantwortet die Frage, welches Rennrad für welchen Radfahrertypen das passende ist.

Das Race-Rad muss sich auf einer Tour von München zum Gardasee beweisen. In der Gruppe sind einige sehr starke Radler, im Streckenprofil sind viele flache Passagen und zwei Pässe. Das Specialized Tarmac S-Works ist eigentlich ein Race-Bike, aber es taugt hervorragend als schnelles Allround-Rennrad. Die Sitzposition ist sportlich, aber nicht schmerzhaft-extrem, man hält es gut stundenlang auf diesem Rad aus. Dazu trägt auch der Lenker bei, der sehr gut in der Hand liegt - das Rohr hat einen guten Durchmesser, das Lenkerband greift sich sehr angenehm. Im rechten Ende des Lenkerrohrs ist die Steuereinheit der elektronischen Shimano-Di2-Schaltung integriert, die Ladebuchse ist dadurch frei und ohne Fummelei zugänglich - eine schöne, saubere Lösung.

Tarmac SL6 Superlight; S-Works Tarmac (Foto: Specialized)

Ausgestattet ist das S-Works-Tarmac mit einer Dura-Ace-Schaltgruppe von Shimano und verfügt über eine weite Übersetzung-Palette: Vorne eine 52/36-Kurbel, hinten hat das größte Ritzel 30 Zähne. Damit lässt sich in der Ebene schön Tempo machen und eine Fahrt auf einen Pass ohne größere Leiden absolvieren.

Bergab rollt das 6,4 Kilogramm leichte Rad wirklich fantastisch. Das Tarmac nimmt auf dieser Tour auch ohne Windschatten stets so viel Tempo auf, dass es an fast allen anderen Radlern in diesem Rudel vorbei zieht - so lange niemand tritt. Auf die Roval-Karbon-Laufräder mit hohen Flanken sind 28-Millimeter-Reifen montiert, verblüffend breit für diese Rennradkategorie. Aber gut, es rollt großartig und die dicken Gummis erhöhen den Komfort. Nur die Kombination aus Felgenbremsen und Karbonlaufrädern ist nicht immer optimal. Die Bremswirkung ist sehr ordentlich, dafür sind die Bremsen laut, hinterlassen deutliche Spuren auf den Flanken und verzögern nicht immer gleichmäßig: Sobald die Beläge leicht abgefahren sind, ergibt es beim Bremsen manchmal ein ruckeliges Gefühl.

Den Rahmen hat Specialized aerodynamisch verbessert, am offensichtlichsten ist das an der abgeflachten Gabel. Das Rad fährt sich agil und vermittelt stets das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, auch bei hohem Tempo. Kein Wunder, dass das Tarmac schon lange ein Klassiker ist.

Das Einstiegsmodell kostet 1899 Euro, das (getestete) Top-Modell 9999 Euro.

Vor der Startnummernausgabe bei einem Rennrad-Marathon. Die Kumpels sind in der Halle verschwunden, um die Unterlagen abzuholen - Rückennummern, Transponder, Streckenführung und den ganzen Werbequatsch. Einer aus dem Rudel bleibt draußen, bewacht die Räder und beobachtet, wie fast jeder andere Rennradler auf dem Weg in die Halle kurz stehen bleibt und dieses eine Rad in Knallrot und Tiefschwarz betrachtet, nein, begehrt. Aero-Renner verfügen über die aggressivste, auffälligste Optik, die Geräte sehen nach Tempo-Maschinen aus.

Das Canyon Aeroad CF SLX Disc 8.0 Di2 für mindestens 3999 und maximal 6899 Euro (Foto: Canyon)

Das Canyon Aeroad CF SLX Disc 8.0 Di2 findet viele Bewunderer, bis die anderen mit den Startnummern zurück sind. Am auffälligsten ist der Rahmen, der streng geometrisch aussieht - ein Teil des Sattelrohrs ist schwarz, sodass er optisch fast verschwindet. Zweiter Hingucker sind die Reynolds-Karbon-Laufräder mit 62 Millimeter hohen Flanken, die während der Fahrt einen übel-gefährlichen Sound von sich geben. Eine Art aggressives Summen, als flöge da ein Schwarm Hornissen an - großartig. Lenker und Vorbau sind aus einem Stück, abgeflacht wie das Höhenruder eines Flugzeugs.

Ausgestattet ist das Modell mit der elektronischen Shimano-Ultegra-Di2-Schaltgruppe und den dazugehörigen Scheibenbremsen, die griffig und sicher verzögern. Auf diesem Rad fühlt man sich automatisch schnell und es fährt sehr gut, eher ruhig vom Lenkverhalten und zackig, sobald man etwas Fahrt aufnimmt. Nur bei starkem Seitenwind bricht leichte Sorge aus, die hohen Flanken der Laufräder und die breiten Rohre bieten viel Angriffsfläche.

Ein kleiner Haken bei Aero-Rädern ist, dass manche Kleinigkeiten recht fummelig sind - schließlich wird alles versteckt, verkleidet, verbaut, was den Luftwiderstand erhöhen könnte. Um das Ladegerät an die kleine Box der Schaltung unter dem Lenker zu stecken, braucht es etwas Gefühl. Die Klemme der Sattelstütze ist einen Tick zu nahe an der Stütze, so dass sie zumindest mit einem Multitool etwa fummelig zu bedienen ist. Und die Ventilverlängerungen, die wegen der hohen Felgenprofile aufgeschraubt wurden, funktionieren zwar, aber nicht sehr geschmeidig. Ansonsten stimmt an diesem etwa 7,5 Kilogramm schweren Rad alles. Ach ja, eine Sache noch, in den Worten eines Bekannten: "Wer auf diesem Rad unterwegs ist, sollte Radfahren können." Da ist was dran.

Das Aeroad-Einstiegsmodell kostet 3999, das Topmodell 6899, die getestete Variante 4999 Euro.

Am Schotterweg begannen stets die Schmerzen und die Sorgen: Würde das Rennrad diese Tortur aushalten? Und wenn ja, wie sehr würde es weh tun, hier auf dünnen Reifen und dem bockharten Rahmen über die Steine zu rumpeln? Die Antwort auf die letzte Frage lautet meist: Sehr, es wird sehr weh tun. Viele Hersteller haben mittlerweile jedoch Modelle im Angebot, auf denen eine Fahrt über holprigen Untergrund keine große Sache mehr ist. Dazu zählt auch das Trek Domane SL8, das das Marathon-Segment fast schon in Richtung Gravel Bike interpretiert.

Das Trek Domane SL8 Disc für mindestens 2199 und maximal 5499 Euro. (Foto: Jake Ausel)

Die Sitzposition auf diesem Rad ist aufrechter als bei den Vergleichsrädern. Das bietet Komfort, kostet aber Tempo und Beschleunigung. Ohnehin liegt das Hauptaugenmerk dieses Rades auf Komfort: Die Bontrager-Karbon-Laufräder sind mit 32 Millimeter breiten Reifen bestückt, die schon einmal die meisten Erschütterungen wegschlucken. Dazu verfügt das Domane über das IsoSpeed-Dämpfungssystem. Die Sattelstange ist dazu mit Hilfe eines Gelenks vom Oberrohr des Rahmens entkoppelt. Das reduziert die Wucht der Stöße bei ruppigem Untergrund deutlich. Am Vorbau haben die Trek-Ingenieure ebenfalls eine Art Federung mit integriert - allerdings wäre die ohne das Wissen über ihre Existenz unbemerkt geblieben. Trotzdem ist das Domane ein Rennrad, dass sich fast wie ein Crosser über Schotterpisten steuern lässt. Am Rahmen befinden sich Aufnahmen, um Schutzbleche zu montieren.

Das Rad wiegt etwa 7,7 Kilogramm, fährt sehr ruhig und stabil, wirkt dafür aber auch etwas träger als die Race-Konkurrenz. Das Trek Domane mit Dura-Ace-Schaltung mit 50/34-Kompaktkurbel und Scheibenbremsen ist ein Wald-Wiesen-Asphalt-Allround-Reiserennrad, auf dem man ein kleines bisschen zu entspannt sitzt.

Das Einstiegsmodell kostet 2199 Euro, die (getestete) Spitzenvariante SL8 Disc kostet 5499 Euro.

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