Neuer Renault Clio:Langweilig perfekt

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Clever, kauzig und mit viel Charakter: Französische Autos waren einst herrlich individuell. Inzwischen sind sie aalglatt und wollen perfekt sein. Auch der neue Renault Clio ist so ein gutes, langweiliges Auto. Was soll man davon nur halten?

Oskar Webe

Ja, ja, die Franzosen. Schleppen prügelförmige Langbrote in braunen Papiertüten umher, trinken abwechselnd Rot- oder Weißwein dazu und schützen sich mit Baskenmützen vor der latenten Gefahr, der Himmel könnte herabstürzen. Lange Zeit sind die Gallier gut gefahren mit ihren liebenswerten Eigenschaften. Auch mit ihren Automobilen. Praktische und/oder avantgardistische Konstruktionen waren das, je nach Preisklasse genial einfach oder einfach genial. Und immer mit dem nonchalanten Sänftencharakter, der auch kleine Gefährte zu formidablen Reisewagen machte.

Jetzt sind die Franzosen einfach nur noch Europäer und ihre Autos einfach nur normal. Kein Klappern, kein Flattern, nirgendwo auch nur das kleinste Schräubchen locker. Die Fahrwerke - hart, nicht herzlich. Das Design - aus dem Windkanal der Globalisierung. Gut, aber verwechselbar. Dieses Prädikat gilt auch für den neuen Clio, Nachfahre der Kleinwagenlegenden R4 und R5. Da schnalzt der Kenner, damals gerne schon im 14. oder 15. Semester, noch heute mit der Zunge. In Blech gepresste Belegexemplare französischer Kreativität waren das, Botschafter einer Nonchalance, die Deutschland nur von den Leinwänden der Programmkinos kannte.

50 Jahre Renault R4
:Coole Kiste

Das Auto mit der legendären "Pistolenschaltung" bekam gerade eben das "Goldene Klassik-Lenkrad" der Zeitschrift "Auto Bild Klassik" verliehen. Kein Wunder: An der simplen Genialität des Renault R4 konnte nicht mal der Rost etwas ändern.

Eine Widmung zum Fünfzigsten.

Früher ein Kleinwagen, jetzt ein Kompakter

Und der neue Clio? Ist nicht mal mehr ein Kleinwagen. Die inzwischen vierte Generation der Baureihe ist vielmehr endgültig in der Kompaktklasse angekommen, die Maße verraten es: 4,06 Meter auf 1,73 Meter. Damit hätte man früher brutto für netto den veritablen Mittelklasse-Renault mit der Modellkennziffer 16 auf die Räder gestellt, aber das ist lange her. Die Kleinwagen von heute sind erwachsene Autos, im Falle Clio heißt das: langstreckentaugliches Raumangebot für den Fahrer, drei Passagiere und 300 Liter Gepäck, alternativ bis zu 1150 Liter Stauraum bei umgeklappten Rücksitzlehnen.

Vier Türen für den bequemen Einstieg sind serienmäßig, die Sitze verdienen Kritik. Die Sitzflächen sind etwas kurz, die Lehnenverstellung ist unpraktisch, und während der Beifahrer zu hoch sitzt, reisen die Fondpassagiere zu tief. Bewertungsabzüge gibt es auch für die schlechte Übersichtlichkeit der Karosserie, vor allem nach hinten. Der Schulterblick des Fahrers besichtigt beim Rückwärtseinparken im Wesentlichen die über die Ufer getretene C-Säule, die Sicht auf das Leben draußen wird hingegen zum Gegenstand ungemütlicher Spekulation.

Und da wir gerade das Protokoll mit den roten Minuszeichen abhaken: Unbefriedigend ist auch die Abstimmung des mit klassischen Zutaten aufgebauten Fahrwerks (vorn McPherson-, hinten Verbundlenkerachse mit Schraubenfedern). Der Clio liegt zwar ausgesprochen gut und mit der für Fronttriebler typischen Neigung zum sicheren Untersteuern, aber die Dämpfung ist unverbindlich. Auf gepflegten Asphaltdecken ist das kein Thema, zumal die Rollgeräusche dann sauber weggedämmt sind. Aber für die Autobahn typische Querfugen zum Beispiel prügeln auf den Clio und seine Passagiere ein, und auf schlechten Streckenabschnitten ist das dann polterige Fahrwerk einfach nur unkomfortabel.

Das Basisaggregat: ein Dreizylinder-Turbobenziner mit Direkteinspritzung

Man kann damit leben, gewiss, zumal der Clio-Fahrer an einer ordentlich präzisen Servolenkung dreht und optional von einem fortschrittlichen Stück Maschinenbau gezogen wird: Dreizylinder-Turbobenziner mit Direkteinspritzung, 900 Kubikzentimeter Hubraum, 90 PS Leistung, 135 Newtonmeter Drehmoment. Das Hightech-Aggregat ist eine Vollaluminiumkonstruktion und macht dem insgesamt abgespeckten Clio (knapp 1100 Kilogramm in der Basisversion) sehr ordentlich Feuer (0-100 km/h in 12,2 Sekunden, 180 km/h Spitze). Beachtlich ist aber nicht zuletzt sein Spartalent: 4,5 Liter verspricht der Normverbrauch, das entspricht einem CO2-Ausstoß von 105 Gramm pro Kilometer. Ein sechster Gang hätte sicherlich geholfen, sich diesem Wert in der Praxis anzunähern, aber der zusätzliche Zahnradsatz ist dem Rotstift zum Opfer gefallen.

Reichen fünf Gänge für ein ordentliches Kompaktklasse-Menü? Natürlich, mit dem Clio geht Anfang November ein empfehlenswertes Auto an den Start. Stimmt die Preisgestaltung? Entscheiden Sie selbst: Sollen der moderne Dreizylinder und die obligatorische Klimaanlage unter der Fronthaube arbeiten, kostet der neue Clio wenigstens 17.400 Euro. Preiswerter kauft man beim Renault-Discounter Dacia.

© SZ vom 08.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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