Eine Viertelmillion Mitglieder haben den ADAC in der Krise verlassen, jetzt will der Verein wieder das Vertrauen der Menschen gewinnen. Im Mai läuft eine große Imagekampagne mit Werbespots in Fernsehen und Hörfunk an. Im Mittelpunkt sollen die klassischen Hilfeleistungen des ADAC stehen: Service, Rat, Hilfe.
Keine schlechte Idee. Das Problem ist nur: Ausgerechnet bei seinem Kerngeschäft, der Pannenhilfe, interessierte sich der Automobilklub zuletzt offenbar weniger für seine Mitglieder, sondern eher für andere Kunden, die ihm mehr Geld brachten. Das berichten mehrere ADAC-Insider.
Aufräumen beim Automobilclub:ADAC baut Geschäftsführung um
Nach dem Skandal um manipulierte Zahlen beim Gelben Engel geht das Aufräumen beim ADAC weiter. Der Automobilclub holt nun einen Compliance-Fachmann in die Geschäftsführung, der beim Neuaufbau helfen soll.
Sie erzählen davon, dass ADAC-Mitglieder und selbst gehobene ADAC-Plus-Mitglieder länger auf einen Pannenhelfer warten mussten, weil die Gelben Engel im Zweifel zunächst jene Autofahrer bedient hätten, die unabhängig vom ADAC über ihren Autohersteller eine "Mobilitätsgarantie" gebucht haben. Diese Kunden hätten, so der Vorwurf der Klub-Insider, Vorrang gehabt.
Der ADAC weist die Kritik zurück und betont: "Alle Aufträge werden nach Eingang bearbeitet."
Einer, der davon berichtet, soll an dieser Stelle Matthias Trode heißen. Seinen wahren Namen möchte er nicht gedruckt sehen. Trode arbeitete etliche Jahre als Disponent in einem Pannenhilfe-Callcenter, das die Einsätze der Gelben Engel in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg organisiert. Er war zuständig dafür, den Helfern die Pannen zuzuordnen. Manchmal ballen sich Einsätze, dann gibt es weniger Helfer als liegen gebliebene Autofahrer - und die Wartezeiten, die im Schnitt laut ADAC 41 Minuten betragen, gehen in die Höhe.
Ein Glück, wer dann ADAC-Mitglied ist?
Eben nicht. Wenn es zutrifft, was nicht nur Trode schildert, sollte man in einem solchen Fall besser guter Kunde eines Autoherstellers sein - und eine Mobilitätsgarantie dazugebucht haben. Diesen Service, die sogenannte Assistance-Leistung, erbringt der ADAC als Subunternehmer für eine lange Reihe von Herstellern. Anfang des Jahres waren das laut ADAC unter anderem Ford, Opel, Nissan, Honda, Kia, Hyundai, Citroën, Peugeot, Mercedes-Benz, Volvo, Jaguar, Chevrolet, Smart und Range Rover.
Ex-ADAC-Pressechef:Ramstetter klagt gegen Kündigung
Im Januar nahm der ADAC-Skandal seinen Anfang. Im Mittelpunkt der Manipulationsvorwürfe rund um den "Gelben Engel" stand Pressechef Ramstetter. Er gab alles zu, legte seine Ämter nieder und stürzte den Verein in eine tiefe Krise. Nun zieht er vor Gericht.
Assistance-Kunden werden bevorzugt
Wenn beispielsweise ein Assistance-Kunde von Ford eine Panne hat, wählt er die Nummer seiner Ford-Servicehotline. Von dort geht der Auftrag weiter an den ADAC, ins zuständige Pannenhilfe-Callcenter, wo einer jener Disponenten wie Trode einen Pannenhelfer zu dem havarierten Ford schickt. Die Assistance-Kunden dieser Autofirmen würden, berichten Trode und andere, automatisch zu einer Art Premium-Kunden des ADAC. "Normale oder ADAC-Plus-Mitglieder mussten warten, wenn wir gleichzeitig Assistance-Kunden mit derselben Dringlichkeit reinbekamen", sagt Trode.
Das hieße: Wenn ein ADAC-Mitglied und der Assistance-Kunde eines Autoherstellers mit plattem Reifen am Straßenrand stehen, ließe der ADAC-Pannenhelfer im Zweifel das ADAC-Mitglied warten und würde sich zuerst um den Kunden des Autoherstellers kümmern. Und das, obwohl der gesamte Pannenservice aus den Jahresbeiträgen der ADAC-Mitglieder finanziert wird: Sie bezahlen die Gehälter der Gelben Engel, die Dienstfahrzeuge und die Instandhaltung. Und dann müssen sie warten, weil der ADAC erst einmal Geld verdienen will mit seinen Großkunden? "Das würde den Verein entlarven als Organisation, die knallhart Profitinteressen verfolgt. Die Mitglieder werden gezählt und als Druckmittel eingesetzt, als Kunden wären sie dann aber offenbar nur Kunden zweiter Klasse", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Essen-Duisburg.
Manipulation beim ADAC:Preis der Willkür
Die Auswertung der Zahlen zum ADAC-Preis "Gelber Engel" haben ergeben: Der angebliche "Publikumspreis" wurde mindestens seit 2009 nach Gutdünken vergeben. Dabei verfolgte der Club ein bestimmtes Ziel - und ließ einen Autohersteller besonders profitieren.
Der ADAC bestreitet, dass es diese Vorzugsbehandlung gibt. "Alle Pannenfälle werden nach Eingang bearbeitet, einzige Ausnahme: Pannenfälle, in denen eine Verkehrs- oder Gesundheitsgefährdung vorliegt beziehungsweise Mütter mit Kindern im Auto, diese werden vorrangig behandelt", erklärt ein Sprecher des Klubs.
Allerdings steht Trode mit seinen Anschuldigungen nicht alleine. Manfred Rauter, ein Mann, der jahrelang als Gelber Engel gearbeitet hat, bestätigt die Darstellung bis ins Detail. Auch Rauter heißt in Wahrheit anders, auch er fürchtet juristischen Ärger mit dem ADAC; dennoch dokumentierte er seine Aussagen in einer eidesstattlichen Erklärung. In dieser heißt es, den Assistance-Kunden würde intern der "Code 07" zugewiesen: "Die Dienstanweisung war ganz klar, dass Pannen 07 bevorzugt zu behandeln sind." Das Ziel sei, eine bestimmte Wartezeit nicht zu überschreiten. War abzusehen, dass die Grenze nicht eingehalten werden konnte, seien Disponenten angewiesen gewesen, in Rücksprache mit den Gelben Engeln "Pannen von normalen Mitgliedern (Code01) oder Plusmitgliedern (Code09) zurückzustellen bzw. anderweitig zu disponieren".
Aber warum haben die Fremdkunden Vorrang? Ein dritter ADAC-Insider bietet eine Erklärung: In den Verträgen mit den Herstellern sind die Umstände der zu leistenden Pannenhilfe definiert. Festgelegt sind auch "die durchschnittlichen Zeiten von der Aufnahme der Pannenmeldung bis zum Eintreffen des Fahrers beim Hilfesuchenden", berichtet der ADAC-Insider: "Damit die Verträge erfüllt werden können, muss das 'gemeine ADAC-Mitglied' eben warten. Das hat mich immer schon geärgert und beschämt".
Automobilclub weiter in der Kritik:Geringere Steuern für den ADAC
In der Affäre um geschönte Teilnehmerzahlen bei der Wahl zum "Lieblingsauto der Deutschen" geraten nun auch die Steuerzahlungen des Vereins in den Fokus. Nach Angaben des ADAC zahlt der Club nur auf zehn Prozent der Beiträge der Basismitgliedschaft Umsatzsteuer.
Laut ADAC sind zwar keine exakt beschriebenen Wartezeiten in den Verträgen, aber doch "Zielwerte über das Gesamtjahr, die mit den Herstellern vereinbart sind". Für gewöhnlich sind Vertragsstrafen fällig, wenn solche Zielwerte oder Garantien nicht eingehalten werden können. Auch in diesem Fall? Ein Sprecher des ADAC bittet um Verständnis, dass er zu solchen "Vertragsdetails" keine Auskunft geben könne.
Steht der Vereins-Status auf dem Spiel?
Und was passiert mit dem Geld, das die Pannenhelfer erwirtschaften, wenn sie für die Autohersteller unterwegs sind? Die Einnahmen fließen an zwei Tochtergesellschaften des Automobilklubs: entweder an die ADAC Service GmbH oder an eine in Luxemburg angesiedelte Firma namens Arisa. Eigentlich müsste der Gewinn dann zurück an den ADAC e.V. fließen, schließlich finanzieren dessen Mitglieder die Pannenhelfer. Doch nur bei der ADAC-Service GmbH ist dies der Fall, nicht jedoch bei der Arisa, die eine Tochter der ADAC-Schutzbriefversicherung und ADAC-Rechtsschutzversicherung ist. "In der Regel werden anfallende Gewinne thesauriert, das heißt nicht ausgeschüttet, um die Ausstattung mit Eigenmitteln zu verbessern", erklärt der Sprecher des Vereins. Das Geld, das aus Mitteln des e.V. erwirtschaftet wird, geht also nicht zurück an den e.V.
Die Vorwürfe der ehemaligen Pannenhilfemitarbeiter sind für den ADAC gefährlich. Denn gerade wird am Münchner Registergericht geprüft, ob beim ADAC die wirtschaftliche Tätigkeit "dem ideellen Hauptzweck eindeutig untergeordnet" sei. Kommen die Prüfer zu dem Ergebnis, dies sei nicht der Fall, ist das für den Verein ein geradezu existenzielles Problem. Dann nämlich würde dem ADAC das Recht entzogen, weiter als Verein zu existieren.