Mercedes G-Klasse im Test:Aus der Zeit gefallen

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Und ab geht's ins Gelände: Die neue G-Klasse ist ab einem Preis von 95 021 Euro zu haben. (Foto: Daimler AG)

Die neue G-Klasse von Mercedes steht für Autos von gestern - auch wenn sie abseits der befestigten Straßen die meisten anderen Modelle locker abhängen dürfte.

Von Georg Kacher

Am Vorabend der Apokalypse hätte man gerne eine G-Klasse vor der Tür stehen. Denn wer zu Lande dem Ende der Welt entkommen wollte, wäre mit dem luxuriösen Hardcore-SUV fein heraus. Ohne einen Gedanken an irgendwelche Grenzwerte und die bröckelnde soziale Akzeptanz zu verschwenden, aber mit drei Sperren, noch kürzer untersetztem Geländegang, größerer Wattiefe und extremeren Rampen- und Böschungswinkeln. Anders als bei der Flucht vor dem Armageddon braucht man die Overkill-Technik im Hier und Jetzt freilich so dringend wie die vierte goldene Uhr. Außerdem kauft das Auto im schweren Gelände ohnehin dem Fahrer den Schneid ab, frei nach dem Motto: Angst essen Neigungswinkel und Steigfähigkeit auf.

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Den Mercedes G gibt es seit 1979, aber erst das 2019er-Modell hat vorne einzeln aufgehängte Räder, ein Automatik-Getriebe mit neun Gängen und einen leicht heckbetont ausgelegten Allradantrieb. Statt die höhenverstellbare Luftfederung zu montieren, hat Mercedes ein neues adaptives Dämpfersystem (Aufpreis: 1 547 Euro) entwickelt, dessen Schluckvermögen selbst Landstraßen dritter Ordnung nachhaltig entschärft. Bei rasanter Bergabfahrt in mittelschwerem Gelände zerlegt das absolut souveräne Agility-Control-Fahrwerk unvorbereitete Beifahrer allerdings gefühlt in ihre Einzelteile, vom Hüpfburg-Effekt in Reihe zwei ganz zu schweigen. Chassis und Antrieb verschmelzen die angeborene Kletterfreude mit einer neu entdeckten Grundgeschmeidigkeit, die erst das hart abrollende AMG-Modell mit ihren serienmäßigen 20-Zoll-Rädern konterkariert.

Der Gelände-Benz bietet jetzt mehr Platz für breite Torsi und lange Beine

Von außen wirkt die G-Klasse 5.0 wie eine etwas breitere, mit markanten LED-Lichtringen auffälliger geschminkte Hommage an das Original, die noble Inneneinrichtung ist dagegen komplett neu. Man sitzt zwar immer noch zu dicht an den senkrecht zum Schweller abfallenden Türen, aber der große Gelände-Benz bietet jetzt deutlich mehr Platz für breite Torsi, schrille Hochfrisuren und lange Beine. Wenig Freude bereiten dagegen die rutschige weil fast konturlose Rückbank, die trutzige Eiger-Nordwand-Aerodynamik und die im Detail überfrachtete Bedienung. Zur Wahl stehen drei Geländemodi, drei Lenkungskennlinien, zwei Getriebeuntersetzungen und fünf Fahrprogramme - aber nur ein Hirn, zwei Augen und fünf Finger. Dazu kommen sieben Assistenzsysteme und diverse Designlinien, die vom Förster bis zum Flaneur eine ebenso breite wie zahlungskräftige Zielgruppe abdecken.

Im Angebot sind drei Motorisierungen: der G350 d mit dem feinen Reihensechszylinder (286 PS, 600 Newtonmeter, 9,8 Liter auf 100 Kilometer, ab 95 021 Euro), der 12 000 Euro teurere, aber keineswegs klar überlegene G 500 mit 422 PS und der aufreizend unvernünftige G 63 AMG (585 PS, 850 Newtonmeter, 4,5 Sekunden von Null auf Tempo 100, bis zu 240 Stundenkilometer Spitze, ab 148 434 Euro). Ohne sich ins Gewissen reden zu lassen, bestellt jeder zweite Kunde die laute und prollige Dampframme mit den Fahrleistungen eines Sportwagens und den Trinksitten eines Omnibusses. Im Gegensatz zum Vorgänger, der um Ecken gierte, wankte und rollte wie ein angetrunkener Elefant, hat die AMG-Mannschaft dem neuen G Manieren beigebracht. Die Lenkung ist keine unverbindliche Anfrage mehr, sondern ein unterschriebener Vertrag. Die Bremse hat ihre Verzögerungsphobie abgelegt. Das Handling gibt sich endlich knackiger. Nur der Verbrauch liegt immer noch jenseits jeder Vernunftsgrenze, aber das stecken die Besitzer mit ihren schwarzen Kreditkarten locker weg.

Toll, was machbar ist, wenn Fahrzeug-Entwickler alter Schule aus dem Vollen schöpfen dürfen. Doch bis zum Vorabend der Apokalypse kann unsere geschundene Welt getrost auf Autos verzichten, die für eine weitgehend sinnfreie Gestrigkeit stehen.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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