Der Meister ist nachdenklich. "Ich habe nie davon geträumt, Rennfahrer zu werden", sinniert Jacky Ickx: "Vielleicht Gärtner oder Wildhüter. Aber Rennfahrer?" Nein, keine Koketterie. Schon gar nicht mit bald 70 Jahren, die man dem Belgier nicht ansieht. In seiner Heimatstadt Brüssel ehren sie ihn mit einer fulminanten Doppelausstellung auf 2000 Quadratmetern, die sich Ickx mit seinem Landsmann, der Radlegende Eddy Merckx teilt. Giganten der Landstraße wie der Rennstrecke. Merckx wird am 17. Juni 70, Ickx am Neujahrstag.
Wo ist die Zeit geblieben? 32 Jahre Motorsport, acht GP-Siege in der Formel 1, zwei Vize-Weltmeisterschaften, mehr als 50 Siege in Langstrecken-WM-Läufen, dabei sechsfacher Gewinner der 24 Stunden von Le Mans. Und, und, und. All das wird im Trade Mart Expo Showroom mit großer Liebe zum Detail mit Fotos, Videoclips, Trophäen, Sturzhelmen und Rennoveralls veranschaulicht und mit einem halben Dutzend Renn- und Sportwagen von Ferrari, Ford, BMW und Porsche zum Greifen nah inszeniert. Die Bilanz eines Rennfahrerlebens?
"Es ist keine Frage des Talents, überlebt zu haben"
"Ich hatte einen sehr guten Schutzengel", sagt Jacky Ickx und lächelt, "es sind nicht viele aus dieser Motorsport-Ära übrig geblieben. Und ich hatte wirklich schlimme Unfälle. Es ist keine Frage des Talents, überlebt zu haben. Es ist einfach Glück." Die Ausstellungsmacher illustrieren das in einer Dunkelkammer, in deren Mitte nur eine illuminierte Vitrine steht. Darin der Helm, den Ickx beim GP von Spanien 1970 trug, als der BRM von Jackie Oliver den Ferrari des Belgiers torpedierte und beide Rennwagen in Flammen aufgingen. Das Visier ist angesengt, teilweise verkohlt, Brandspuren überall. Endlos lange 10, 20 Sekunden saß Ickx im Feuer fest, bis es ihm doch gelang, den Sicherheitsgurt zu öffnen und sich irgendwie zu retten.
"Jeder wusste um die Risiken, aber niemand hat uns dazu gezwungen", kommentiert Ickx. Auch wenn hier in Brüssel an seine große Rennfahrerkarriere erinnert wird, nein, vergangener Ruhm und verwelkter Lorbeer sind nicht sein Ding: "Natürlich, wenn ich zurückblicke, habe ich beachtliche Erfolge erzielt. Und wenn ich dann heute gefragt werde, ob ich bedauere, nicht Formel-1-Weltmeister geworden zu sein? Bitte, ich werde jetzt 70, soll ich Dinge diskutieren, die 45 Jahre vorbei sind? Nein, das ist nicht wichtig, was zählt sind Gegenwart und Zukunft. Und Freude daran zu haben, an dem, was du tust, und dir dabei immer bewusst zu sein, dass deine Zeit auf Erden begrenzt ist. Als Rennfahrer sowieso. Aber ich bin hier, ich lebe und ich habe allen Grund glücklich zu sein."
Und es war Glück, Eltern zu haben, die ihn zu nichts zwangen. So kam Ickx, Sohn eines Journalisten, zum Motorsport. Zuerst auf zwei Rädern, dann im BMW 700 und im Ford Lotus Cortina bei Tourenwagenrennen, ehe ihn Ken Tyrrell in Goodwood zu Formel-2-Testfahrten einlud, der eigentliche Start der Karriere. Im Tyrrell-Matra wurde Jacky Ickx 1967 Formel-2-Europameister und schockte beim GP von Deutschland die etablierten Formel-1- Stars mit einer Trainingszeit, die nur von Jim Clark und WM-Spitzenreiter Denis Hulme geschlagen wurde. Der kleine F2-Matra hatte zwar rund 200 PS weniger als der Lotus-Ford und der Brabham-Repco, war aber auf dem Nürburgring das ideale Einsatzgerät: "Wir sind in jeder Runde auf der Nordschleife 17-mal gesprungen. Der F2-Matra war leicht und bei der Landung besser zu kontrollieren. Und dieser Auftritt am Nürburgring öffnete mir einen neuen Weg, der zu Ferrari führte."
Das war 1968, und die Ausstellung in Brüssel präsentiert auch einen passenden Ferrari 312. In einem solchen Typ gewann Ickx in Rouen seinen ersten Formel-1-GP, jenes Rennen, bei dem Jo Schlesser in einem Werks-Honda verbrannte: "Dieser Sieg hätte ein sehr schöner Augenblick sein können, aber so war es einfach nur traurig. Etwas, was dich ein Leben lang begleitet, mit dem du aber innerlich wächst. Du begreifst, dass das Leben vergeblich ist. Und das beeinflusst dein Denken." 23 Jahre war Ickx damals alt. Rennsport ist etwas für junge Leute, lässt er heute durchblicken. Nicht nur, weil die verrückter sind, was die Bereitschaft betrifft, Risiken einzugehen: "Die Zeit läuft immer gegen dich, schleichende Erosion. Ich bin dankbar gewesen, 1979 mit Ligier noch mal in einem damaligen Spitzenteam fahren zu können und nicht auf Resultate zu kommen. Es war gut, weil ich danach wusste, es ist vorbei mit der Formel 1. Und ich bedauerte das überhaupt nicht."
Ein Team, ein Ziel
Denn seine Rennfahrerkarriere ging nahtlos im Werksteam von Porsche weiter. Die zehn Jahre von 1976 bis 1985 waren vielleicht doch die schönsten, gesteht Jacky Ickx: "Vom menschlichen Aspekt war das eine wunderbare Familie, Ingenieure, Mechaniker, Fahrer - ein Team, ein Ziel. Wenn du bei Porsche fährst, weißt du, dass du Rennen gewinnen wirst." Natürlich, die Zeit bei Porsche ist überschattet von der Kollision mit Stefan Bellof 1985 in Spa, als die junge deutsche Rennfahrerhoffnung in der Senke von Eau Rouge Ickx überholen wollte, an einer Stelle, wo man nicht überholen kann. Jacky Ickx sagt: "Über diesen Unfall ist alles gesagt worden. Aber selbst wenn du nicht schuldig bist, bist du darin verwickelt, du erholst dich nie mehr davon. Wenn ich darüber nachdenke, bleibt nur Trauer. Es war Schicksal. Und ich frage mich, warum er, nicht ich?" Und danach? Paris-Dakar, Langstrecken, bei der Pharaonen-Rallye verunglückt er schwer. Sein Beifahrer Christian Tarrin kommt ums Leben. "Das Einzige was bleibt, ist, die Menschen in Erinnerung zu behalten, die dir begegnet sind und dein Leben lebenswert gemacht haben, auch wenn sie schon lange nicht mehr da sind."
Heute ist Ickx Repräsentant für Volkswagen, lebt mit seiner zweiten Frau die meiste Zeit des Jahres in Afrika, zeigt uns den Filmraum am Ende der Ausstellung: ein aufwendiges Schwarz-Weiß-Video, das Stephan Vanfleteren in Marokko gedreht hat. Weite Wüstenlandschaft und dazu der Off-Kommentar von Jacky Ickx über seine Liebe für den afrikanischen Kontinent und sein Engagement dort. Am Ende einer überlebenslangen Rennfahrerkarriere bringt Ickx alles auf den Punkt: "Wir sind sieben Milliarden Menschen auf der Erde, zwei Drittel von uns haben weder ausreichend Wasser noch Nahrung. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir hier sehr privilegiert sind."