Kaputte Autobahnen:Zwei Kiesgruben fielen durch

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Zahlreiche Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, zeichnen jedoch ein anderes Bild. Demnach veröffentlichte das ehemalige Institut für Baustoffe Weimar (heute: Material- und Prüfungsanstalt der Universität Weimar) schon 1988 eine Tabelle, in der die Erzeugnisse von 33 "volkseigenen Betrieben" auf AKR getestet wurden. Zwei Kiesgruben in der Nähe von Halle fielen dabei durch: "Potenziell betonschädigend reaktiv", heißt es in der Auswertung. Hätte man die Liste ernst genommen, wären der öffentlichen Hand womöglich Kosten in Millionen-, wenn nicht gar Milliardenhöhe erspart geblieben.

Gerhard Hempel wird noch deutlicher. "Dass es bis vor kurzem kein Testverfahren gab, ist eine Lüge", sagt der Geologe, der bereits zu DDR-Zeiten in Weimar forschte. "Ich habe meine Ergebnisse auf den Tisch gelegt, um die Behörden zu warnen." Als Hempel 1992 vom geplanten Weiterbau der A 14 hörte, bot er dem Verkehrsministerium seine Mithilfe an - ein Briefwechsel belegt das. Hempel, heute 82 Jahre alt, verwies auf ein Prüfverfahren, das in der DDR erfolgreich zum Einsatz gekommen sei. Im Bundesverkehrsministerium, auch das zeigen die Schreiben, stieß er beim zuständigen Ministerialrat auf offene Ohren. Dieser leitete Hempels Brief an die Deges (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) weiter, wo er schließlich versandete.

Warum die Warnungen in den Wind geschlagen wurden, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. Im Bundestag stellten die Grünen dazu vor fünf Jahren eine Kleine Anfrage. Sie wollten wissen, wie viel Schaden hätte vermieden werden können, wäre Hempel gehört worden. Die damalige Antwort der Bundesregierung: "Einen vermeidbaren Schadensumfang einzuschätzen, hätte (. . .) nur spekulativen Charakter." Auch die Frage nach den politischen Verantwortlichen gestaltet sich schwierig. Viele sind längst im Ruhestand, der damalige Bundesverkehrsminister Günther Krause (CDU) trat 1993 nach diversen Affären zurück.

Untersuchungen aus DDR-Zeiten wurden ignoriert

Für Hempel war die Sache damit noch nicht abgeschlossen. Vier Jahre nach seinem ersten Brief lud ihn die Deges überraschend ein. "Überall im Büro lagen Beton-Ausplatzungen", sagt Hempel. Eine Brücke auf der A 14 habe frühe Anzeichen von Betonkrebs gezeigt. "Da wurde ich zum ersten Mal richtig ärgerlich. Nach meinem Verfahren wäre das Material doch von Anfang an aussortiert worden." Hempel arbeitete trotzdem mit, schlug eine neue Betonmischung vor, die schließlich zum Einsatz kam. Und dann? "Wollten sie nicht mehr mit uns zusammenarbeiten."

Am Ende läuft alles auf eine Frage hinaus: Haben die Baufirmen beim "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" jene Kiesgruben genutzt, die schon auf Hempels Liste als gefährlich eingestuft waren? "Das weiß ich bis heute nicht", sagt der Geologe, der vermutet, dass seine Warnungen wegen wirtschaftlicher Interessen unter den Tisch gekehrt wurden. Die Straßenbaubehörde in Sachsen-Anhalt teilt der SZ eine ähnliche Antwort mit: "Aufgrund des Alters der Fahrbahnen haben wir kaum noch solche detaillierten Unterlagen."

Wo der Betonkrebs am stärksten wütet:

Wo der Betonkrebs am stärksten wütet:

Neben Sachsen-Anhalt ist Brandenburg besonders stark betroffen. Dort gibt es insgesamt 800 Kilometer Autobahn, wovon etwas weniger als die Hälfte in Betonbauweise konstruiert wurde. Davon wiederum weisen 115 Kilometer sichtbare AKR-Schäden auf, vor allem auf der A 2, A 9 und A 10. Geschätzte Sanierungskosten in den nächsten zehn Jahren: 70 bis 90 Millionen Euro.

Thüringen kommt glimpflicher davon. Von den 511-Autobahnkilometern sind rund sieben Prozent AKR-geschädigt. Besonders betroffen ist die A 9. Die Kosten für eine Sanierung lassen sich laut Landesverkehrsministerium derzeit noch nicht abschätzen.

In Sachsen (567 Kilometer Autobahn) ist Betonkrebs laut Landesverkehrsministerium "derzeit kein Thema". Nachdem auf der A 14 in den vergangenen Jahren der Abschnitt zwischen Mutzschen und Leisnig saniert worden sei, blieben die Fahrbahnen aber unter ständiger Beobachtung.

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