Im Motorrad durch Shanghai:Wie ein Chinese mit Lederhose

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Manchmal wie im Videospiel: Shanghai im Seitenwagen. (Foto: Meiszies)

Ungewöhnliche Stadtrundfahrt: In Shanghais City dürfen nur Elektroroller fahren, Zweiräder mit Verbrennungsmotor nur in den Außenbezirken. Wir haben Shanghai trotzdem in einem Motorradgespann erfahren - einer der spannendsten Arten, die man sich vorstellen kann.

Von Norbert Meiszies

Die Zeit, als China das Land der Fahrradfahrer war, gehört längst der Vergangenheit an. Megacitys wie Shanghai, wo knapp 25 Millionen Menschen leben, sind verstopft mit Autos, Lastwagen, Bussen und jeder Form von motorisierten Zweirädern. Dabei sind Letztere in der Innenstadt von Shanghai eigentlich gar nicht erlaubt - wie inzwischen in vielen Großstädten. Uneingeschränkt nutzen kann man Motorräder in China nur noch in wenigen Enklaven, meist dort, wo sie produziert werden.

In Shanghais City dagegen dürfen nur Elektroroller fahren. Zulassungen für Zweiräder mit Verbrennungsmotor gibt es nur in den Außenbezirken - vorausgesetzt, man gehört zu den Glücklichen, die eines der 9000 monatlich ausgegebenen Nummernschilder bekommen haben. Die werden verlost oder versteigert. Das kann dann schon mal bis zu 10.000 Euro kosten, egal ob fürs Auto oder ein Motorrad. Da wundert es nicht, wenn die meisten Fahrzeuge, vor allem die zulassungspflichtigen Scooter, so aussehen, als hätte man sie gerade aus dem Baggersee gefischt. Trotz aller Restriktionen sind die Straßen randvoll mit motorisierten Zweirädern, turmhoch beladenen Transportfahrrädern mit Hilfsmotor und dreirädrigen Motorrad-Taxen. Selbst einige Verbrenner sind immer noch darunter. Wer einmal sein Fahrzeug zugelassen erworben hat, der fährt es, bis es auseinanderfällt, um es dann aus allen möglichen Ersatzteilen und Gebrauchsgegenständen wieder zusammenzubauen.

So gibt es in Shanghai auch noch rund 250 registrierte Gespann-Motorräder mit 750er-Boxermotor, überwiegend alte Militär- und Behördenfahrzeuge der Marke Quang Jiang. Die Pläne und Fertigungsanlagen stammen aus Russland, wo der Nachbau der Vorkriegs-BMW R71 bis zum Produktionsstopp 1957 als M72 vom Band lief und im Zuge "sozialistischer Bruderhilfe" gegen Getreidelieferungen den Chinesen überlassen wurden. "Als ich 1999 nach China kam, hatte ich sofort damit begonnen, das größte Motorrad zu suchen, was ich kriegen konnte", erzählt der Franzose Thomas Chabrières von seinen ersten Erfahrungen mit dem chinesischen BMW-Nachbau. "Das endete damit, dass ich das Wrack eines Quang-Jiang-Armee-Bikes fand und wieder instand setzte." Heute besitzt Chabrières ein Dutzend dieser Boxer-Gespanne, mit denen er Touristen Shanghai aus einer ganz anderen Perspektive zeigt, nämlich aus der Sicht eines Beifahrers im Seitenwagen.

Überall trötet und plärrt es

Befürchtungen, die Sightseeing-Tour könnte in dem hektischen Verkehr zum Himmelfahrtskommando werden - zumal Roller- und Motorradfahrer hier grundsätzlich ohne Helm unterwegs sind - zerstreut der Tourguide mit dem Hinweis, dass man Highways, Brücken und Tunnel meiden würde. Dort nämlich seien Chinesen häufig zu schnell unterwegs. "Manchmal geht es zu wie in einem Videospiel", meint Chabrières, während die gerade einmal 26 PS leistenden Gespanne eher dahinzuckeln. Um im chinesischen Straßenverkehr zu überleben, sollte man sich dennoch den Gepflogenheiten anpassen. Fußgänger rangieren hier auf der untersten Stufe der Hierarchie, gefolgt von den wenigen Fahrrad- und den zahllosen E-Bike-Fahrern.

Etwas ernster genommen werden die urigen Motorrad-Taxen im Rikscha-Stil. Ansonsten ist die Hupe das wichtigste Instrument, um sich bemerkbar zu machen. Überall trötet und plärrt es. Autofahrer interessiert das wenig, sie richten ihren Blick ausschließlich nach vorne, was von der Seite kommt oder von hinten, wird ignoriert. Überraschenderweise genießen die Quang-Jiang-Gespanne aber höchsten Respekt. Mit größter Verwunderung nehmen die Chinesen nämlich zur Kenntnis, dass auf "ihren" Militär-Motorrädern Europäer unterwegs sind. "Das ist so, als würde ein Chinese in München mit Lederhose und Gamshut herumlaufen", meint Thomas Chabrières und bricht zu einer der spannendsten Stadtrundfahrten auf, die man sich vorstellen kann.

Weitere Infos über Sightseeing-Touren mit dem Quang-Jiang-Gespann in Shanghai gibt es unter www.insidersexperience.com.

© SZ vom 12.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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