Früher war alles besser - das Wetter, die Musik, die Menschen. Und es gab kleine Motorräder mit ganz großen Reifen. Damit fuhren junge Leute zur Schule oder zur Uni, holten die Freundin bei argwöhnischen Eltern ab und genossen die große Freiheit im Kleinen. Wer das erlebt hat, gehört heute zur ominösen Gruppe der Ü40 und ist damit anfällig für mindestens zweierlei: zum einen für den ewigblöden Spruch, dass früher alles besser war, zum anderen für Retro aller Art - also auch für kleine Motorräder mit ganz großen Reifen.
Zu den Modellen mit Nostalgie-Appeal gehört die Karion 125 des koreanischen Herstellers Hyosung, die als sogenanntes Funbike Spaß sowohl im Stadtverkehr als auch auf Feldwegen verspricht. Wer lange nicht Motorrad gefahren ist - sei es wegen des Umstiegs auf kindertaugliche Kombis oder weil das Wetter so viel schlechter geworden ist -, mag angesichts der wuchtigen Reifen und der sportlichen Erscheinung der Karion zunächst Respekt verspüren, doch gewiss auch Neugierde.
Wer sich dann aber in den geschwungenen Sattel setzt, den Helm überstülpt, in den ersten Gang klackt, die erste Kurve übersteht und den Gashahn aufdreht, der merkt, wie leicht sich dieses nur 135 Kilo schwere Motorrad fährt, wie wenig sich verändert hat, wie alles noch ist wie früher. Ein Hochgefühl. Und dann kommt die erste Ampel und die Erkenntnis, dass früher vielleicht auch deshalb alles besser war, weil damals Audi-Fahrer noch Hüte trugen.
Der ewig währende Zweirad-Vorteil
Heute gibt sich der Audi-Fahrer sportlich und denkt gar nicht daran, einem Motorrad, gleich welchem, beim Ampelstart den Sieg zu schenken. Sowieso ein ungleiches Rennen, das die Karion mit ihren 8,7 kW (10 PS) nicht gewinnen kann - zumindest nicht im ersten Anlauf. An der nächsten Ampel aber darf sich der Audi-Pilot hinten in der Schlange einreihen, während sich der Karion-Fahrer wieder zur Pole-Position durchschlängelt. Dies ist ein ewig währender Zweirad-Vorteil im Stadtverkehr, der nicht mit Geld und Pferdestärken wettzumachen ist.
Auf dem Weg ins Büro gewinnt man so entscheidende Meter. Überhaupt: Die Fahrt von der heimischen Garage zum Arbeitsplatz dürfte die idealtypische Strecke für den gesetzteren Karion-Biker sein. Denn dies ist kein Motorrad, mit dem man einfach mal so nach Westen oder Süden fährt, um die Sonne zu putzen.
Es ist ein charmantes Zweirad für die kleine Freiheit zwischendurch, eine mit nicht viel mehr als 2500 Euro kostengünstige Alternative zum Auto an milden und trockenen Tagen. Gewiss, auch auf dem Weg zum nächsten See oder Baggerloch lässt sich auf der Karion Fahrtwind genießen. Und wen es nicht stört, dass dieses kleine Bike noch längst nicht von jedem Harley-Fahrer eines Grußes für würdig befunden wird, der darf sich dennoch eines Easy-Rider-Gefühls erfreuen. Allzu weit jedoch sollte das Ausflugsgewässer nicht entfernt sein, vor allem sollte keine Autobahn dorthin führen.
Hummelschwarm im Hintern
Auf schnurgerader Asphaltstrecke lässt sich die Karion zwar schon einmal auf 100 km/h beschleunigen; bei Tempo 90 aber spürt man schon so etwas wie einen Hummelschwarm im Hintern - eigentlich hört bereits bei 80 der Spaß auf. Auf der Autobahn also kann es schnell passieren, dass man mit der Karion zu langsam ist für den 40-Tonner, der von hinten drängt. Das Gefühl von Freiheit mag dann nicht mehr aufkommen, das Abenteuer stößt an seine Grenzen.
Dann doch lieber wieder zurück in die Stadt, zurück ins ureigene Revier, zurück zur Pole-Position an der Ampel. Wenn gerade kein Audi oder so konkurriert, fährt man leicht und frei dem Feld davon. So wie früher - vielleicht sogar noch ein bisschen besser.