Im Netz werden diese kleinen Geräte, die ein bisschen wie Handys in ihrer Frühzeit aussehen, für etwas mehr als 100 Euro angeboten. Dort heißen sie "Diagnosegeräte" oder "Tachojustierer", aber Reinhard Kolke nennt sie: Manipulator.
Kolke hat oft so einen Manipulator in seinem Köfferchen. Nicht, um zu manipulieren, sondern um zu zeigen, wie einfach es ist, zu manipulieren. Und das geht so: Der ADAC-Technikexperte verbindet den Stecker des Manipulators mit einer Buchse neben dem Lenkrad, auf dem kleinen Bildschirm steht "Menu Nr. 5", "Odometer adjust". Dann geht es los. Alter Tachostand 200 000, ein paar Knopfdrücke, dann hat der Tachometer nur noch 98 000 Kilometer drauf. Rückwärts in ein paar Sekunden: "Ein beliebter Wert liegt bei 98 000 Kilometer", sagt ADAC-Mann Kolke. "Er ist ideal bei Gebrauchtwagen, die 150 000 Kilometer oder mehr gefahren sind."
Gebrauchtwagen:So funktioniert die Tachomanipulation
Um den Kilometerstand eines Autos zu manipulieren, genügt ein Gerät, das jeder im Internet kaufen kann.
98 000 Kilometer sind also ein ziemlich guter Wert, wenn man sein Auto verkaufen will. Vor allem wenn man eigentlich schon 200 000 Kilometer gefahren ist.
Weil es so einfach ist, boomt das Geschäft. Es gibt "mobile Dienstleister", die kommen nachts zum Autobahn-Rastplatz, um für 50 Euro am Tacho zu drehen. Andere machen es nach Termin in ihrer Werkstatt. Es profitieren: Privat-Verkäufer, Gebrauchtwagenhändler, professionelle Tachodreher. Den Schaden haben: die Käufer von Gebrauchtwagen. Wenn es gut läuft, hat der Käufer nur zu viel für den Wagen bezahlt. Läuft es schlecht, dann wird es richtig ungemütlich. So wie bei der Geschichte eines alten BMW, der schon über 200 000 Kilometer hinter sich hatte, laut Tacho aber nur 130 000. Bei 180 000 gab's dann einen sehr unschönen Motorschaden - weil der vorgesehene Wartungsplan nicht eingehalten wurde.
Geschätzter Schaden im Jahr: an die sechs Milliarden Euro
Bis zu einem Drittel aller Gebrauchtwagen, schätzen Experten, haben weitaus mehr Kilometer drauf, als auf dem Tacho steht. Sie wurden irgendwann im Laufe ihres Lebens manipuliert. Im Schnitt werden diese Autos um 3000 Euro teurer verkauft, als sie tatsächlich als Gebrauchtwagen wert wären - ein Riesengeschäft. Geschätzter Schaden im Jahr: an die sechs Milliarden Euro.
Natürlich stehen die gefahrenen Kilometer auch im TÜV-Bericht, aber, so Kolke: "Verkäufer sind nur verpflichtet, die letzte TÜV-Unterlage bei einem Verkauf mitzubringen" Die Tacho-Dreher bevorzugen daher diese Reihenfolge: Zuerst wird der Tacho manipuliert, dann geht es zum TÜV, danach erst zum Gebrauchtwagenhändler. "So lässt sich ohne großen Aufwand viel Geld verdienen", sagt Kolke.
Auf Kilometersuche bei einem Münchner Gebrauchtwagenhändler. Es gibt Autos, auf denen steht: "Tachometerstand orig. 125 000". Klingt gut. Und es gibt Autos, auf denen steht: "Kilometerstand laut Tacho". Das klingt weniger gut, denn es könnte bedeuten: Steht zwar so auf dem Tacho, muss aber nichts heißen.
Ein Verkäufer winkt ab. Tachomanipulation? Lohnt sich hier nicht. "Was wollen Sie an einem Tacho herumdrehen, wenn das Auto eh nur 500 oder 1000 Euro kostet?", fragt er. Nun ist es nicht so, dass hier nur kleine, billige Rostkarren auf dem Hof stehen. Experten rechnen ohnehin vor: Kleines Auto = kleine Manipulation = kleine Gewinnmitnahme. Großes Auto = großer Dreh = Riesengeschäft. Der Verkäufer sagt noch, dass eh alles in den TÜV-Papieren stehe. Schon klar. Um sicher zu gehen, müsste man gleich auf dem Kiesplatz des Händlers eine ganze Dokumentation stemmen, bestehend aus alten TÜV-Berichten, Reparatur-Rechnungen, Tank- und Ölwechsel-Belegen. Nur: Das gehört leider nicht zum Standardrepertoire.
Technisch ist die Sache keine große Raketenwissenschaft. Über die Diagnosebuchse OBD ("Onboard-Diagnose") lassen sich mit so einem Gerät Fehlercodes auslesen, Zündungsaussetzer analysieren oder Batterieprobleme erkennen. Man kann aber eben auch die Zahl der gefahrenen Kilometer verändern. Einige Experten erklären, dass man das ja gerade eben auch nutzen könne, um manipulierte Tachos wieder auf den Normalstand zu bringen. Nach oben drehen, das geht natürlich immer. Es ist eben nur nicht so lukrativ wie das Nach-unten-drehen.
Die Geräte bekommt man an jeder Ecke
Wie viele so ein Gerät kaufen und warum, ist schwer zu sagen. Das Netz ist voll von Angeboten, und irgendwie kann man sich schwer vorstellen, dass Menschen über 100 Euro investieren, nur um mal eben nachzuschauen, was es Neues zum Thema Zündaussetzer gibt und welche Fehlercodes heute morgen eingegangen sind. Schon seltsam: Das Fälschen von Kilometerständen ist verboten, aber die Geräte kriegt man an jeder Ecke. "Schon der Verkauf und Einsatz solcher Geräte bewegt sich im rechtlichen Grenzbereich", sagt ADAC-Mann Kolke. "Die Behörden sollten sich solche Angebote genau ansehen."
Es gibt Anbieter von Dienstleistungen im Internet, die sind am nächsten Tag schon wieder verschwunden. Ein anderer weist darauf hin, dass "Tachojustierung seit August 2005 in Deutschland strafbar" sei. Die Lösung liege in Holland: "Bei uns in Venlo sind Sie juristisch auf der sicheren Seite, da es hier keine Verbote dafür gibt." Ein anderer wirbt mit diesem Slogan: "Überlassen Sie die Tachoeinstellungen nicht dem Zufall!" Das kann man nun so oder so verstehen. Allerdings weist der Anbieter auch darauf hin: "Jegliche Manipulation an Tachos um mehr Gewinn beim Verkauf zu erzielen, ist verboten".
Datenbanken oder Computerchips als Lösung
Die Bertelsmann-Tochter Arvato hat eigens ein Projekt "Kilometermanipulation" ins Leben gerufen. Projektleiter Thorsten Haag hat mit seinen Leuten eine Datenbank entwickelt, in der Kilometerstände hinterlegt werden können. "Das Problem ist nur: Es fehlt die politische Unterstützung, so etwas auch einzusetzen", klagt Haag.
Naheliegender Verdacht, warum es so schwer ist, Autohersteller und Politik von einer zentralen Datenbank zu überzeugen: Wenn man heute ein solches System einführt, könnte auch der ganze Betrug der vergangenen Jahre hochkommen, vermuten Insider. Nach Diesel-Gate jetzt auch noch eine Art Tachometer-Gate? Besser nicht.
Beim ADAC hält man nichts von Datenbanken. "So etwas wäre vernünftig, wenn es fälschungssicher wäre", sagt Kolke. "Ist es aber nicht." Er setzt auf so genannte HSM-Chips, mit der die Tacho-Daten elektronisch geschützt werden könnten - wenn die Hersteller mitspielten. "Ein HSM-Chip kostet einen Euro, das würde bei einem Hersteller wie BMW oder Mercedes zwei Millionen Euro im Jahr ausmachen."