Fliegen: Neue Kabinenkonzepte:Im Stockbett über den Wolken

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90 Prozent aller Fluggäste reisen in der Economy Class - und das reichlich unbequem. Neue Kabinenkonzepte aus Neuseeland sollen für mehr Komfort sorgen.

Andreas Spaeth

Was eigentlich für den Einsatz an Bord von Langstreckenjets gedacht ist, erinnert ein wenig an ein Liegewagenabteil der Deutschen Bahn - der neue Sitzentwurf für die Holzklasse. Eine Einheit bietet jeweils vier Fluggästen Platz, am Tage sitzt man sich wie im Eisenbahnabteil gegenüber.

Gute Nacht: Skycouches heißt eine der Innovationen in der Economy Class - ganze Sitzreihen werden dabei zu Betten umgebaut. (Foto: N/A)

Zum Schlafen steigen zwei der Passagiere über seitlich eingelassene Stufen eine Etage höher und legen sich in zwei flache Betten. Die beiden anderen bleiben unten, ziehen die Sitze aus und machen daraus zwei Liegeflächen. Am Ende können so die Fluggäste in ebenen Betten schlafen - für alle, die sich heute noch in der Economy-Klasse quälen, ein ferner Traum.

Tatsächlich könnte so eine neue Ära in der Economy-Klasse aussehen. Denn der Sitzentwurf mit dem Namen BunkSpace - übersetzt etwa Etagenbett-Platz - wurde im neuseeländischen Auckland bereits getestet. Die dortige Fluggesellschaft Air New Zealand hat es sich zur Aufgabe gemacht, überkommene Gewohnheiten in der Kabinengestaltung aufzubrechen.

Erste Ergebnisse fliegen seit Anfang April auch auf den Europastrecken nach London, wenn auch nicht die Etagenbett-Variante. "Aber man soll niemals nie sagen", erklärt Kerry Reeves, Produktentwickler der Airline.

Obwohl weltweit rund 90 Prozent aller Fluggäste in der günstigsten Preisklasse unterwegs sind, unternehmen die Fluggesellschaften bisher kaum Anstrengungen, dort das Reiseerlebnis auch nur ansatzweise zu verbessern. Vielmehr geht es darum, möglichst viele Sitzreihen und Sitzplätze in den Flugzeugen unterzubringen - nach dem Motto "Masse statt Klasse".

So sitzen beispielsweise bei KLM, Emirates und Air France in deren Boeing 777 bereits zehn statt bisher neun Passagiere in jeder Reihe. Der Standard-Sitzabstand ist auf magere 31 Zoll, umgerechnet 78,7 Zentimeter, geschrumpft, obwohl die Menschen immer größer und fülliger werden.

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Hintergrund ist, dass die Kabinen von Jets zu den wertvollsten Nutzflächen der Welt gehören. Boeing hat ausgerechnet, dass in einem Hotel für Geschäftsreisende pro Tag etwa 20 Euro Umsatz pro Quadratmeter Zimmerfläche erwirtschaftet werden müssen, um die Fläche rentabel zu nutzen. Für einen Sitz in der Economy Class eines Flugzeugs, den dazugehörigen Anteil von Bordküche und Toiletten mitgerechnet, beträgt dieser Wert 1100 Euro.

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Auf der weltgrößten Messe für Flugzeug-Kabineneinrichtungen, der Aircraft Interiors Expo in Hamburg, überbieten sich die Sitzhersteller regelmäßig mit innovativen Entwürfen; in diesem Jahr sorgte eine ebenfalls einem Zugabteil nachempfundene Business-Class-Kabine für Aufsehen. Solche Ideen aber schaffen es so gut wie nie in die Praxis.

"Viele Konzepte wirken zu radikal, die Branche ist konservativ und fürchtet, Kunden zu verschrecken", weiß Kerry Reeves von Air New Zealand. Seine Airline sei da anders, als vergleichsweise kleines Unternehmen flexibler und zuhause am Ende der Welt: "Wir müssen den Leuten mehr bieten, damit sie den langen Weg zu uns antreten."

Deshalb starteten die Neuseeländer bereits Ende 2007 eine einmalige Testreihe, in deren lange geheim gehaltenem Versuchsprogramm die größten Sitzhersteller 24 Entwürfe vorstellten.

"Da gab es keine Beschränkungen und Denkverbote", so Reeves. Ziel war es, für die bestellten Boeing 777-300ER und Boeing 787-9 ein ganz neues Produkt zu entwickeln - sowohl für Economy als auch für die aufgewertete Zwischenklasse Premium Economy: "Zunächst waren 19 Entwürfe im Rennen, dann hatten wir fünf in der Endauswahl."

Dazu gehörte die Anordnung im Schachbrettmuster mit versetzten Einzelsitzen, was für jeden Passagier bis zu zwölf Zentimeter mehr Beinfreiheit bedeutet hätte. Oder das Modell Flexi-Space mit zwei sich zugewandten, gegenüberliegenden Sitzreihen à drei Sitzen. Eine weitere Idee hieß Cluster: Um einen zentralen Tisch waren jeweils vier Sitze mal längs, mal quer zur Flugrichtung angeordnet. Auch das Etagenbett-Abteil schaffte es bis in die Endausscheidung.

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Zunächst wurden Entwürfe aus Pappe und Sperrholz gefertigt, später funktionsfähige 1:1-Modelle. Echte Vielflieger und Schauspieler, die vorgegebene Rollen verkörperten, wurden auf rund 60 jeweils dreistündige simulierte Flüge geschickt.

Manche Entwürfe wie das Schachbrett fielen unter den Probanden durch, bei anderen wie der Cluster-Idee stieß man auf Zulassungsprobleme, weil Flugzeugsitze extremen behördlichen Anforderungen genügen müssen.

Selbst das favorisierte Etagenbett konnte sich im ersten Anlauf nicht halten. Die Testpersonen empfanden das Sitzerlebnis als klaustrophobisch, technische Schwierigkeiten etwa mit der Sauerstoffversorgung im Ernstfall und das zu hohe Gewicht ließen den Entwurf vorläufig scheitern.

Es wurden aber auch Ideen realisiert und von Air New Zealand umgesetzt. So bietet Spaceseats in der Premium-Economy-Klasse mit Schalensitzen viel Privatsphäre. Und Aufsehen erregen die Skycouches in der Economy, wo sich jetzt aus 20 Dreier-Sitzreihen breite, ebene Liegeflächen herstellen lassen, die gegen Aufpreis gebucht werden können.

"Die Nachfrage ist sehr stark", freut sich Airline-Chef Rob Fyfe, "wir überlegen, auf 40 Reihen aufzustocken." Und bald werden auch andere Airlines diese von Recaro gefertigte Schlaflösung einsetzen können. "Von 2013 an werden die Betten bei weiteren Airlines fliegen, Boeing wird sie als Standard für die 787 anbieten", so Kerry Reeves.

Und wer weiß: Eines Tages geht das Etagenbett vielleicht doch noch in die Luft.

© SZ vom 09.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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