An Nord- und Ostsee:Neue Schiffe für die Seenotretter

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Für 50 Millionen Euro erneuert die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ihre Flotte. Behandelt werden Patienten nun in einem Bordhospital - und nicht mehr in der Messe auf dem Esstisch.

Von Marco Völklein

Ein Seenotrettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). (Foto: dpa)

Gleich zwei Tage nach der feierlichen Indienststellung ihres neuen Schiffes im Juni 2017 mussten Vormann Hanno Renner und seine Leute raus auf die Nordsee. Ein kleines Motorboot sollte mit einem Motorschaden an den Haken genommen werden. Eigentlich keine große Sache, so etwas ist mehr oder weniger Routine für die vier Mann an Bord des in Cuxhaven stationierten Seenotrettungskreuzers Anneliese Kramer. Vormann Renner allerdings entschied dennoch, das Tochterboot Mathias zu Wasser zu lassen und damit den Havaristen in Schlepp zu nehmen. "Man muss ja nicht gleich beim ersten Einsatz für die erste Schramme am neuen Schiff sorgen", erzählt Renner. Selbst erfahrene Seeleute wie er müssten sich erst an ein neues Schiff gewöhnen. "Es ist ja auch eine ganze Menge neu hier an Bord."

Tatsächlich ist die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, abgekürzt: DGzRS, gerade dabei, innerhalb von fünf Jahren insgesamt 16 neue Rettungseinheiten in Betrieb zu nehmen. Es ist eines der größten Neubauprogramme in der Geschichte der 1865 gegründeten Organisation. Mehrere alte Seenotrettungskreuzer und -boote werden außer Dienst gestellt, andere zwischen den 54 Stationen, die die Seenotrettungsorganisation an der deutschen Nord- und Ostseeküste betreibt, umverteilt. Die Anneliese Kramer zum Beispiel löste im vergangenen Sommer den Seenotrettungskreuzer Hermann Helms ab, der gut 30 Jahre lang in Cuxhaven stationiert war und in dieser Zeit mehr als 2500 Einsätze in der Elbmündung und in der Nordsee absolviert hatte.

Die Wärmebildkamera macht die Nacht zum Tag - und erleichtert die Suche nach Vermissten

Auch Vormann Renner und die anderen drei Mitglieder seiner Crew fuhren auf der Hermann Helms. Doch im Unterschied zu dem alten Schiff steuert Renner den neuen Rettungskreuzer nicht mehr von einem offenen Fahrstand ganz oben aus, sondern von der geschlossenen Brücke. "Früher hätten wir jetzt jede Menge Wasser ins Gesicht gekriegt", erzählt Renner bei einer Kontrollfahrt Mitte Dezember in der Elbmündung vor Cuxhaven. Schließlich rücken die Seenotretter auch bei starkem Wind und hohem Seegang aus, "das Wetter hat keine Relevanz für uns", sagt Renner. "Wenn andere reinkommen, fahren wir raus" - so lautet ein Reklamespruch der DGzRS. Jetzt aber sitzt Renner im Trockenen, kann sich auf die vielen Instrumente vor sich, den Verkehr in der engen Schifffahrtsstraße und den Funk konzentrieren, während Maschinist Axel Berg direkt hinter ihm an einem weiteren Pult das Geschehen im Maschinenraum überwacht - nun ebenfalls von der Brücke aus.

Aber nicht nur der geschlossene Fahrstand unterscheidet die Anneliese Kramer von ihrem Vorgängerschiff. Vormann Renner und seine Leute können nun zum Beispiel auch eine Wärmebildkamera nutzen, die es ihnen erleichtern soll, insbesondere bei Nacht über Bord gegangene Menschen zu finden. Bislang standen ihnen dafür nur die starken Suchscheinwerfer auf dem Dach und ihre geschulten Augen zur Verfügung. "Die Kamera macht die Nacht quasi zum Tage", sagt Renner. Am Bug können die Retter zudem nun einen Scheinwerfer zuschalten. Den haben sich die Entwickler der DGzRS bei ihren Seenotretter-Kollegen in Norwegen abgeschaut. "Jedes Auto hat ein Fernlicht", sagt Renner. Warum also nicht auch ein Seenotrettungskreuzer?

Auch unter Deck hat sich an Bord der Anneliese Kramer deutlich etwas getan. So steht den Rettern jetzt ein kleines Bordhospital zur Verfügung, in dem Verletzte behandelt werden können. Das umfangreiche medizinische Gerät dafür war zwar bislang auch schon stets an Bord der Hermann Helms verstaut, "wir sind schließlich der Rettungsdienst auf hoher See", sagt Kai Schöps, der zweite Maschinist an Bord und zugleich ausgebildeter Rettungsassistent. Doch anders als die Besatzung eines Rettungswagens an Land könnten die Retter auf dem Meer in aller Regel nicht mal eben schnell einen Spezialisten oder weiteres Material anfordern, sagt Schöps: "Wir müssen alles dabeihaben." Als Behandlungsplatz diente aber an Bord der Hermann Helms in der Regel der - mit wenigen Handgriffen umfunktionierte - Esstisch in der Messe. Im Deckshaus der Anneliese Kramer hingegen existiert nun ein separater Mehrzweckraum, der auch zur Behandlung der Patienten genutzt wird. Man habe "über die Jahre gelernt, was man so braucht" an Bord eines Seenotrettungskreuzers, sagt Inspektor Holger Freese, der für die DGzRS die Rettungsschiffe mitentwickelt und den Bau der vielen neuen Einheiten beaufsichtigt.

Ähnlich wie bei der Freiwilligen Feuerwehr stehen Ehrenamtliche für Hilfseinsätze auf See bereit

Gut zehn Millionen Euro kostet allein der Bau eines Seenotrettungskreuzers der 28-Meter-Klasse wie der Anneliese Kramer. Eine 20-Meter-Einheit kommt auf etwa fünf Millionen Euro, ein zehn Meter langes Rettungsboot auf eine Million. 51 Millionen Euro investiert die DGzRS, die sich ausschließlich über Spenden und Stiftungserträge finanziert, in ihr aktuelles Neubauprogramm. Ein großer Teil der neuen Schiffe wurde über zweckgebundene Einzelspenden sowie über Nachlässe realisiert. Während die großen Seenotrettungskreuzer in der Regel mit hauptamtlichen Mitarbeitern besetzt sind, leisten auf kleineren Booten Freiwillige Dienst. Vergleichbar mit Mitgliedern einer Freiwilligen Feuerwehr an Land eilen sie bei einem Notfall von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus an die Seenotrettungsstation, besetzen dort das Rettungsschiff und rücken meist binnen weniger Minuten aus.

Gebaut wurde die Anneliese Kramer auf der Fassmer-Werft im niedersächsischen Berne. Allein dort entstanden zuletzt fünf Seenotrettungskreuzer mit Tochterboot und mehrere kleinere Rettungsboote. Notwendig wurde das Neubauprogramm vor allem, weil man viele Schiffe nach 25 oder gar 30 Jahren im Dienste der DGzRS austauschen müsse, erklärt Freese. Allein schon, weil sich die Rettungstechnik weiterentwickle oder es auch Fortschritte bei Navigation, Kommunikation und Antriebstechnik gebe. Zudem hatte die DGzRS nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 die Seenotrettung an der Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern wieder übernommen - und damals binnen weniger Jahre zahlreiche neue Schiffe zwischen der Insel Poel bei Wismar und dem Stettiner Haff bei Ueckermünde stationiert. Nun allerdings, nach mehr als 25 Jahren im Dienst, müssen auch diese Einheiten nach und nach erneuert werden.

Wer auf der Fassmer-Werft in Berne vorbeischaut und einen Blick in eine der großen Hallen wirft, der sieht dort aktuell ein Gerippe aus Aluminiumträgern liegen, das von Arbeitern nach und nach zusammengesetzt wird. Auf dem Boden ist ein großer Plan ausgebreitet, eine Art Schnittmuster, an dem die Arbeiter abgleichen können, ob sie die einzelnen Bauteile richtig angefertigt haben, bevor sie sie in den Rumpf einsetzen. Hier entsteht ein weiteres DGzRS-Rettungsschiff, diesmal der Zwanzig-Meter-Klasse. Noch aber liegt der Rumpf kieloben in der Halle, in einer anderen Ecke wartet bereits der Decksaufbau darauf, irgendwann später mal mit dem Schiffsrumpf "verheiratet" zu werden, wie das die Schiffsbauer nennen. Zuvor aber müssen die Arbeiter mit großen Kränen den Rumpf noch herumdrehen. Anschließend wird der Innenausbau erfolgen. Im Herbst 2018 soll das Schiff an der Schleimündung östlich von Kappeln in Schleswig-Holstein stationiert werden.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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