Tuning von Alpina:Wirbel im Windschatten von BMW

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Immer in Bewegung: Die Autos des BMW-Tuners Alpina sind zwar nicht billig, aber für Vielfahrer eine Art stilvoller Lebensraum auf der Straße. (Foto: Steffen Jahn)

Seit 1965 ist Alpina die erste Adresse für veredelte Modelle des Münchner Autokonzerns. Doch die Transformation zur Elektromobilität stellt den Kleinserienhersteller vor große Herausforderungen.

Von Georg Kacher

Rund 60 Kilometer westlich von München, hart an der Sprachgrenze zwischen bairischer und Allgäuer Mundart, liegt Buchloe, die Heimatstadt von Alpina. Gegründet wurde das Unternehmen von Burkhard Bovensiepen, der sich schon früh mit dem PS-Bazillus infizierte und erst kürzlich mit 84 Jahren in den Ruhestand ging. Die Firma beschäftigt rund 300 Leute, doch allzu bequem ist es in der kleinen, von BMW wohlwollend abgeschirmten Nische zwischen BMW M und BMW Individual nicht mehr. Jede strategische Aktion stimmt Alpina zwar akribisch mit München ab; schließlich soll sich die Fertigung nahtlos ins weiß-blaue System integrieren. Aber die Zukunft ist elektrisch, und da kommen die bayerischen Schwaben als Motorenexperten schon ins Grübeln.

"Weil andere Anbieter den Diesel zunehmend aussortieren, wird diese Nische für Alpina kurzfristig größer", glaubt Andreas Bovensiepen, der die Firma heute mit seinem Bruder Florian führt. Der Alpina D5S ersetzt de facto den eingestellten BMW M550d, die eben erst überarbeiteten Geländewagen XD3 und XD4 werden ohnehin nur mit Selbstzündern bestückt. Allein im großen XB7 schnurrt ein V8-Benziner. "Unsere Kunden sind Vielfahrer, für die häufige Tankstopps ein Greuel sind", erklärt der Chef. "Deshalb hat der E-Antrieb noch nicht allererste Priorität."

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Obwohl der Grundstückskauf für die geplante Erweiterung auf bis zu 2500 Fahrzeuge pro Jahr längst unter Dach und Fach ist, liegen alle Expansionspläne aktuell auf Eis - das Virus lässt grüßen. Alpina ist zwar als Hersteller in den Papieren eingetragen, doch produziert werden die Autos bei BMW, wo die Sondermotorenfertigung die Triebwerke auf Zack bringt und das Fahrwerk direkt am Band nach Vorgabe montiert wird, ehe die klassischen Vielspeichen-Räder draufkommen, deren Design noch älter ist als das unverändert polarisierende Deko-Set. Sonderwünsche in Sachen Lack und Leder erfüllt BMW Individual - demnächst sogar für die X-Modelle aus dem US-Werk Spartanburg. Nur die Lavallina-Bezüge aus feinstem Nubuk entstehen noch in Buchloe in aufwendiger Handarbeit.

Leder-Manufaktur: Bei Alpina werden die Lavallina-Bezüge aus feinstem Nubuk noch selbst genäht, doch die meisten Extras kommen von BMW Individual. (Foto: Steffen Jahn)

Um die Typprüfung der Autos müssen sich die Bovensiepens selber kümmern, und diese Aufgabe ist trotz Kleinserien-Ausnahmeregelung alles andere als ein Kinderspiel, denn fast jeder Markt hat seine eigenen CO2- und NOx-Tücken, und die EU-Grenzwerte sind mit der zuständigen Kommission alle fünf Jahre neu zu verhandeln. Derzeit gilt noch der relativ großzügige Flottenindex von 214 g/km CO2, doch 2022 muss Alpina die Abgase drastisch reduzieren - nur in der Schweiz könnten die Allgäuer neuerdings mit einem blauen Auge davonkommen, und in England gilt unter Boris Johnson sogar Carte Blanche, solange ein Hersteller nicht mehr als 1000 Autos pro Jahr verkauft.

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"Die nächsten fünf bis zehn Jahre sind für uns ein ganz entscheidender Zeitraum", sinniert Andreas Bovensiepen, der ältere Sohn des Gründers. "Wir brauchen relativ schnell Plug-in-Hybride und dann auch voll elektrifizierte Fahrzeuge, keine Frage. Aber wann ist der Markt wirklich bereit für welche Technologie? Wie funktioniert in der E-Welt die Differenzierung zu BMW? Wo holen wir uns die Kompetenz in Sachen Batterie und E-Antrieb?"

Obwohl der 2020er Auftragseingang alle Rekorde brach, beurteilen die Eigner ihre Zukunftsperspektive offenbar als so fragil, dass sie bis Ende Dezember nur eine Handvoll Spezialisten - Software-Profis, Mechatroniker, Regulatorik-Fachleute - neu einzustellen wagten. Investiert wurde stattdessen in zusätzliche Prüfstände, digitales Know-How und innovative Prozesstechnik. Der nächste logische Schritt heißt Plug-in-Hybrid, wobei man in Buchloe die Kombination aus Sechszylinder und E-Modul präferiert. Der Vierzylinder, mit dem Alpina einst erstmals von sich reden machte, passt heute nicht mehr zur Marke, der große V8 lässt sich kaum im Alleingang elektrifizieren, der Diesel hat inzwischen eine zu kurze Halbwertzeit.

Deshalb will das Unternehmen seinen 462 PS starken B3-Sechszylinder mit einem kräftigeren Batteriepaket und der Achtgang-Automatik samt E-Maschine verblocken. Dieser Bausatz reicht für gut 600 PS und 900 Nm Drehmoment, passt in alle Modelle und schleppt als einzigen fahrdynamischen Nachteil ein Mehrgewicht von 250 Kilo mit sich herum. Der Beginn der Elektrifizierung überschneidet sich bei Alpina mit dem Ende des Zweitürers, weil BMW dieses Segment mit M2 und M4 höchstselbst besetzt und der 2019 neu aufgelegte Z4 keinen Nachfolger erhalten soll. Bleiben als Trostpflaster die Gran Coupés auf 4er- und 8er-Basis - viel Status, wenig Emotion.

Wohin steuern? Alpina-Chef Andreas Bovensiepen ist noch nicht ganz sicher, welcher Weg in die Zukunft führt. (Foto: Steffen Jahn)

Auf die Frage nach dem ersten Null-Emissions-Alpina zuckt Andreas Bovensiepen mit den Schultern. "Ich weiß es noch nicht. Es gibt ein paar Optionen, aber bislang kein belastbares Geschäftsmodell." Der vollelektrische BMW iX dürfte als Ikone von Morgen vorläufig außer Reichweite von Dritten stromern, doch der i4 nimmt in den Köpfen langsam Kontur an. Erste Gedankenspiele drehen sich um eine Long-Range-Variante mit Hinterradantrieb, die zwischen 40i und M50i positioniert wäre. Auch der in China gefertigte iX3 bietet im Prinzip ausreichend Spielraum für ein Alpina-Derivat mit zusätzlichem Frontantriebsmodul, das aufkeimende Traktions- und Leistungsbedenken im Handstreich vom Tisch fegen würde. Doch die Wege nach Fernost und zurück sind lang, und das Basisprodukt ist nicht die hellste Kerze auf dem BMW-Kuchen.

Mit den kompakten Fronttrieblern (1er, 2er) ist aus Buchloer Perspektive rein kalkulatorisch kein Blumentopf zu gewinnen. Leider funktioniert auch die anderswo mit Erfolg praktizierte SUV-Offensive nur bedingt, weil BMW die Modelle X5, X6 und den künftigen X8 nicht für Partner-Portale freigeben mag. In grauer Vorzeit hatte der Big Boss Bovensiepen zwar mit dem Gedanken gespielt, das Ital Design NAZCA Konzept mit BMW-Technik in Kleinserie zu bauen, doch dieser Plan (der später mit dem Z8 verwirklicht wurde) scheiterte ebenso am Veto des Kassenwarts wie ein Power-B3 mit V8-Motor und die erst kürzlich angedachte Laufzeitverlängerung des i8 mit Vierzylinder und stärkerem Akku.

O-Ton Buchloe: "Sobald wir auch nur einen kleinen Produktionsabschnitt im Werk neu einrüsten müssten, was bei Blechänderungen fast immer der Fall ist, geht die Rechnung oft nicht mehr auf." Dafür sind bei den Anbauteilen der Fantasie des Veredlers keine Grenzen gesetzt - abgesehen von der BMW-Niere, die unter keinen Umständen aufgehübscht werden darf. Nahezu unbegrenzt erweiterungsfähig sind die Funktionsumfänge und Details wie die spezielle Instrumentengrafik oder das typische grün-blaue Ambientelicht.

Mit den Plänen zur Differenzierung tut sich der Alpina-Vordenker noch schwer, denn die Elektrowelt degradiert klassische Premium-Werte wie Leistung, Drehmoment und Beschleunigung zur neuen Normalität, wobei selbst krasse Überhöhungen kaum noch als Unterscheidungsmerkmale taugen. Stattdessen sind neue Tugenden gefragt wie extreme Reichweite, bequemes Schnellladen oder maßgeschneiderte Algorithmen für Navigieren, Parken, Laden, Abrechnen und Sichern.

Wie kann eine kleine Marke, die sich bislang nicht einmal eine eigene App leisten mochte, im zunehmend aggressiven digitalen Wettbewerbsumfeld ihr Profil nachschärfen? "Das geht nur, indem wir Alpina teilweise anders aufstellen, uns von BMW möglichst klar abgrenzen und den anstehenden Paradigmenwechsel nutzen, um mit kalkulierbarem Risiko Neuland zu erobern - nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch was die erweiterte Einbindung der Nutzer betrifft. Ziel ist es, das Fahrerlebnis stärker zu emotionalisieren und den Charakter des Produkts als Gesamtkunstwerk klarer herauszuarbeiten." Zum Thema Tempolimit und EU7-Abgasnorm schweigt Radio Buchloe allerdings.

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