Luftrettung:Adrenalin im Cockpit

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Übung im Simulator: Die Trainer können den Piloten Probleme und Technikausfälle einspielen. Darauf muss richtig reagiert werden. (Foto: Christoph Papsch)

Im Simulator absolvieren Piloten von Rettungshubschraubern ihre Aus- und Weiterbildungsflüge - und setzen sich dabei Situationen aus, die sie in der realen Welt so nie trainieren könnten.

Von Marco Völklein

Andreas Schmidt schwebt in einem weiten Linksbogen über der Unfallstelle ein. Unten auf der Straße hat sich bereits ein Einsatzfahrzeug der Feuerwehr positioniert, Blaulicht blitzt, auf der Straße dahinter stauen sich die Autos. Doch Rettungshubschrauberpilot Schmidt achtet zunächst mal auf das weitere Umfeld. Rechts von ihm verläuft eine Hochspannungsleitung, unten neben der Straße leuchtet eine einzelne Laterne schwach in der einsetzenden Dämmerung. "Dort könnte auch ein Kabel verlaufen", sagt Schmidt. Entsprechend viel Abstand hält er von der Laterne als er kurz darauf den Helikopter auf einem abgeernteten Feld direkt neben der Unfallstelle absetzt.

Normalerweise würde Andreas Schmidt nun die beiden Triebwerke seines Rettungshubschraubers abschalten, der Notarzt und der Notfallsanitäter würden aus dem Helikopter nach draußen hechten und zur Unfallstelle eilen. Doch nichts von all dem geschieht. Vielmehr bleibt Schmidt an diesem Montagnachmittag einfach sitzen, lässt sich die Punkte auf der Checkliste für den nächsten Start durchgeben und hebt wieder ab. Denn den Unfall, über dem Schmidt gerade noch gekreist ist, hat es nie gegeben. Das Feuerwehrfahrzeug existiert nur virtuell, auch die Strommasten und die Laterne sind kaum mehr als zusammengesetzte Lichtpunkte auf einer großen, in einer Kugel um ihn herum gespannten Leinwand. Denn Andreas Schmidt sitzt in einem Hubschrauber-Simulator der ADAC Luftrettung in Sankt Augustin und absolviert lediglich einen Trainingsflug.

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Insgesamt drei Simulatoren hält eine Tochterfirma des Autoklubs in dem kleinen Ort in der Nähe von Bonn vor. In einer großen Halle sind die drei halbrunden Kuppeln aufgebaut. Jede von ihnen ruht auf vier Teleskopbeinen, über schmale Brücken, die später weggeklappt werden können, gelangt man in das Innere der Kuppeln. Dort erwartet einen ein komplett ausgestattetes Helikopter-Cockpit; im Heck allerdings, dort, wo sich in einem gewöhnlichen Rettungshubschraubern der Notarzt um den Patienten kümmert, steht eine Art Steuerpult mit mehreren Monitoren und Tastaturen. Von hier aus werden die Simulationen gesteuert, hier sitzt auch der Prüfer, der schaut, ob Pilot Andreas Schmidt an diesem Montag alles richtig macht.

Zweimal im Jahr muss jeder Pilot eines Rettungshubschraubers einen "Checkflug" absolvieren, wie es im Fliegerdeutsch heißt, um seine Lizenz zu erneuern. Außerdem müssen Piloten für jeden einzelnen Hubschraubertyp, auf dem sie später eingesetzt werden sollen, einen mehrwöchigen Einführungskurs absolvieren, um eine sogenannte Typberechtigung zu erlangen. Zudem müssen Flüge auf hoher See, im Hochgebirge oder mit Nachtsichtgeräten trainiert werden, ebenso Landungen auf Kreuzungen zwischen engen Häuserschluchten oder auf einer kleinen Landestelle auf einer Ölplattform im Meer. Vieles davon wurde früher während wirklichen Flügen in realen Maschinen trainiert - das kostete nicht nur Geld und Treibstoff, sondern auch die Nerven von Anwohnern beispielsweise von Flug- und Landeplätzen. Dort kommen solche Trainingsflüge gar nicht gut an.

Im Simulator dagegen üben die Piloten nun nicht nur umweltfreundlicher, sie können dort auch "Szenarien trainieren, die im realen Flugbetrieb gar nicht möglich wären", sagt Thomas Hütsch, der Geschäftsführer der ADAC HEMS Academy, die das Aus- und Fortbildungszentrum in Sankt Augustin betreibt. Wer seine Piloten in deren Rettungshubschraubern zum Beispiel mit einem plötzlich auftretenden Gewittersturm konfrontieren möchte, muss im Simulator nur auf einen Knopf drücken - und nicht darauf warten, dass sich draußen am Himmel etwas zusammenbraut. Zumal in der Realität ohnehin kaum ein Pilot freiwillig seine Maschine in eine Gewitterfront steuern würde.

Bis vor Kurzem betrieb der Klub erst zwei Simulatoren, jeweils einen für die Airbus-Hubschraubertypen EC 135 sowie EC 145. Der dritte Simulator für den Airbus-Typ H 145 ging erst in diesem Jahr in Betrieb. Gut zwölf Millionen Euro kostete die Anschaffung. Die modernen Helikopter vom Typ H 145 kommen mehr und mehr im Luftrettungsdienst zum Einsatz - nicht nur beim ADAC, auch die DRF Luftrettung sowie andere Betreiber setzen darauf. Entsprechend groß sei das Interesse an dem Simulator, sagt Geschäftsführer Hütsch. So lässt nicht nur die Luftrettungstochter des Automobilklubs ihre Piloten in Sankt Augustin aus- und weiterbilden, vielmehr schicken auch die DRF, zahlreiche Länderpolizeien, die Schweizer Luftrettungsorganisation Rega sowie die Betreiber von Ölbohrplattformen oder Offshore-Windparks ihre Crews vorbei.

Dabei zeigt sich dann auch, dass sich die Flieger in der Luft durchaus unterschiedlichen Szenarien stellen müssen - und diese im Simulator entsprechend geübt werden müssen. Schmidt und seine Kollegen von der ADAC Luftrettung zum Beispiel verlassen eine Einsatzstelle, an der sie zum Beispiel einen Patienten aufgenommen haben, in aller Regel rückwärts. An diesem Montag zum Beispiel lässt er an der Unfallstelle mit der Hochspannungsleitung und dem Lichtmast die Maschine zunächst nur einige Meter über dem Boden schweben, dreht dann kurz nach links um fast 180 Grad. So prüft er, ob der Weg nach hinten auch wirklich frei ist. Dann schwenkt er wieder zurück - und hebt anschließend nach hinten oben ab. Der Sinn des Ganzen: "Sollte etwas passieren", sagt Schmidt, sollte also zum Beispiel eine Turbine ausfallen oder der Heckrotor streiken, wäre nach vorne genügend Raum, um den Heli wieder sicher runter zu bringen.

Bei einem Defekt soll der Heli im Wasser landen

Anders dagegen verfahren die Kollegen von Offshore-Unternehmen, wie Thomas Gassmann vom ADAC erklärt. Heben deren Piloten zum Beispiel von einem Montageschiff oder einer Bohrplattform auf hoher See ab, sind sie angewiesen, bei einem Problem oder Defekt im Heli auf keinen Fall erneut das Landedeck anzusteuern - sondern den Hubschrauber möglichst daneben ins Wasser zu setzen. So müssten im Zweifelsfall nur rund fünf bis zehn Millionen Euro für den Helikopter abgeschrieben werden, nicht aber ein Vielfaches davon für ein ganzes Schiff.

Damit die Crew auch im äußersten Notfall richtig reagiert, werden solche Situationen immer und immer wieder trainiert. Andreas Schmidt etwa hat sich auf seinem gut zweistündigen Checkflug schon mehrmals mit einer ausgefallenen Turbine herumschlagen müssen. Auch die Pedalsteuerung war zwischenzeitlich tot, aus einer Nebelwand musste er sich und seine Maschine per Instrumentenflug wieder herausbugsieren. Nun, kurz vor Schluss, fallen sogar beide Turbinen aus - die größte, anzunehmende Katastrophe in einem Hubschrauber. Schmidt fängt die Maschine ab, schlittert mit den Kufen über die Landepiste, setzt sogar vergleichsweise weich auf. Und macht dabei einen äußerst entspannten Eindruck. Aber fühlt er sich auch so? "Naja", gibt er zu, nicht ganz. "Da war schon ordentlich Adrenalin im Blut."

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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