Profil:Ayanna Pressley

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(Foto: Scott Eisen/AFP)

Die US-Demokratin stößt einen Bostoner Polit-Veteranen vom Thron und läutet Wandel ein.

Von Hubert Wetzel

Und wieder hat es einen alteingesessenen Amtsinhaber erwischt. 20 Jahre lang hat der Demokrat Michael Capuano seine Wähler aus Boston im US-Abgeordnetenhaus vertreten. In der Nacht zu Mittwoch endete seine Karriere abrupt. Bei der innerparteilichen Vorwahl unterlag der 66 Jahre alte Politiker überraschend seiner Herausfordererin Ayanna Pressley. Da in dem Wahlkreis bei der Kongresswahl im November kein Republikaner antritt, steht Pressley als Siegerin fest. Die 44-Jährige wird die erste schwarze Frau aus dem Bundesstaat Massachusetts sein, die ins Parlament nach Washington geht.

So wie Capuano ist es in diesem Jahr schon anderen etablierten Politikern ergangen. Nach langen Jahren, in denen sie völlig selbstverständlich zuerst in den Vorwahlen als Kandidaten ihrer Partei, dann in der Hauptwahl im Amt bestätigt worden waren, wurden sie von Rivalen aus den eigenen Reihen vom Thron gestoßen. 2018 ist, bei den Demokraten wie bei den Republikanern, ein Jahr der Rebellion.

In manchen Fällen ist das ein Aufstand gegen das Establishment - rabiate Außenseiter stürzten die alten Parteisoldaten. Oft ist die Revolte auch politisch motiviert - der Amtsinhaber ist den Rivalen ideologisch nicht radikal genug, sie wollten jemanden, der linker oder rechter ist. Für Pressley und Capuano trifft beides allerdings nicht zu. Capuano war stets ein verlässlicher, linientreuer Linker im Abgeordnetenhaus. Pressley hat im Wahlkampf eingeräumt, dass sie nicht anders abstimmen wird als ihr Vorgänger.

Und sie ist auch keine echte politische Außenseiterin, selbst wenn der Parteiapparat im Wahlkampf hinter Capuano stand. Schon Pressleys Mutter war politisch aktiv, die Tochter hat nach dem Studium in Boston zunächst für den Abgeordneten Joseph P. Kennedy gearbeitet, dessen Onkel John F. Kennedy einst Teile jenes Wahlkreises vertrat, den sie nun übernimmt. Später wechselte Pressley ins Büro von Senator John Kerry. Seit acht Jahren ist sie Stadträtin in Boston.

Der wichtigste Unterschied zwischen Pressley und Capuano ist der offensichtlichste: Er ist ein weißer Mann. Sie ist eine schwarze Frau. Er vertritt das alte Boston, sie das neue. Die Stadt in Neuengland, in der früher die Demokratische Partei und die Gewerkschaften ein weißes, männliches, irisch-italienisch-katholisches Politikkartell gebildet haben, gegen das Frauen und Angehörige von ethnischen Minderheiten kaum ankommen konnten, ist in den vergangenen Jahren bunter und weniger elitär geworden. Die HightechFirmen, die sich dort angesiedelt haben, ziehen hoch qualifizierte, junge Mitarbeiter an, darunter viele Einwanderer.

Insofern war Pressleys Sieg nur folgerichtig. In ihrem Wahlkreis sind nur noch ein Drittel der Wähler Weiße. Die Mehrheit sind Schwarze, Latinos und Asiaten. Von der gediegenen Welt der Kennedys, der Kerrys und des Steuerjuristen Capuano sind diese Menschen ebenso weit entfernt wie Ayanna Pressley, deren Mutter als Sekretärin arbeitete und deren Vater drogensüchtig war. Die Zeit war überreif für einen Wechsel, und Pressley hat die Wähler daran in ihrem Wahlkampfslogan auch immer wieder erinnert: "Der Wandel kann nicht warten".

Hinzu kam bei Ayanna Pressley wohl auch eine Art Trump-Effekt. Der republikanische Präsident versetzt viele Demokraten derart in Rage, dass sie für Kandidaten stimmen, die in jeder Hinsicht die Antithese zu Donald Trump sind. Das ist nicht ohne Risiko, denn die Republikaner machen ihrerseits Wahlkampf damit, dass für die Demokraten jetzt angeblich lauter Linksextreme antreten. Es gibt daher Politikstrategen, die davor warnen, dass dezidiert linke Kandidaten und Kandidatinnen wie Pressley, die zum Beispiel offen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump oder die Abwicklung der Grenzschutzbehörde ICE fordern, zwar in ihrem heimischen Wahlkreis gut ankommen, insgesamt der Partei aber schaden könnten.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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