Weltklimagipfel in Kopenhagen:Das vergebliche Ritual

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Alle flehen um Regen, keiner hat einen Schirm dabei: Die Macht der Menschen über das Klima reicht gerade weit genug, dass sie ihre Ohnmacht zu fühlen bekommen.

Burkhard Müller

Es ist noch gar nicht so lange her, da wusste die Menschheit vom Klima nichts. Das Wetter galt ihr als das schlechterdings Hinzunehmende. Für Krankheiten ersann man Kuren (wenn auch nicht alle halfen), der Tod kam nur einmal und ließ sich vielleicht hinausschieben.

Grenzen des Handelns: Gegen gigantische Staubwolken wie hier bei der Flut in Sachsen 2006 weiß die Menschheit sich nicht zu schützen. (Foto: Foto: ddp)

Aber das Wetter hatte man, so oder so, jeden Tag und konnte nicht mehr unternehmen als eine Blume, die, wenn es regnet, nass wird. Zwar hatte man es schon immer mit magischen Praktiken versucht; in trockenen Gegenden gab es die Regentänze, die indoeuropäischen Religionen erhoben den Gott, der über das Wetter gebot, zum obersten Himmels-Chef, und als Jupiter weichen musste, reichte er den Himmelsschlüssel an Petrus, den Apostelfürsten, weiter; an ihn durfte man fortan die Bittgebete richten.

Doch musste selbst dem Frömmsten auffallen, dass, um es vorsichtig zu formulieren, die Korrelation zwischen Gebet und Wetterereignis schwach war. Es gibt die Geschichte von dem italienischen Pfarrer, der seine Gemeinde andonnerte, als sie sich in einem besonders dürren Sommer, um Niederschläge flehend, auf dem Platz des Dorfes zusammenfand: "Ihr Kleingläubigen! Ihr ruft zu Gott um Regen - aber keiner von euch hat einen Schirm dabei!"

Das Wetter stellte den Glauben, insofern er das Wünschen einschloss, auf eine harte Probe. Manche Dinge mochten der Menschheit ihre Ohnmacht krasser vor Augen stellen - aber keins so dauerhaft und kontinuierlich wie die tägliche Erfahrung des ewig unbeständigen Wetters, zu dessen Symbol man das sich drehende Fähnchen auf dem Turm nahm.

Wetter war Schicksal, unmittelbar und allgemein, und ist es in gewissem Maß bis heute. Ob ein Tag ein guter oder schlechter wird, hängt von keinem anderen Einzelfaktor so sehr ab wie von diesem. Selbst Leute, die solche Wetterwendischkeit für unter ihrem Niveau halten, merken doch, wie sich unwillkürlich ihre Stimmung hebt, sobald die Sonne durchkommt.

Einst aber ging es bei diesen Fragen um Leben und Tod. Ein verregneter Sommer bedeutet in unseren Breiten eine verdorbene Grill- und Badesaison, ein kalter Winter erhöhte Heizkostenabrechnungen. Wenn aber früher der Sommer kalt war, reifte das Getreide nicht aus, Hunger war die Folge; kam noch ein böser Winter hinzu, mussten viele sterben. Uns hierzulande kann das Wetter, wie ein zahnlos gewordener Hund, nur noch lästig, aber nicht mehr gefährlich werden.

So dachte man lange. Nur sehr allmählich begann sich durch das, was jeden Tag und im Jahreskreis am Himmel geschieht, eine zweite, überwölbende Kategorie hervorzuarbeiten, die all diese Wechselfälle in sich einbegreift und das Bild ihrer Verteilung liefert: das Klima. Das Klima steckte im Wetter verborgen wie die Mode in den Kleidern, das große Muster in seinen vielen kleinen Konkretionen.

Der Eiszeit auf der Spur

Und das Wort "Klima" zeigt im Deutschen seine Verspätung darin, dass man hier zum Griechischen griff, denn eine altheimische Vokabel gab es dafür nicht. "Klima" bedeutet ursprünglich "Neigung" (nächstverwandt ist "Klimax", die Leiter, die man anlehnt) und bezieht sich auf die Erdachse; denn dass die regionalen Großwetterlagen auf dem Globus etwas mit dem Winkel der eintreffenden Sonnenstrahlen zu tun haben, war schon der antiken Wissenschaft klar, die spätestens seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. von der Kugelgestalt der Erde wusste.

Lange schienen die klimatischen Unterschiede ausschließlich im Raum stattzuhaben, den man dank der Forschungsreisen der Neuzeit immer besser kennenlernte. Dass sich hier auch in der Zeit etwas zu verschieben vermochte: Diese Erkenntnis reifte spät.

Die mutigen Fahrten der Entdecker von Kolumbus bis Amundsen, die zu den Bezirken der Palmen und des Packeises vorstießen, sind Allgemeingut der Bildung geworden; weniger weiß man von dem Scharfsinn, der seit dem 19. Jahrhundert aufgeboten worden ist, um die Schwankungen in der Zeit zu erkunden.

Als detektivischen Geniestreich muss man es zum Beispiel bezeichnen, wie es gelang, der Eiszeit auf die Schliche zu kommen. Wie fanden die riesigen Brocken skandinavischen Granits, die doch nicht schwimmen konnten, über die Ostsee nach Norddeutschland? Warum sind die Alpentäler zu U-förmigen Trögen ausgestaltet statt zu der typischen V-Form, wie die Erosion der Flüsse sie hervorbringt? Woher die merkwürdige girlandenartige Anordnung der Hügelketten in Pommern und Mecklenburg?

Alle diese scheinbar separaten Rätsel klärten sich mit einem Schlage auf, als man die Existenz riesiger Gletscher postulierte; ihr Eis war vergangen, aber die Massen an Material, die sie gehobelt, geschoben und getragen hatten, blieben zurück und ließen sich als Spuren lesen.

Dauerhafter Niederschlag

Den ersten Wissenschaftler, der sie vor seinem geistigen Auge ganz anzuschauen vermochte, muss ein Schauder überkommen haben, der noch von etwas anderem als bloß dem Frosthauch herrührte. Es war eine grässlich erhabene Vorstellung, wie sich hier die Wettersumme langer Zeit zum tödlichen kontinentalen Block aufsummiert hatte.

Seither haben wir immer genauer erfahren, welchen Variationen das Klima der Erde in der Vergangenheit unterworfen war. Das Luftigste, Vergänglichste überhaupt, der Regen, dem der Sonnenschein folgte, und diesem wieder der Regen - es hatte doch, wie in Geheimschriften, seinen dauerhaften Niederschlag gefunden.

Die Jahresringe der Bäume begannen von nassen und trockenen, warmen und kalten Epochen zu erzählen, der Schlamm der Binnenseen, schichtweise gesichtet, gab in den eingebetteten Pollenkörnern Auskunft über den mit den Zeitaltern wechselnden Pflanzenbewuchs, Bohrkerne im arktischen Eis verrieten die Zusammensetzung der Luft durch die Jahrtausende.

Es war unglaublich, dass sich so das Verhauchte rekonstruieren ließ. Unheimlich war es auch, denn man sah nunmehr deutlich, wie flatterhaft nicht etwa nur das Wetter war (das wusste man längst), sondern wie sich in relativ kurzen Zeiträumen sein ganzer Rahmen verschob, in einer Weise, der die Daseinsbedingungen aller Lebewesen von Grund auf verändern musste.

Schon bei dieser Erkenntnis von der historischen Veränderlichkeit des Klimas mischt sich in den Triumph des menschlichen Intellekts, der sich des Verschollenen zurückholend bemächtigt, der Schreck: Auf so dünnem Boden stehen wir mit unseren heutigen zuträglichen Klimaten! Es kann über uns jederzeit hereinbrechen; und wenn das bislang nicht geschehen ist, haben wir einfach Glück gehabt.

Wunsch erfüllt

Dem ersten Schreck folgte der zweite auf dem Fuß, nämlich die unabweisliche Einsicht, dass wir selbst es sind, die diesen Wandel verursachen. Es heißt, wenn die Götter den Menschen Böses wollen, erhören sie deren Wünsche. In diesem Sinn ist der alte Menschheitswunsch, die atmosphärischen Geschehnisse zu beeinflussen, in Erfüllung gegangen.

Es hilft uns wenig, dass wir es nunmehr wissen und zu uns kommen wie ein Schlafwandler auf dem First des Dachs. Hinter dem, was passiert ist, stand kein Masterplan, sich die Erde untertan zu machen. Wir müssen uns selbst erkennen als kraftvollen, aber blinden Faktor, der über die Erde hinweggeht wie ein Gletscher der Vorzeit.

Unsere Vernunft reicht eben aus, um unsere Unvernunft, und unsere Macht, um unsere Ohnmacht zu begreifen: Wir wirken stark, aber anders, als wir uns das vorgestellt haben. Der klimatische Wandel, Nebenprodukt und Hauptkonsequenz der gesammelten menschlichen Aktivitäten auf dem Erdball, wird, das setzt man ohne weiteres voraus, unbedingt einer zum Schlimmeren sein.

Der Wille ist da - doch er wird nichts bewirken: Warum die Menschheit zum Klimaschutz geschubst werden muss, lesen Sie auf der nächsten Seite.

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Wird die Menschheit es schaffen, sich zur Herrin des Prozesses aufzuschwingen und den Klimawandel abzuwenden? Man muss kein übermäßiger Pessimist sein, um festzustellen, dass "die Menschheit" noch nie als einhellig handelndes Subjekt aufgetreten ist; alle großen Veränderungen, die von ihr ausgingen, haben ihre Wirkung in einem bewusstlosen Zusammenspiel vieler zersplitterter Kräfte entfaltet.

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Universale Appelle verpuffen, wo hinter ihnen nicht mächtige und effektive Spezialinteressen stehen. Mit anderen Worten, das ethisch Wünschenswerte kommt nur zum Zuge, insofern es Heuchelei wird. Wie wurde die Abschaffung der Sklaverei in der (westlichen) Welt durchgesetzt? Nur so, dass die fortgeschrittensten Gesellschaften sie nicht mehr brauchten und diesen Umstand als Hebel benützten, um den anderen, die ohnedies zurückfielen, ihren Willen aufzuzwingen.

Menschen, nicht Eichhörnchen

Den Sklaven half das im konkreten Fall wenig. Wenn ein britisches Kriegsschiff von rechts am Horizont aufkreuzte, warf der portugiesische Sklavenhändler die Sklaven nach links über Bord; die Prozedur diente England vor allem dazu, ein allgemeines Kontrollrecht auf den Weltmeeren für sich in Anspruch zu nehmen.

Sollten je die Menschenrechte allgemeine Geltung erlangen, so wird dies bestimmt auf entsprechendem Wege geschehen. Hingegen haben die inständigen pazifistischen Bemühungen vor dem Ersten Weltkrieg diesen keineswegs verhindert, sondern waren, wie man im Nachhinein wohl nüchtern sagen darf, lediglich Indikatoren dessen, was sich anbahnte.

Bisher hat dieser Text einigermaßen undifferenziert die erste Person Plural verwendet und "Wir" gesagt. Dieses Wir hat seine Berechtigung jedoch nur, insofern es Resultate meint: Da sind es denn tatsächlich "Wir", die Menschen, und nicht die Eichhörnchen, die den Schlamassel angerichtet haben.

Sobald es aber um Willensakte geht, zeigt sich sehr rasch, dass es eine solche Gesamtheit nicht gibt, dass die Menschheit auf ihrer gegenwärtigen historischen Stufe zu einem solchen systemisch gar nicht imstande ist. Die Menschheit ist kein "Wir". Ihre höchste subjektsfähige Organisationsform stellt nach wie vor der Nationalstaat dar, auf den in mehr oder weniger schiefem Winkel die großen Kapitalsubjekte treffen.

Man sollte meinen, die Verhinderung der Klimakatastrophe liege im wohlverstandenen Interesse aller. Aber das stimmt nicht. Es liegt im gegenwärtigen Interesse Chinas, seine Wirtschaftsleistung weiterhin rasant zu erhöhen, und darum wird es weiterhin jede Woche eine neue kohleverfeuernde Dreckschleuder bauen.

Schutzlos und schuldlos

Wenn die USA weiterhin ungebremst Energie verbrauchen, werden den resultierenden Anstieg des Meeresspiegels nicht primär sie zu schultern haben, sondern andere. Das ist der Umstand, der am ehesten zu negativen Prognosen veranlasst: Die Gesellschaften und Nationen, die am meisten unter dem Klimawandel werden zu leiden haben, sind diejenigen, die aufgrund ihrer Armut am wenigsten dazu beigetragen haben.

Und weil sie arm sind, können sie sich keine Gegenmaßnahmen leisten. Sie sind schutzlos im Maße ihrer Schuldlosigkeit. Es wird Burkina Faso sein, das sich in Wüste verwandelt, und Bangladesch, das in den Fluten versinkt (wogegen die Niederlande im selben Fall bestimmt ein großes konjunkturförderndes Deichbauprogramm anwerfen). Die Stimme dieser Länder ertönt zwar im Kongress der Menschheit, aber nicht so, dass sie zählt, sondern einzig als Klage.

Gern spricht man vom Prinzip der Verantwortung. Verantwortung aber scheint am besten auf der Schiene linearer Kausalität zu laufen. Wenn Präsident Bush darauf beharrte, seine Regierung sei unschuldig am Untergang von New Orleans, so hatte er, so widerwillig man es zugibt, doch irgendwie recht: Denn weder ließe sich angeben, was und wie viel genau seine politischen Maßnahmen zur Erwärmung des Golfs von Mexiko beigetragen haben; noch auch, ob diese Erwärmung, die unbestritten Zahl und Wucht der Wirbelstürme der Region tendenziell vermehrt, nun gerade speziell den Unglückspfad von Katrina gebahnt hat.

Der gute Wille wird gar nichts bewirken. Die Menschheit als Ganzes kann nicht handeln, höchstens geschubst werden. Als vor zweihundert Jahren in Europa das Brennholz ernsthaft zur Neige ging, wurde sie in Richtung der Steinkohle geschubst. Von der Steinkohle hat man heute keine so hohe Meinung mehr, aber sie war damals die Rettung.

Irgendwie hat es die Menschheit damals geschafft, und zwar ganz ohne internationale Konferenzen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Glatt verlief der Übergang nicht, vielmehr außerordentlich schmerzvoll und opferreich. Der Siegeszug der Steinkohle ging einher mit der Verelendung breitester Bevölkerungsschichten.

Schaudern, Verwunderung, Erleichterung

Unser Brennholz ist das Erdöl. Es wird demnächst wohl so knapp und teuer werden, dass sich niemand mehr leisten kann, es zu verheizen. Was kommt dann? Wir werden sehen. Wir könnten es jetzt schon sehen, wenn wir nicht aus lauter Unlust und Angst in eine Erstarrung unseres Denk- und Vorstellungsvermögens verfallen würden. Die Angst ist durchaus berechtigt, denn die Veränderungen werden möglicherweise so tiefe Einschnitte im Leben eines großen Teils der Menschheit nach sich ziehen, dass es die Verelendung im schwarzen goldenen Zeitalter der Industrialisierung noch übertrifft.

Mit Schaudern, Verwunderung und Erleichterung besieht man solche Dinge im Nachhinein. Mit dem Stoizismus dessen, der keine Alternative weiß, steht man sie durch, solang sie dauern. Doch äußerst ungern sieht man sie als Zukunft auf sich herkommen. Künftige Übel sind die allergrößten.

Bei konkreten Prognosen sollte man vorsichtig sein. Aber zwei sehr allgemeine Vermutungen für die Zeit in, sagen wir, fünfzig Jahren, wenn ein großer Teil der heutigen Zeitgenossen noch leben wird, darf man vielleicht doch äußern. Erstens, was sich heute in der Fortschreibung des Trends als unausweichliche mathematische Funktion darbietet, wird auf irgendeine Weise, die wir noch nicht absehen, gebrochen werden; es wird die entscheidende Neuerung, ja möglicherweise die Erlösung auf einem Weg eingetreten sein, den heute noch keiner mit Bestimmtheit wahrzunehmen vermag.

Auch könnte es ja zum Beispiel geschehen, dass der - betrachtet man den Rhythmus der letzten Jahrzehntausende - überfällige Einbruch der nächsten Eiszeit die Tendenz der Aufheizung überlagert und niederschlägt; so etwas geht offenbar schneller vonstatten, als man bisher geglaubt hat. Zweitens, die Opfer, die bis dahin anfallen, werden so ungeheuerlich sein, dass es uns den Atem verschlagen würde, wüssten wir jetzt schon davon.

Vergebliches Ritual

Was aber die Unlust angeht, so bezieht sie sich auf den Mischzustand von Macht und Ohnmacht, in seiner Dissonanz schwer erträglich, in dem die Menschheit gegenwärtig gefangen sitzt. Diese Menschheit hat ja nicht einmal ihre Kriege im Griff, welche im Gegensatz zum Klimawandel einem klaren und klar umrissenen Vorsatz entspringen - es kommt dabei regelmäßig, wenn man auf die letzten Jahre zurückblickt, jenseits von Sieg oder Niederlage etwas heraus, womit keiner der Akteure gerechnet hat.

Sie hat die Macht, die Welt zu verändern, ja zu erkennen, dass sie es tut. Aber diese Macht reicht gerade so weit, dass die Menschheit, insofern sie die Ergebnisse eben doch als ein kollektives "Wir" erleben wird, über ihre Ohnmacht, der Veränderung in den Arm zu fallen, verzweifeln muss.

Kopenhagen wird stattfinden als ein Ritual, dessen schmerzliche Vergeblichkeit sich schon jetzt abzeichnet, das die organisierte Menschheit aber glaubt, sich keinesfalls erlassen zu dürfen. Sie ruft sich voll Inbrunst selbst um Hilfe an, wohl wissend, dass es nichts nützen wird. Alle flehen um Regen, und keiner hat einen Schirm dabei.

© SZ vom 05.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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