Direktor des Vatikanischen Observatoriums:"Gott ist der Grund dafür, dass wir Astronomie betreiben"

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Den Himmel mit einem Teleskop beobachten zu können, macht uns zum Menschen, sagt der Jesuit und Astronom Guy Consolmagno. (Foto: Annette Schreyer/laif)

Die Gesetze des Universums zu entschlüsseln, ist für ihn eine Form der Religiosität: der Jesuit und Astronom Guy Consolmagno, Direktor des Vatikanischen Observatoriums, im Gespräch.

Von Edwin Cartlidge

Papst Franziskus hat den Jesuiten Guy Consolmagno am 18. September zum neuen Direktor des Vatikanischen Observatoriums ernannt. Ein Dutzend Astronomen beobachten in der Einrichtung den Weltraum, um Asteroiden, Meteoriten, Exoplaneten, die Entwicklung von Sternen und die Kosmologie überhaupt zu erforschen. Das Observatorium befindet sich in der Sommerresidenz des Papstes südlich von Rom und betreibt ein 1,8-Meter-Teleskop in Arizona, wo der klare Himmel bessere Beobachtungen zulässt. Consolmagno, 63, ist in Detroit aufgewachsen und hat zur Planetenforschung promoviert. Nach dem Studium blieb er in der Wissenschaft und lehrte Astronomie, bevor er 1989 Jesuit wurde. Zwei Jahre später begann er, am Vatikanischen Observatorium zu arbeiten, wo er sich auf die Erforschung von Meteoriten und Asteroiden konzentrierte.

SZ: Warum betreibt der Vatikan Astronomie?

Guy Consolmagno: Vor Jahren, als ich nach der Promotion am Massachusetts Institute of Technology geforscht habe, habe ich mir die gleiche Frage gestellt: Warum beschäftige ich mich mit Astronomie, wenn Menschen auf der Welt leben, die Hunger leiden müssen? Ich konnte mir keine zufriedenstellende Antwort darauf geben. Also bin ich mit dem US-Friedenskorps nach Afrika gegangen. Dort habe ich dann immer wieder die gleiche Situation erlebt: Sobald ich gesagt habe, dass ich Astronom bin, wollten die Leute mehr wissen. Diese Menschen hatten kein fließendes Wasser - aber sie wollten unbedingt durch ein Teleskop schauen. Den Himmel beobachten zu können, macht uns zu Menschen - denn unsere Seelen müssen ebenso wie unsere Mägen gefüttert werden. Als mir das klar wurde, bin ich zurückgegangen um Astronomie zu lehren. Darin liegt auch die Antwort auf die Frage, warum der Vatikan Astronomie betreibt: weil es ein wichtiger Teil des Menschseins ist. Deshalb bieten wir zum Beispiel auch Astronomie-Programme in Entwicklungsländern an.

Wann wurde das Vatikanische Observatorium denn eingerichtet?

Die Wurzeln des Observatoriums reichen zurück bis zur Kalenderreform von Papst Gregor XIII. im 16. Jahrhundert, für die astronomische Fragen beantwortet werden mussten. Schließlich hat Papst Leo XIII. die Institution in den 1890er-Jahren gegründet. Er wollte belegen, dass Wissenschaft und Religion einander nicht ausschließen - wie es seit der Auseinandersetzung zwischen Galileo und der Kirche immer wieder behauptet wurde. Außerdem sollte das Observatorium den Status des Vatikan als eigenständigen Staat stärken. Es ging also ein wenig um Politik und ein wenig um die Lehre der Kirche. Man muss sich auch immer wieder vor Augen führen, dass der Vater der Genetik, Gregor Mendel, ein katholischer Mönch war. Und auch die Urknalltheorie wurde von einem katholischen Priester erdacht, von Georges Lemaître. Als Gelehrte sind wir am Observatorium für jede Richtung offen, in die uns die Wissenschaft führt. Meine Arbeit besteht nur darin, gute Wissenschaft zu betreiben. Darüber hinaus gibt es keine Agenda.

Wie sehr interessiert sich der aktuelle Papst für Wissenschaft?

Mein Vorgänger als Direktor des Observatoriums, José Funes, war Argentinier. Als er darüber nachdachte, Jesuit zu werden, stellte er einem führenden Mitglied des Ordens eine Frage: Solle er sofort den Jesuiten beitreten oder erst so viel wie möglich über Astronomie erfahren? Er erhielt den Rat, zunächst zu Ende zu studieren. Der Jesuit, der ihm diesen Rat erteilte, war Jorge Bergoglio, der heutige Papst. Franziskus ermutigte schon vor 30 Jahren Jesuiten, den Kosmos zu erforschen.

Haben vatikanische Astronomen relevante Erkenntnisse erzielt?

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Ich glaube ja, auch wenn sich diese Beiträge ein wenig von denen anderer Wissenschaftler unterscheiden. Es ist nicht so, dass wir einer Ideologie folgen oder durch göttliche Inspiration Erkenntnisse erlangen. Aber wir müssen uns nicht ständig um Fördergeld sorgen und alle drei Jahre neue Anträge stellen. Unsere Arbeit basiert schlicht auf Beobachtungen, die sehr langwierig und mühselig sein können. In den 1930er-Jahren richtete unser Observatorium beispielsweise ein Labor ein, um die Spektrallinien von Metallen zu messen. Auf Basis dieser Daten werden noch heute die Spektren von Sternen interpretiert. Wir verfügen auch über eine der weltweit größten Sammlungen von Meteoriten. Wir katalogisieren ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften und erkunden, wie sich kleine Objekte im Sonnensystem bilden und verändern. Es hat viele Jahre gedauert, bis andere Akteure in unserer Disziplin anerkannt haben, dass diese Themen lohnenswert sind. Man erregt damit zwar kein Aufsehen, produziert aber Daten mit denen Forscher weltweit arbeiten.

Trotzdem - kommt einem Gott nicht doch manchmal in die Quere, wenn man als Astronom die Grundfesten des Universums beforscht?

Ganz im Gegenteil. Er ist der Grund dafür, dass wir Astronomie betreiben. Das gilt sogar, wenn man nicht an Gott glaubt. Zu allererst forschen wir, weil wir es können und weil das Universum Gesetzen folgt. Das ist eine religiöse Vorstellung. Die Römer glaubten ja hingegen an Götter, die je nach Laune in die Natur eingreifen. Wer dieser Vorstellung anhängt, kann in der Tat nicht als Astronom arbeiten. An einen einzigen, übernatürlichen Gott zu glauben ist etwas anders. Man muss auch akzeptieren, dass das Universum etwas reales und keine Illusion ist. Und man muss die Meinung hegen, dass es sich lohnt, sein Leben der Erforschung des Weltalls zu widmen, selbst wenn man dadurch nicht reich und berühmt wird. Die Gegenwart Gottes zu spüren, wenn man morgens aufsteht, gibt einem die Inspiration, genau das zu tun.

Was möchten Sie als Direktor des Observatoriums erreichen?

Vor allem möchte ich anderen Astronomen den Raum bieten zu forschen. Und ich möchte der Welt verdeutlichen, dass die Religion die Astronomie unterstützt. Oft müssen das insbesondere gläubige Menschen erst einsehen; sie sollten erkennen, dass Astronomie etwas Wundervolles ist, vor dem sie keine Angst haben müssen. Ich zitiere oft Johannes Paul II., der über die Evolution gesagt hat: "Wahrheit kann Wahrheit nicht widerlegen." Wenn man glaubt, schon alles über die Welt zu wissen, ist man kein guter Wissenschaftler; und wenn man meint, alles über Gott zu wissen, dann ist der eigene Glaube in Gefahr.

Dieses Interview ist im Original in der aktuellen Ausgabe von "Science", dem internationalen Wissenschaftsmagazin erschienen, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.sciencemag.org, www.aaas.org. Dt. Bearbeitung: Sebastian Herrmann

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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