Tierkrankheiten:Massensterben der Grünfinken

Plötzlich lagen Dutzende tote Grünfinken in deutschen Gärten. Wissenschaftler kommen der Ursache des Vogelsterbens nun näher - und sehen in ihr ein "Warnsignal".

D. Lingenhöhl

Apathisch und mit aufgeplustertem Gefieder sitzen die Vögel im Garten. Der Schnabel ist verklebt, die Tiere atmen flach und schlafen viel. Wenig später sind sie tot. Die Obduktion ergibt gelbliche Beläge im Schlund und häufig Körner im Hals, die die Tiere nicht mehr schlucken konnten.

Tierkrankheiten: Mindestens 800 tote Grünfinken haben Tierschützer gezählt.

Mindestens 800 tote Grünfinken haben Tierschützer gezählt.

(Foto: Foto: dpa)

Ein merkwürdiges Singvogelsterben beschäftigt momentan Naturfreunde und Veterinäre im Norden und Westen Deutschlands. "Bislang wissen wir von etwa 800 toten Grünfinken. Die Dunkelziffer dürfte aber viel größer sein und im Bereich einiger tausend Vögel liegen", schätzt Ingo Ludwichowski vom Naturschutzbund (Nabu) in Schleswig-Holstein.

Seit Anfang Mai breitet sich die Krankheit aus. Es begann in Schleswig-Holstein, kurz darauf fand man in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen tote Grünfinken. Nur der Süden blieb bislang verschont. "Von dort kennen wir nur Einzelfälle. In Bayern etwa starb bis jetzt wohl nur ein Grünfink mit ähnlichen Symptomen", so Ludwichowski.

Um den weiteren Verlauf und die Ursachen zu ergründen, hat sein Verband dazu aufgerufen, sterbende und tote Tiere an den Nabu zu melden und in die Veterinärämter der Bundesländer zu bringen. Dort landen sie unter anderem bei Martin Peters vom Staatlichen Untersuchungsamt im nordrhein-westfälischen Arnsberg. Er und seine Kollegen sind bei der Aufklärung der mysteriösen Todesserie schon einen Schritt vorangekommen. "Die Singvögel sterben an einem parasitären Einzeller, der Trichomonas gallinae heißt, und den wir schon lange von Greifvögeln und Tauben kennen", sagt Peters. Jungtauben bilden bei einem Befall eine Krankheit namens Gelber Knopf aus.

Peter Berthold von der Vogelwarte Radolfzell verweist auf den Winter vor zwei Jahren: "Damals verendeten im Münsterland mehrere tausend Ringeltauben an den Trichomonaden - allerdings weniger öffentlich, da sie seltener in Hausgärten kommen."

Rätsel um die Parasiten

Warum die Parasiten plötzlich gehäuft Finken töten, wissen die Vogelexperten nicht. "Vielleicht hat sich der Erreger verändert oder die Umwelt", mutmaßt Peters. In Europa gab es nach Information von Ingo Ludwichowski in den vergangenen Jahren öfter Massensterben von Grünfinken. 2001 verendeten in Frankreich viele der Vögel. Sicher nachgewiesen wurden die Trichonomaden auch 2005 in Großbritannien; im vergangenen Jahr waren Irland, Norwegen und nochmals Frankreich betroffen.

In Deutschland fiel die Seuche zuerst Vogelfreunden auf, die die Tiere auch im Sommer fütterten. "Plötzlich lagen in Itzehoe 40 tote Finken in den Gärten, dann 80 in Hamm, in manchen Dörfern verteilten sich die verendeten Vögel über den gesamten Ort. Und inzwischen sind auch einzelne Buch- und Distelfinken, Dompfaffen und Kernbeißer betroffen", sagt Ludwichowski, dessen Verband zunächst verseuchtes Vogelfutter in Verdacht hatte.

Martin Peters tippt jedoch auf eine andere Quelle: "Wir gehen momentan weniger von kontaminierten Futterhäuschen aus. Wahrscheinlich stecken sich die Tiere über das meist ebenfalls angebotene Trinkwasser an." Mindestens 24 Stunden kann der Erreger darin überleben und weitere Vögel infizieren - zumal kranke Finken mehr trinken als gesunde.

"Das warme und feuchte Wetter der vergangenen Wochen hat das Problem möglicherweise verschärft", vermutet Berthold, der prinzipiell die Fütterung der Vögel im Sommer begrüßt. "Insgesamt überwiegt der Nutzen. Durch die veränderte Landwirtschaft fehlen den Finken oder Sperlingen jedes Jahr etwa eine Million Tonnen Samen, weil Wildkräuter verschwunden sind. Dieser Nahrungsmangel hat bei vielen Arten einen dramatischen Bestandsrückgang mit ausgelöst."

Sollten kranke oder tote Vögel gefunden werden, empfiehlt der Wissenschaftler, das Futterhaus für ein paar Tage zu schließen und in dieser Zeit auch kein Wasser anzubieten. Doch auch wenn manche Vogelbeobachter melden, dass sie überhaupt keine Grünfinken mehr sehen, entwarnt Peter Berthold: "Die Grünfinken gehören zu unseren häufigsten Vögeln und ihr Bestand wächst. Der Tod einiger Tiere schadet also weder der Art noch dem Ökosystem."

Künftig könnte sich dies aber ändern, glaubt der Forscher. Klimawandel und Globalisierung begünstigen exotische Krankheiten. Vor einigen Jahren etwa beklagten die Bewohner von Wien, dass keine Amseln mehr sängen. Tatsächlich starb ein Großteil der Vögel durch das sogenannte Usutu-Virus, das aus Südafrika stammt. Ingo Ludwichowski hat wohl recht, wenn er sagt: "Das Grünfinkensterben ist ein Warnsignal."

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