Psychologie:Lügen ist eine Leistung

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Ertappen Eltern ihr Kind beim Schwindeln, ist ihre Beklemmung groß. Doch Psychologen zeigen: Der kreative Umgang mit der Wahrheit ist ein Zeichen geistiger Reife.

Von Sebastian Herrmann

Jemand hat die Schokolade aus dem Kühlschrank geklaut. Eine Tafel Voll-Nuss mit Nougatcreme, die vorgesehen war, den Feierabend der Eltern zu versüßen. Die Spur führt zum älteren Sohn. In seinem Zimmer, schlampig versteckt unter dem Bett, liegt das Verpackungspapier. Strenge Frage an das Kind: Ob es die Schokolade aus dem Kühlschrank gegessen habe, ohne vorher zu fragen. Nein, lautet die Antwort, welche Schokolade überhaupt?

Die eigenen Kinder bei einer Lüge zu ertappen, lässt Zweifel aufwallen. Was ist schiefgelaufen, dass schon die Kleinen die Wahrheit für ihre Zwecke manipulieren? Doch die Ergebnisse der Entwicklungspsychologie können Eltern von ihrem Selbstvorwurf entlasten: Es sei völlig normal, dass Kinder lügen, und ließe sich sogar als Zeichen geistiger Entwicklung und Reife interpretieren, sagen Forscher.

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Mogeln, Bestreiten, Lügen

Diese tröstlichen Botschaften stecken auch in einer aktuellen Studie, welche Psychologinnen um Angela Evans von der kanadischen Brock University im Journal of Experimental Child Psychology veröffentlich haben. Die Forscherin organisierte ein Vertrauensspiel mit Drei- bis Achtjährigen. Im Rücken der Kinder lag jeweils ein Stofftier, das sie erraten sollten. Als Tipp spielte die Psychologin ein Geräusch vor, welches auf das Tier hinwies. Dann folgte der eigentliche Versuch. Die Erwachsene verließ unter einem Vorwand das Zimmer und ermahnte zuvor das jeweilige Kind, bis zu ihrer Rückkehr nicht zu schummeln und sich umzudrehen.

Die Kinder verhielten sich, als liege eine unwiderstehliche Tafel Schokolade hinter ihnen: Fast 80 Prozent der Kleinen mogelten und sahen nach dem Kuscheltier, sobald sie alleine waren. Von diesen bestritten auf Nachfrage ebenso viele ihren Regelverstoß und logen. Die Zahlen decken sich mit denen, die der auf dem Themengebiet führende Wissenschaftler Kang Lee von der Universität Toronto mit Kindern weltweit mit dem gleichen Versuch erhoben hat: Etwa drei Viertel schummeln, und von einem Alter von vier Jahren an versuchen gut 80 Prozent, das mit einer Lüge zu verschleiern. Wie beruhigend - es wäre also eher außergewöhnlich, wenn ein kleiner Schokoladendieb seine Tat sofort eingesteht.

Die zweite gute Nachricht für besorgte Eltern lautet: Zu lügen stellt eine kognitive Leistung dar. Auch das lässt sich aus der Studie von Angela Evans lesen. Die Psychologin stellte fest, dass Kinder mit jüngeren Geschwistern häufiger und erfolgreicher flunkern. Das liege wohl daran, so die Forscherinnen, dass diese kleinen Lügenbarone mit ihren Brüdern und Schwestern die Fertigkeiten einüben können, die für eine erfolgreiche List nötig ist: zu verstehen, was im Kopf der anderen vorgeht.

Im täglichen Umgang mit den kleinen Geschwistern bekommen sie ein gutes Gespür dafür, was diese wissen, wie manipulierbar sie sind und welche Lüge passend ist, um einen Vorteil zu erzielen. Das ist eine Leistung.

Im Fall der gestohlenen Schokolade bedeutet das: Nur wenn der Täter glaubt, den Eltern fehlten Beweise für die Tat, bestreitet er diese. Doch ist er überführt, räumt er alles ein und lässt sich eine Ausrede einfallen - wie gerissen. Die Moral für besorgte Eltern: sich entspannen und ein besseres Schokoladenversteck einfallen lassen.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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