Nach Hacker-Angriff:Schlammschlacht um den Klimawandel

Die gestohlenen E-Mails von Klimaforschern zeigen: Da kommunizierten keine Heiligen. Doch Stoff für Verschwörungstheoretiker bieten sie trotzdem nicht.

C. Schrader

Es geht längst nicht mehr um Recht oder Fakten, nicht einmal mehr um Argumente. Es geht nur noch um Ansehen und die Frage, an wessen wissenschaftlicher Karriere ein Makel kleben bleibt - jetzt, da alle Welt die E-Mails einer Gruppe von Klimaforschern lesen kann.

Nach Hacker-Angriff: Wird es auf dem Globus immer heißer - oder sind die Theorien der globalen Erwärmung nur ein riesiger Schwindel?

Wird es auf dem Globus immer heißer - oder sind die Theorien der globalen Erwärmung nur ein riesiger Schwindel?

(Foto: Foto: AFP)

Das erste Opfer der Affäre ist Phil Jones, bisher Leiter der Climatic Research Unit (CRU) an der englischen University of East Anglia. Bei einem Hackerangriff auf den E-Mail-Server seines Instituts hatten Unbekannte vor zwei Wochen Tausende E-Mails und Dokumente aus den vergangenen 13 Jahren gestohlen und im Internet veröffentlicht.

In dieser Korrespondenz diskutieren Jones und seine Kollegen unter anderem darüber, wie sie auf Angriffe gegen ihre Arbeit reagieren sollen. Ebenfalls im Fokus des E-Mail-Verkehrs steht der Amerikaner und einflussreiche Klimaexperte Michael Mann, heute an der Pennsylvania State University.

Beide Hochschulen haben nun eine Untersuchung angekündigt, in der es unter anderem darum geht, ob sich die Forscher an die Regeln der Wissenschaft gehalten haben. Phil Jones lässt während dieser Zeit seinen Posten als Direktor der CRU ruhen.

Längst interessiert es niemanden mehr, dass das Plündern des Servers vermutlich ein Verbrechen war und die E-Mails vertraulich. Blogger und Leserbriefschreiber aus aller Welt haben sich einzelner, oft aus dem Zusammenhang gerissener Sätze aus dem Diebesgut bemächtigt und geben diese als Belege für eine Verschwörung der Klimaforscher aus.

Ist die globale Erwärmung nur ein Riesenschwindel? Die Veröffentlichung der E-Mails kurz vor dem Gipfel in Kopenhagen ist wohl kein Zufall.

Um die Schärfe zu verstehen, mit der die Diskussion über den Schriftverkehr der Klimaforscher nun geführt wird, muss man einige Jahre zurückblicken. Mann und Jones verantworten wichtige Studien über die Entwicklung der globalen Erwärmung. Sie standen bereits öfter wegen ihrer Arbeiten unter großem Druck sogenannter Klimaskeptiker.

Beschwerden und Forderungen

Das ist ein Sammelbegriff für eine Schar von Kritikern, meist Laien, die ohne Qualifikation und Erfahrung in der Klimaforschung versuchen, den etablierten Wissenschaftlern Fehler nachzuweisen. Sie versuchen, den inzwischen großen Konsens der Forschung zu sprengen und eine politische Einigung zum Klimaschutz zu sabotieren. Sie bombardierten Mann und Jones mit Beschwerden und forderten, die Originaldaten zu deren Arbeiten einsehen zu können - oft mit wenig zivilisierten Worten und Mitteln.

"Diese Leute nehmen sich das Recht, sämtlichen Unrat über uns auszuschütten, und fordern dann von den Klimaforschern, Heilige zu sein", sagt Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des deutschen Beirats für globale Umweltveränderungen und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Die gestohlenen E-Mails zeigen nun, dass da keine Heiligen kommunizierten.

Zwar wundert sich auch Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut, "wie geduldig die noch mit ihren Kritikern umgehen". Aber Mann und Jones diskutieren auch, wie man die Anfragen nach Daten abblocken und wissenschaftliche Arbeiten von Kritikern aus Fachblättern oder dem Bericht des Weltklimarates IPCC heraushalten könne.

Das hat etwas von vertraulichen E-Mails zwischen Steuerberater und Klient, in denen sie darüber diskutieren, wie sich das Finanzamt austricksen ließe. Nicht wirklich klug und moralisch, aber entscheidend sollte in beiden Fällen sein, was davon später Wirklichkeit wurde. Das klären nun Kommissionen, aber darum geht es bei den gestohlenen E-Mails schon nicht mehr. Es geht nur noch um den äußeren Anschein und ob er der Wissenschaft schadet.

Vorwurf der Wagenburg-Mentalität

"Obwohl die Klimawandel-Leugner seit vielen Jahren mit kompletten Erfindungen, Schwindel und Betrug arbeiten, sehen jetzt die Klimaforscher schlecht aus", schreibt der Kolumnist George Monbiot vom Londoner Guardian.

Das sehen auch manche Klimaforscher so. Hans von Storch vom Forschungszentrum GKSS in Geesthacht bei Hamburg sagt zum Beispiel : "Man erkennt in den E-Mails ein Kartell, das versucht, alternative Ansichten aus dem wissenschaftlichen Prozess herauszuhalten." Die Daten Interessierten nicht zur Prüfung zu geben hält er für unethisch: "Gerade unfreundlich gesinnte Leute sollten sie lesen dürfen, sonst hat das mit der Informationsfreiheit doch gar keinen Sinn."

Temperaturmessungen bestätigt

Judith Curry von der Georgia Tech University wirft Mann und Jones eine "Wagenburg-Mentalität" vor, die das Prinzip des offenen Austauschs in der Wissenschaft verletze. Mit Kritik und Kritikern aktiv umzugehen, die Einwände zu prüfen, zu entkräften oder Fehler einzuräumen verhindere doch, "dass aus Maulwurfshügeln Berge werden".

Klimaskeptiker feiern solche Zitate, aber es ist bestenfalls ein Teilerfolg. Selbst wenn sich bestätigen sollte, dass Mann und Jones den wissenschaftlichen Comment verletzt haben, bedeutet das nicht, dass ihre Arbeiten falsch sind.

Die Temperaturmessungen des CRU werden durch zwei Datensätze unabhängiger amerikanischer Institute bestätigt; Manns Ergebnisse über die Entwicklung der vergangenen 2000 Jahre sind von etlichen Arbeitsgruppen nachvollzogen worden. Zudem schwächen die E-Mails die inhaltliche Aussagekraft der Arbeiten nicht, sagen Klimaforscher.

Phil Jones wird vor allem vorgeworfen, dass er in einer E-Mail von 1999 von einem "Trick" sprach, den er angewendet habe. Da ging es um eine Graphik, und Jones möchte das Wort als "Kniff" ("a clever thing to do") verstanden wissen. Nichts sei manipuliert oder vertuscht worden. Das bestätigen viele prominente Beobachter.

"Daran war nichts methodisch Unsauberes", sagt zum Beispiel Jochem Marotzke, Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie. Hans Joachim Schellnhuber ergänzt: "In den E-Mails ist kein Indiz für eine große Verschwörung, die haben nichts manipuliert."

Wilde Behauptungen

Andrew Watson, der an derselben Universität wie Jones arbeitet, sagte der BBC: "Wenn das (bisher Bekannte) alle Beweise für eine Verschwörung sind, die in Tausenden vertraulicher E-Mails zu finden sind, ist das ziemlich erbärmlich." Und George Monbiot vom Guardian schreibt: "Die Leugner des Klimawandels haben wilde Behauptungen aufgestellt, die von dem Material keinesfalls gestützt werden."

Diesen Satz zitieren die sogenannten Klimaskeptiker übrigens nicht, haben sich aber mit Freude auf Monbiots Forderung gestürzt, Phil Jones solle zurücktreten. Sie verbreiten auch das Gerücht, die CRU habe unter dem Druck der Anfragen ihre Rohdaten vernichtet.

Das bestreitet die Universität. Zwar seien in den achtziger Jahren, weit vor Jones' Zeit als Direktor, einige Magnetbänder und Aufzeichnungen beim Umzug des Instituts vernichtet worden. Aber 95 Prozent des Materials sei vorhanden und stehe längst öffentlich zur Verfügung.

"Ich habe gar keine Zweifel an den Daten von CRU. Sie sollten nur überprüft werden können", fasst Hans von Storch die Affäre zusammen.

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