Meteorologie:Und jetzt: das Wetter von übermorgen

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Wettervorhersagen sind inzwischen bereits sehr genau. Mit Hilfe neuer europäischer Satelliten sollen die Prognosen von Sonnenschein und Regen allerdings noch zuverlässiger werden und weiter in die Zukunft reichen.

Alexander Stirn

Starken Regen hatte der Wetterbericht vorhergesagt. Die graue Wolkensuppe über Toulouse hält sich allerdings nicht daran. Lediglich ein paar Tröpfchen fallen auf die Werkshallen des Raumfahrtkonzerns Astrium im Süden Frankreichs. Es sind schmucklose Industriebauten mit seltsam abgerundeten Ecken und streng bewachten Türen. Dahinter ist es knochentrocken, die Temperatur ist konstant, die Luft ist so rein, dass jede Feinstaubrichtlinie wie ein Aufruf zur Umweltverschmutzung klingt.

Seit 2006 bereits im All ist der europäische Wettersatellit Metop-A. Der neue Hoffnungsträger der Wetterforscher ist sein Nachfolger Metop-B. (Foto: ddp)

Und dennoch geht hier alles ums Wetter: Im fahlen Licht der Deckenlampen montiert Astrium gerade die neueste Generation meteorologischer Satelliten - hochkomplexe Maschinen, die die Erde aus neuen Perspektiven beobachten sollen. Meteorologen erhoffen sich von ihnen bessere Daten. Sie sollen sicherstellen, dass die Vorhersagen noch genauer, noch zuverlässiger werden; dass dort, wo starker Regen prognostiziert wird, auch starker Regen vom Himmel fällt.

Metop-B heißt der jüngste Hoffnungsträger. Sechs Meter hoch ragt er in den Reinraum - wie ein Kleinbus, den jemand in Goldfolie eingepackt und anschließend mit allerlei Schachteln, Schüsseln und Rohren verziert hat.

Wenn er im kommenden Jahr in den Weltraum startet und seine Solarzellen ausklappt, wird der Koloss sogar 17,6 Meter lang sein. In einer Höhe von 820 Kilometer soll er sich dann ums Wetter kümmern. Verstärkung bekommt er von seinem Vorgänger Metop-A, der bereits seit 2006 seine Runden zieht, und von NPP, einem US-Satelliten, der vor zwei Wochen ins All geschossen wurde und dessen Messungen auch europäischen Meteorologen zur Verfügung stehen.

Die Erwartungen an das Trio sind hoch. " Metopist extrem wichtig für die Qualität unserer Vorhersagen - egal ob kurz-, mittel- oder langfristig", sagt Alain Ratier, Chef des europäischen Wettersatellitenbetreibers Eumetsat, der 26 Länder mit Daten versorgt.

Die neuen Trabanten müssen sich allerdings in ein Netzwerk von Prognoseinstrumenten einfügen. "Radiosonden bilden noch immer das Rückgrat unserer Messungen", sagt Florence Rabier, Abteilungsleiterin im Forschungszentrum des französischen Wetterdienstes Météo-France. Mehrmals am Tag lassen die Meteorologen 650 Ballons bis zu 30 Kilometer hoch in den Himmel steigen. Die Sonden funken Informationen über Druck, Temperatur, Feuchte und Windgeschwindigkeit aus der Atmosphäre zur Erde.

Dabei sind die Messinstrumente ungleichmäßig über den Globus verteilt: Über den Ozeanen und Afrika etwa starten kaum Wetterballons. Auch die Messungen, die von Verkehrsflugzeugen geschickt werden, stammen von wenigen, häufig frequentierten Flugrouten. "Um einen globalen Blick auf die Atmosphäre zu erhaschen, führt letztlich kein Weg an Satelliten vorbei", sagt Rabier.

Seit 1977 betreiben die Europäer daher ihre eigenen Späher: Die Satelliten der Meteosat-Reihe, die gerade in ihre dritte Generation geht, sind dabei auf einer sogenannten geostationären Umlaufbahn unterwegs. Ihr Orbit ist so ausgelegt, dass die Satelliten über einem Punkt am Äquator zu stehen scheinen. So können sie alle 15 Minuten eine vollständige Aufnahme Europas abliefern. Mit einer Flughöhe von fast 36 000 Kilometer sind sie aber weit vom Wettergeschehen entfernt. Von den Polarregionen, an deren Ränder die Islandtiefs entstehen, die das Wetter in Mitteleuropa prägen, sehen sie zudem kaum etwas. Zu flach ist der Blickwinkel.

"Wir brauchen deshalb auch Satelliten, die über die Pole fliegen und deutlich niedriger unterwegs sind", sagt Volker Liebig, Direktor des Erdbeobachtungsprogramms der Europäischen Raumfahrtagentur Esa. Genau diese Aufgabe fällt den Metop-Satelliten zu. Sie sollen einen polaren Orbit einschlagen, der die Späher stets gegen 9.30 Uhr Ortszeit am Himmel auftauchen lässt. Zwar können die Satelliten während ihres 100-minütigen Umlaufs um die Erde nur einen kleinen Bereich der Atmosphäre abdecken, dafür liefern sie ungewohnt scharfe Einblicke.

Zudem hat Metop neuartige Instrumente an Bord: Wie zwei goldene Greifarme sehen die Antennen des "Scatterometers" aus. Das Mikrowelleninstrument soll ermitteln, wie uneben die Meeresoberfläche ist. Das erlaubt Rückschlüsse auf die Windgeschwindigkeiten über den Ozeanen. Zudem peilt ein GPS-Empfänger Navigationssatelliten an, die gerade über dem Horizont auftauchen.

Da sich die GPS-Signale dabei durch die Atmosphäre kämpfen müssen, werden sie leicht abgelenkt. "Daraus können wir Informationen über die Dichte der Luft, die Temperatur und die Konzentration von Wasserdampf ermitteln", sagt Astrium-Projektleiter Martin Müller. Elf weitere Instrumente beobachten unter anderem Wolken, Schneefälle und Spurengase.

Enorme Mengen an Daten kommen dabei zusammen: Seit dem Start von Metop-A im Herbst 2006 ist die Zahl der täglich in Europa verarbeiteten Satellitenmessungen schlagartig gestiegen - von fünf auf mehr als 15 Millionen. Dank NPP und Metop-B soll der Wert nochmals einen Sprung nach oben machen, auf knapp 35 Millionen. Schon heute basiert die 24-Stunden-Vorhersage zu mehr als einem Viertel auf Beobachtungen des europäischen Polarspähers. "Betrachtet man allein die Satelliten, trägt Metop sogar zu 40 Prozent zum Gelingen der Vorhersage bei", sagt Eumetsat-Chef Ratier.

Letztlich entscheidend ist allerdings die Qualität der Prognose. Météo-France-Forscherin Rabier holt ein Diagramm hervor, in dem in bunten Farben die Treffsicherheit der Drei-, Fünf- und Zehn-Tages-Vorhersagen seit 1980 aufgezeichnet ist.

Vor 30 Jahren lag die Drei-Tages-Prognose demnach bei 85 Prozent Treffsicherheit, heute sind es 98 Prozent. Die Fünf-Tages-Vorhersage ist mittlerweile so gut wie vor einem Jahrzehnt die Prognose für drei Tage.

"Das ist eine gewaltige Verbesserung", sagt Rabier. Allerdings sind die bunten Fortschrittskurven in den vergangenen Jahren immer flacher geworden - das ist ein Zeichen, dass es zunehmend schwerer wird, die Vorhersagen weiter zu verfeinern. Lediglich bei den längeren Prognosezeiträumen, über sieben oder gar zehn Tage, ist noch deutlich Spielraum nach oben.

Wie stark der Regen in Toulouse ausfallen soll, hängt zudem nicht allein von den Messergebnissen der polaren Späher ab. Auch Modelle und Simulationen spielen eine wichtige Rolle. "Die Verbesserungen, die wir heute sehen, gehen etwa zur Hälfte auf Satelliten und zur anderen Hälfte auf einen intelligenteren Umgang mit den Daten zurück", sagt Alain Ratier.

Die Computer der Wetterdienste und die Simulationen sind inzwischen so leistungsstark, dass sie sich an immer kleineren Segmenten der Atmosphäre versuchen können. Das erlaubt genauere Ergebnisse, setzt aber auch präzisere Daten voraus. "Wenn die Supercomputer immer besser werden, muss auch die Auflösung unserer Satelliten immer besser werden", sagt Esa-Direktor Liebig.

Die europäische Raumfahrtorganisation macht sich daher bereits Gedanken über die Nachfolgegeneration der Polarsatelliten. Ihre Instrumente sollen nochmals deutlich leistungsfähiger ausfallen - damit allerdings auch größer, zu groß für einen einzelnen Satelliten. Bereits Metop-B geht mit einem Startgewicht von mehr als vier Tonnen und einem Stromverbrauch von beinahe 4000 Watt an die Grenzen des Machbaren.

Von 2019 an soll daher ein Tandem aus zwei kleineren Satelliten die Metop-Aufgaben übernehmen - vorausgesetzt, die europäischen Raumfahrtminister stimmen den Plänen bei ihrem Treffen im kommenden Jahr zu. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Europa auf eine genaue Wettervorhersage verzichten will", sagt Liebig. "Der Schaden für die Volkswirtschaft wäre viel höher als die Kosten für die Satelliten."

Vorsichtshalber haben die Meteorologen schon mal berechnet, wie die Welt ohne Metop aussehen würde. Die Ein-Tages-Vorhersage würde sich demnach um acht Prozent verschlechtern. Wenn zudem noch der amerikanische NPP schlappmachte, mit dem sich Metop die Arbeit teilt, würde der Einbruch sogar bei 20 Prozent liegen.

Die Europäer können sich also einen Ausfall ihrer Satelliten nicht leisten. Obwohl Metop-A noch voll funktionsfähig ist, soll ihm deshalb möglichst bald sein Nachfolger zur Seite gestellt werden. Und auch für den golden schimmernden Koloss aus dem Toulouser Reinraum gibt es bereits Ersatz: In einem Stickstoffzelt in Friedrichshafen lagert Astrium Metop-C, der spätestens 2018 starten soll. "Einmal im Jahr wecken wir ihn auf und überprüfen die grundlegenden Funktionen", sagt Projektleiter Müller.

Insgesamt 3,6 Milliarden Euro wollen die Europäer in Entwicklung, Montage und Betrieb der drei Satelliten stecken. Dass das Trio parallel gebaut wurde, hat die Kosten zumindest etwas gedrückt. Es bedeutet aber auch, dass die Kameras und Instrumente beim Start von Metop-C bereits 20 Jahre alt sein werden. Für Eumetsat-Chef Ratier ist das kein Hindernis: "Die Wissenschaft entwickelt sich weiter. Meteorologen lernen, selbst aus altbekannten Instrumenten immer bessere Informationen herauszuholen."

Nur, warum glauben die Menschen noch immer, der Wetterbericht sei unzuverlässig? "Wetter ist ein chaotisches System und daher nicht immer leicht zu modellieren, vor allem aber ist es ein wunderbares Gesprächsthema", sagt Volker Liebig. Er schaut aus dem Fenster, in den grauen, aber überraschend trockenen Himmel. Liebig schmunzelt. "Wenn es der Unterhaltung dient, vermischen die Menschen gerne einmal schlechtes Wetter und eine schlechte Vorhersage."

© SZ vom 17.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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