Pestizid-Forschung:"Glyphosat war ein Glücksgriff. Es gibt keine Alternative."

Pestizid-Forschung: Eine Mitarbeiterin von Bayer setzt Schädlinge auf Gurkenpflanzen: In Monheim entwickelt der Konzern Mittel, die Insekten und Pilze von Pflanzen fern halten.

Eine Mitarbeiterin von Bayer setzt Schädlinge auf Gurkenpflanzen: In Monheim entwickelt der Konzern Mittel, die Insekten und Pilze von Pflanzen fern halten.

(Foto: Bayer)

Wie viel Chemie muss heute noch in Pflanzenschutzmitteln stecken? Und wie schädlich ist das? Ein Besuch im Labor von Bayer.

Von Varinia Bernau und Elisabeth Dostert, Monheim

Die grüne Stinkwanze liebt Chinakohl, die Pfirsichblattlaus Wirsing und der Kartoffelkäfer, natürlich, Kartoffeln. Jürgen Benting zeigt auf eine Pflanze mit löchrigen Blättern und schlappem Stengel: "Das hier war mal eine Kartoffel", sagt er. "Fünf Käfer ziehen sich so eine Pflanze in wenigen Tagen rein."

Benting ist Biologe und arbeitet für Bayers Agrarchemie-Sparte. Sie entwickelt, produziert und verkauft Mittel gegen Insekten und Pilze. In Monheim, auf halber Strecke zwischen Düsseldorf und Köln, leistet sich Bayer inmitten von Feldern dazu ein Forschungszentrum: 65 Hektar mit Büros, Instituten, einer Substanzbibliothek, Gewächshäusern, einem Bestäubergarten und einem Bienenhaus. In Bentings Welt gibt es Schädlinge und Nützlinge. Stinkwanzen sind böse, Bienen sind gut.

Benting, 49, redet viel über Bienen. Wohl auch weil Umweltschützer Bayer immer wieder vorwerfen, mit seinen Mitteln die Bienenvölker auszurotten. "Die Toxizität eines Wirkstoffs bei Bienen prüfen wir schon in einer frühen Phase", sagt Benting. "Stoffe, die gefährlich für Bienen sind, kommen erst gar nicht aufs Feld." Pflanzen und Schädlinge, die sie für Versuche brauchen, ziehen Benting und seine Kollegen selbst in den Gewächshäusern.

Bentings grünes Reich steht im Gegensatz zu den stinkenden Schornsteinen, mit denen viele Bayer noch immer verbinden. Zwar ist der Konzern mit der Chemie groß geworden, hat sich aus dem Bereich aber immer weiter zurückgezogen. Die tragende Säule ist heute neben dem Pharmageschäft die Agrarchemie. Um diese weiter zu stärken, liebäugelt der Vorstand nun mit der Übernahme des US-Konzerns Monsanto. Durch diesen Verbund könnte ein Unternehmen entstehen, das im Geschäft mit Pflanzenschutz- und Saatgut weltweit den Takt vorgibt.

"Wir testen hier jeden Tag 1000 Substanzen", sagt Benting. "Als ich anfing, haben wir eine komplette Pflanze in ein Wirkstoffbad getaucht und abgewartet, ob der Schädling überlebt, nur lahmgelegt wird oder stirbt. Heute genügen Mengen, die weitaus kleiner sind als ein Tropfen Wasser." Vor ihm liegt eine Platte, so groß wie eine Packung Spielkarten. In jede der 96 Öffnungen wird nicht nur eine Substanz auf ein winziges Stückchen Blatt aufgetragen, sondern auch der Schädling. Allein in der Bibliothek von Bayer in Monheim stecken etwa vier Millionen Substanzen, jeden Tag kommen neue hinzu. "Wir kaufen auch Substanzen von anderen Firmen zu, oder unsere Chemiker erstellen Derivate bekannter Substanzen, um etwa deren Wirkung noch zu verbessern." Aber eine Substanz ist noch kein Wirkstoff, ein Wirkstoff noch kein fertiges Produkt.

Saatgut formen sie zu kleinen Kugeln in konzerneigenen Farben

Am Ende des Tisches steht eine Schale mit Zuckerrüben-Saatgut, in seiner natürlichen Form ist es leicht wie Flocken. So aber kommt es nicht aufs Feld, der Wind würde es wegtragen, in den Maschinen bliebe zu viel davon hängen. Die Hersteller verkleben es mit Holzleim zu kleinen Kugeln, Bayer trägt dann Pflanzenschutzmittel auf. Schließlich sieht das Saatgut aus wie bunte Zuckerkugeln. Jeder Hersteller hat eine eigene Farbe: orange, blau, rot. Corporate Identity bis auf den Acker.

Es ist ein langer Weg von der Substanz bis zum Produkt. Die Entwicklung eines neuen Pflanzenschutzwirkstoffes dauere mehr als ein Jahrzehnt und koste im Schnitt 250 Millionen Euro, sagt Helmut Schramm. Der 58-Jährige führt seit Mitte 2011 in Deutschland das Geschäft mit der Agrarchemie. Benting sucht, Schramm verkauft.

Schramm arbeitet seit 28 Jahren für Bayer, er war in der Türkei, in Großbritannien und den USA. Er hat in Weihenstephan Agrarwissenschaften studiert, beide Eltern kommen von Höfen in Franken. "Seit ich denken kann, habe ich bei den Großeltern die Ferien verbracht", sagt er.

Alle in der Branche verstehen sich als Wohltäter der Menschheit

Als Präsident des Industrieverbandes Agrar (IVA) vertritt Schramm seit drei Jahren auch die Interessen der agrochemischen Industrie. Der Verband zählt 50 Mitglieder: börsennotierte Konzerne wie BASF oder Bayer mit Sitz in Deutschland, Tochterunternehmen internationaler Konzerne wie Monsanto oder Syngenta und Familienunternehmen wie Helm oder Neudorff. Alle verstehen sich selbst als Wohltäter der Menschheit. Als diejenigen, die in einer Welt, in der die Ackerfläche nicht wächst, wohl aber der Hunger einer immer größeren Weltbevölkerung, Landwirtschaft möglich machen.

Etwa 26 Millionen Tonnen Weizen produziere Deutschland im Jahr. "Ohne den Einsatz von chemischem Pflanzenschutz wären die Erträge halb so hoch", rechnet Schramm vor. Mit den fehlenden 13 Millionen Tonnen könne man fast 200 Millionen Menschen ernähren. Schramm macht eine Pause, so als wolle er die Zahl sacken lassen. Und dann entwirft er ein weiteres Szenario: "Wir könnten auch die Landwirtschaft aufgeben. Wir könnten alles importieren, die Deutschen können sich das leisten. Aber dann nehmen wir es anderen weg." Für den Lobbyisten Schramm wäre das ein Fehler - und zwar ein moralischer.

Auch Gifte aus der Natur können tödlich sein, betonen die Vertreter der industriellen Landwirtschaft

Zu einer modernen Landwirtschaft gehören für ihn Herbizide mit Glyphosat. Seine vernichtende Wirkung auf Pflanzen hat Monsanto, der Konzern für den Bayer nun bietet, Anfang der Siebzigerjahre erkannt und mit Roundup das erste Produkt auf den Markt gebracht. Schramm sagt: "Glyphosat war ein Glücksgriff. Es gibt keine Alternative."

Schramm und sein Verband haben dafür gekämpft, dass in der Europäischen Union die Zulassung des Wirkstoffs Glyphosat um 15 Jahre verlängert wird. Glyphosat ist in vielen Totalherbiziden enthalten. Das Wort beschreibt die Wirkung ziemlich genau. Ein Totalherbizid tötet jede Pflanze, Wildpflanzen wie Nutzpflanzen - es sei denn, sie sind gentechnisch verändert und resistent gegen den Wirkstoff. Die Diskussion über die Zulassung von Glyphosat geriet zu einer gesellschaftlichen Debatte über die Landwirtschaft: Wie sollen Lebensmittel hergestellt werden? Wie viel Macht dürfen Konzerne wie Monsanto über die Versorgung mit Nahrungsmitteln haben, einem der grundlegendsten Bedürfnisse jedes Menschen? Wie viel Einfluss darf ein Staatskonzern wie Chem China haben? Lobbyisten von Greenpeace oder Foodwatch gegen Lobbyisten wie Schramm und seinen Verband. Bio-Bauern gegen konventionelle Landwirte. Klein gegen groß. Natürlich gegen chemisch. So einfach sei das nicht, betont Schramm. "Chemisch ist nicht per se schlecht und natürlich ist nicht per se gut." Der Mutterkornpilz etwa befällt Getreide wie Roggen und Weizen. "Sein Gift ist tödlich", sagt Schramm.

Es gab zu Glyphosat viele Untersuchungen. Die Bezeichnung Studie würde Schramm bei vielen nicht gelten lassen. Es gab Schlagzeilen: Glyphosat in Urin, in Bier, in Wein, sogar in Muttermilch. "Die analytischen Methoden sind heute so weit entwickelt, dass sich auch ein Stück Würfelzucker im Bodensee nachweisen lässt", sagt Schramm. "Aber der Nachweis eines Stoffes bedeutet nicht, dass er gefährlich ist." Schramm packt seine Argumente gerne in anschauliche Bilder. "Autofahren ist eine Gefahr, aber man kann sich dagegen schützen, das Risiko eindämmen, sich anschnallen." Am Ende gab es in Brüssel für Glyphosat eine technische Verlängerung um 18 Monate bis Ende 2017. In dieser Zeit soll eine neue Studie der europäischen Chemiebehörde Echa klären, welche Gefahren von dem Mittel ausgehen. "Ich bin enttäuscht", sagt Schramm. "Im Grunde war das ein Verstoß gegen die Regeln der europäischen Zulassungsverordnung."

Sein Verband, betont Schramm, setze sich für eine Kombination aus chemischem und biologischem Pflanzenschutz ein, und für Anbaumethoden, bei denen der Boden fruchtbar bleibt. "Vielfalt ist Zukunft", sagt er. Es ist ein Satz, der auch in den Broschüren seiner schärfsten Gegner stehen könnte.

Auch der Biologe Benting testet in den Gewächshäusern in Monheim nicht nur chemische Wirkstoffe. In einem Glas stecken die Wurzeln von Gurken. Fadenwürmer sind eingedrungen. "Die programmieren die Pflanze gewissermaßen um, so dass sie mit allen Nährstoffen gefüttert werden und nicht die Pflanze", sagt Benting. Solchen Schädlingen kann man auch mit biologischen Pflanzenschutzmitteln beikommen: mit Bakterien, die sich wie eine Wand um die Wurzeln legen. Noch sei der Anteil biologischer Pflanzenschutzmittel bei Bayer gering. "Aber vielversprechend", betont der Forscher.

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