Pestizid-Kampagnen:Wenn Umweltschutz nicht mehr zieht, muss es eben Krebs sein

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Gift im Honig! Glyphosat im Bier! Mit modernen Analysemethoden lassen sich winzige Rückstände in Lebensmitteln aufspüren. Das klingt nach Wissenschaft, schürt aber häufig Verbraucherängste.

Von Kathrin Zinkant

Als Verbraucher muss man heute schon ein ziemlich dickes Fell haben, um überhaupt noch einen Supermarkt zu betreten. Tödliche Gefahren lauern dort nämlich in jedem Gang. Ließen sich die größten Gesundheitsrisiken früher noch mit einem großen Bogen um Fertiggerichte und Junkfood-Regale vermeiden, wartet das Siechtum qua Konsum jetzt auch in der Grundnahrungsmittelabteilung. Bier, Wein, Saft, Gemüse, Brot, kaum ein Basic, in dem nicht irgendein Gift stecken würde. Ein krebserregendes, vor allem. Und jetzt auch noch: im Honig!

Am Sonntag hat der Bund für Umwelt und Naturschutz die Ergebnisse eines Honigtests vorgestellt, der vielen Liebhabern des süßen Natursirups ihren Genuss vermiesen dürfte. Alle heimischen Supermarktprodukte seien mit Insektiziden aus der Klasse der Neonicotinoide belastet. Insbesondere das Insektenbekämpfungsmittel Thiacloprid könne "beim Menschen Krebs erregen und schädlich für die Fortpflanzung" sein. Es ist, zugegeben, nicht die erste Untersuchung, die solche Rückstände in Honig gefunden hat. Allerdings stammten derlei Analysen bis vor einigen Jahren noch von Ämtern, deren Aufgabe solche Tests im Rahmen des Verbraucherschutzes auch sind. Und nicht von Umweltschützern, die sich statt um Artenvielfalt und Grundwasserbelastung nun plötzlich um die Gesundheit von Supermarktbesuchern sorgen.

Der Umweltschutz zieht nicht mehr. Muss man den Kunden deshalb ein Krebsrisiko einreden?

Dieser Schwenk vom Wesentlichen auf Nebenschauplätze scheint sich zu häufen. So fand der Umweltschutzverein Umweltinstitut München im Februar den strittigen Unkrautvernichter Glyphosat in Bier. In geringen Mengen, die als unbedenklich gelten. Aber der Befund kam mit der Aussage, der Stoff sei krebserregend. Das Ergebnis: Verunsicherung. Ähnlich die Analyse von Baumwollprodukten durch eine argentinische Ökoforschungsgruppe im November. Man fand wiederum Spuren von Glyphosat in Gaze und vor allem Tampons.

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Was wenig verwunderlich ist, das Herbizid wird in der weltweiten Baumwollproduktion teils massiv eingesetzt. Wie viel Glyphosat in den Hygieneartikeln verblieben war, kam aber nicht zur Sprache. Dafür das angebliche Krebsrisiko. Die taz resümierte, nun werde die Menstruationstasse wieder ins Gespräch kommen. Sie gilt als umweltfreundliche Alternative zu Tampons. Was aber hat das mit der Gesundheit der Verbraucher zu tun? Und was ist da eigentlich los in der Ökoszene?

Es ist nur ein Verdacht, aber er zwingt sich zunehmend auf: Um ihre teils berechtigten Ziele im Umweltschutz zu erreichen, schüren Ökoverbände gezielt und unberechtigt die Ängste der Verbraucher. Der Honig ist dafür ein gutes Exempel. Tatsächlich gehören Neonicotinoide, abgekürzt Neonics, seit vielen Jahren zu den umstrittenen Umweltgiften. Es sind Substanzen, die toxisch auf das Nervensystem von Insekten wirken. Sie töten saugende und beißende Läuse, Larven, Fliegen und Käferspezies und finden seit den 1990er Jahren international breite Anwendung. In den Vereinigten Staaten wird mehr als die Hälfte aller Ackerflächen mit Neonics imprägniert.

Ein sachlicher Grund ist in den Testergebnissen nicht erkennbar

In der Europäischen Union ist die Anwendung der umstrittensten Wirkstoffe aus der Gruppe der Neonicotinoide seit Januar 2013 nur noch eingeschränkt in Gewächshäusern gestattet, weil sie im Verdacht stehen, das Bienensterben zu befördern. Außerdem entziehen die Stoffe mit ihrer Wirkung auf Insekten Singvögeln die Nahrungsgrundlage. Zudem halten sich die gut löslichen Mittel extrem hartnäckig im Grundwasser. Zwar werden die Stoffe in Licht rasch abgebaut. In lichtloser Tiefe aber dauert es. Bis die Hälfte zerfallen ist, können bei manchen Neonics Jahre vergehen. Das gilt auch für die in Deutschland noch zugelassenen Wirkstoffe Thiacloprid und Acetamiprid, die von Experten allerdings als nicht bienengefährdend eingestuft werden.

Der BUND hat an der Harmlosigkeit der beiden Neonics für Bienen trotzdem weiterhin Zweifel, und das vielleicht nicht mal zu unrecht. Die Ursachen des Bienensterbens sind nach wie vor nebulös. Nach einem zähen Rechtsstreit mit Thiacloprid-Hersteller Bayer musste der Umweltverband alle Aussagen in diese Richtung allerdings vorübergehend von seiner Website nehmen. Der Kampf für den Artenschutz kann erschöpfend sein. Aber müssen deshalb die Verbraucher eingeschüchtert werden?

Ein sachlicher Grund ist selbst in den Testergebnissen nicht erkennbar. Die gemessenen Werte in den teils sehr teuren Honigprodukten liegen sämtlich unterhalb des sogenannten MRL, dem maximal zulässigen Wert für Rückstände der beiden Insektizide in Lebensmitteln. Solche Grenzwerte spiegeln den wissenschaftlichen Stand der Erkenntnis. Bei Neonicotinoiden lautet er: Die Stoffe sind zwar giftig, extreme Mengen können die Entwicklung des Nervensystems bei Ungeborenen und Kleinkindern gefährden. Für die Behauptung des BUND, Thiacloprid sei krebserregend gibt es beim Menschen aber bisher keine Belege. Der Stoff ist nicht genotoxisch, schädigt also nicht unmittelbar das Erbgut von Zellen. Geringe Dosen können daher als sicher angesehen werden.

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"Für den Verbraucher sind diese Mengen definitiv nicht gefährlich", bestätigt Dieter Schrenk von der Technischen Universität in Kaiserslautern. "Man muss solche Befunde im großen Zusammenhang sehen", sagt der Lebensmitteltoxikologe . Die Analysemethoden seien in den vergangenen Jahren einfacher und empfindlicher geworden, so dass sich auch geringste Spuren eines Mittels ohne größeren Aufwand nachweisen ließen. Entsprechend wächst die Zahl der Stoffe, die sich in Lebensmitteln, Körperflüssigkeiten und Produkten des täglichen Gebrauchs aufspüren lassen.

"Das ist Chemie. Die Stoffe verteilen sich, aber in fast allen Fällen hinterlassen sie Spuren", sagt Schrenk. Man habe bei Obduktionen sogar Rückstände von Valium in Leichen gefunden, obwohl vor dem Tod der Betroffenen keine Einnahme des Medikaments dokumentiert worden war. Der Toxikologe hält es daher zwar für gut, dass sich Umweltverbände darum bemühen, Missstände aufzudecken. Wenn dabei allerdings ein spekulativer Zusammenhang herauskommt, der den Verbrauchern unnötige Angst einjagt, endet sein Verständnis. "Es gibt in der Natur unzählige Stoffe, die krebserregend sind oder anderweitig gefährdend", sagt Schrenk. "Wir haben im Labor zum Beispiel gezeigt, dass reiner Zwiebelsaft eindeutig mutagen sein kann". Trotzdem müsse nun niemand Angst vor Zwiebeln haben.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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