Klimaforscher:Keine Manipulation

Klimaskeptiker haben Forschern schwerwiegende Fehler und Datenmanipulation vorgeworfen. Drei neue Untersuchungen verwerfen die Anschuldigungen - fast - vollständig.

Christopher Schrader

Wenn Wissenschaftler angegriffen werden, reagieren sie zunächst wie normale Menschen: Sie ärgern sich, ihr Blutdruck steigt, sie verteidigen sich vielleicht mit erhobener Stimme. Aber dann fangen sie an, Papier mit Sätzen und Argumenten zu füllen.

Dürre in Thailand

Dürren, Überschwemmungen, Stürme - der Klimawandel wird vermutlich gravierende Folgen haben. Britische Forscher sind nach Vorwürfen von Klimaskeptikern vom Russell-Untersuchungskomitee der University of East Anglia in Norwich jetzt entlastet worden.

(Foto: dpa)

Die Attacken auf Klimaforscher, die im vergangenen Herbst vor und nach der Klimakonferenz in Kopenhagen bekannt wurden, sind ein gutes Beispiel dafür. Soeben sind in London, Den Haag und dem Ort University Park in Pennsylvania wieder drei lange Reports veröffentlicht worden, die die Anschuldigungen der Klimaskeptiker wägen und fast vollständig verwerfen.

Zwei verzahnte Affären haben die Klimaforscher erschüttert. Bei der ersten ging es um Fehler im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC. Er hatte unter anderem über Gletscher im Himalaya geschrieben, sie könnten im Jahr 2035 verschwunden sein. Die Zahl war offenkundig falsch, und die Quellen dafür genügten akademischen Ansprüchen nicht - außerdem hatte dort ursprünglich 2350 gestanden.

Die zweite Affäre hat als Zentrum die University of East Anglia in Norwich. Dort hatten Unbekannte den Computer eines Klimaforschungs-Instituts gehackt und gut 1000 E-Mails aus 14 Jahren veröffentlicht und auf angebliche enthüllende Details durchkämmt.

Das Ziel der Hacker war damals gut gewählt, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Die sogenannte Climate Research Unit (CRU) in Norwich liefert der Klimaforschung seit Jahrzehnten wichtige Daten: Sie errechnet einerseits aus aktuellen Messungen die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur und rekonstruiert andererseits aus Baumringen und anderen Messdaten die Temperatur früherer Jahrhunderte.

Dabei arbeiten die Wissenschaftler in England eng mit dem Amerikaner Michael Mann von der Pennsylvania State University zusammen, von dem die berühmte "Hockeyschläger-Kurve" stammt: Sie zeigt, wie die Temperaturen auf der Welt seit dem Jahr 1000 praktisch konstant geblieben sind, um seit ungefähr dem Jahr 1900 rasant anzusteigen.

Kritiker der Klimaforschung stellten seit vergangenem November einige Formulierungen aus der gestohlenen, privaten Korrespondenz als Beweis dar, dass die Forscher entscheidende Klimastudien gefälscht und die Standards wissenschaftlicher Arbeit missachtet hätten.

Zwei schwere Vorwürfe

Dem widerspricht nun das unabhängige Untersuchungskomitee unter Sir Muir Russell. Die Universität hatte es berufen; sein Bericht über die E-Mails und die Anhörung von Zeugen wurde am Mittwoch veröffentlicht.

Die fünf Mitglieder verteidigen den Ruf der Wissenschaftler um den ehemaligen CRU-Chef Phil Jones in klaren Worten: An ihrer Aufrichtigkeit und Disziplin gebe es keinen Zweifel, nichts deute darauf hin, dass sie voreingenommen waren, irreführende Analysen gemacht hätten oder abweichende Meinungen unter Missbrauch ihrer Stellung unterdrückt hätten. Ihr Verhalten habe weder das Spektrum der wissenschaftlichen Beratung für Politiker verfälscht noch die Schlussfolgerungen des IPCC untergraben.

Aber die fünf Mitglieder des Russell-Komitees erheben unter den 15 Schlussfolgerungen ihres Berichts auch zwei schwere Vorwürfe. Erstens sei eine wichtige Grafik aus dem Jahr 1999 "irreführend" gewesen - eben jener "Hockeyschläger", der dann im IPCC-Bericht 2001 eine wichtige Rolle spielte.

Die Forscher hatten beim Anfertigen der Grafik einige Probleme, die rekonstruierten Daten der Vergangenheit mit tatsächlichen Messungen zu verbinden. In einer der E-Mails hieß es darum, sie hätten einen "Trick" verwendet. Jones und andere haben das Wort seither als "Kniff" übersetzt, ihre Kritiker aber nahmen es als Beweis einer Fälschung.

Die Russell-Kommission sieht nun zwar keinen Anhaltspunkt für eine Manipulation der Daten, mahnt aber, Jones und seine Kollegen hätten die Bearbeitung der Daten für die Grafik explizit deutlich machen müssen.

Der zweite Vorwurf: Jones und seine Mitarbeiter sowie die Verantwortlichen in der Universitätsleitung hätten ein "beständiges Muster" gezeigt, nicht das "angemessene Maß an Offenheit" gegenüber Kritikern ihrer Arbeit zu demonstrieren. Auf legitime Anfragen nach Rohdaten hätten die Forscher und Verwaltungsangestellten hinhaltend und abwehrend reagiert. Das habe die ganze Arbeit der Gruppe, ja der gesamten britischen Klimaforschung in Verruf bringen können.

Damit ähneln die Schlussfolgerungen der Russell-Kommission auffallend dem Urteil, das der Wissenschafts-Ausschuss des britischen Parlaments im März gefällt hatte. Er nannte die Vorwürfe der Datenmanipulation im März "eindeutig widerlegt", rügte aber den Umgang der Forscher um Phil Jones mit Kritikern.

In der CRU habe eine "Kultur der Geheimhaltung" geherrscht, die die Abgeordneten "unakzeptabel" fand. Danach hatte im April eine Kommission, die die Hochschule und die britische Royal Society berufen hatten, die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit an der CRU begutachtet. Sie bescheinigte den Mitarbeitern, ihre "Wissenschaft offenbar ordentlich und genau gemacht" zu haben. Allerdings seien vor allem die benutzten statistischen Verfahren zwar nicht falsch, aber auch nicht optimal für die Aufgabe geeignet gewesen.

Über die Arbeit des amerikanischen Forschers Michael Mann von der Pennsylvania State University hatte derweil ein Komitee seiner Hochschule beraten; er ist neben Jones als Hauptautor der Hockeyschläger-Kurve die zweite Hauptfigur der Kritik.

Fünf seiner Professoren-Kollegen aus anderen Fachbereichen waren beauftragt worden, die Vorwürfe zu untersuchen, Mann habe sich des wissenschaftlichen Fehlverhaltens schuldig gemacht. Davon sprach ihn das Komitee am 1. Juli frei. Schon im März hatte die Universität Anschuldigungen für gegenstandslos erklärt, Mann habe missliebige Daten unterdrückt oder verräterische E-Mails gelöscht.

Zu stark verallgemeinert

Derweil hat die niederländische Umweltagentur PBL einen Teil des jüngsten IPCC-Berichts durchleuchtet: die acht Kapitel der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats, in denen es um voraussichtliche regionale Folgen des Klimawandels geht.

Ihr Report wurde am vergangenen Montag veröffentlicht. Anlass dafür waren zwei Fehler: die 2035 / 2350-Verwechselung bei den Himalaya-Gletschern und die falsche Angabe, dass 55 Prozent der niederländischen Landfläche unterhalb des Meeresspiegel lägen.

Dafür hat die PBL selbst die Verantwortung übernommen. In Meldungen an den Weltklimarat seien zwei Zahlen unzulässig zusammengefasst worden: 26 Prozent der Fläche liegen in der Tat unter dem Meeresspiegel, sind also der Gefahr von Salzwasser-Überflutung ausgesetzt. Weitere 29 Prozent könnten von Flüssen überschwemmt werden.

Diese beiden Fehler hatten die Regierung in Den Haag veranlasst, bei der PBL einen Prüfbericht in Auftrag zu geben. Die Experten haben noch acht weitere Punkte aufgeworfen; keiner davon beeinträchtige aber die Grundaussagen des IPCC-Reports. Falsch war zum Beispiel, von einer Abnahme von Meereswirbeln im Pazifik vor Südamerika auf die Abnahme der Anchovi-Produktion zu schließen, sagen die Holländer.

Zudem hätten die IPCC-Autoren womöglich allzu stark verallgemeinert, als sie von Trends in Marokko für ganz Nordafrika generalisierten oder einige Feldfrüchte in Niger als Indikator für alle Ernten in der Sahelzone nahmen. Auch setzten sie Rinder in Argentinien und Bolivien vielleicht allzu schnell als stellvertretend für den ganzen Viehbestand Lateinamerikas.

In einigen Fällen stimmten Zahlen zudem nicht ganz, moniert das PBL: In Afrika würden 2020 nicht 75 bis 250 Millionen Menschen zu wenig Wasser haben, sondern 90 bis 220 Millionen.

Generell neige der IPCC-Report dazu, die negativen Konsequenzen besonders herauszustellen, hat das PBL festgestellt. In den acht Kapiteln sei das allerdings weniger ausgeprägt als in den zugehörigen Resümees. Dieses Betonen und Zuspitzen der Risiken hätten die Regierungen, die den IPCC tragen und am Ende seine "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger" Zeile für Zeile abnicken, allerdings genau so angeordnet.

In einer Reaktion auf die Analyse aus Den Haag würdigte die Leitung des Weltklimarates nur, dass die niederländische Regierung die zentralen Schlussfolgerungen des IPCC bestätigt habe. Zugleich begrüßte man die Hinweise der Experten zur "Stärkung zukünftiger Berichte". Der Chef des Weltklimarates, der Inder Rajendra Pachauri nannte den PBL-Report "eine nützliche Anerkennung der zentralen Rolle des IPCC".

Auf die entdeckten Fehler und Ungenauigkeiten geht sein Statement nicht ein; es dürfte daher die Kritik vor allem an Pachauris Rolle anheizen, der bisher nicht erkennen lässt, dass er irgendwelche Konsequenzen aus den Vorwürfen gegen seine Institution oder seine Person zieht.

Allerdings steht eine Prüfung noch aus. Seit März arbeitet eine zwölfköpfige Arbeitsgruppe des Inter-Academy Council, also des Zusammenschluss der nationalen Akademien der Wissenschaften, an einem Bericht über die Arbeit des IPCC.

Die Vereinten Nationen und der Weltklimarat selbst hatten die Analyse in Auftrag gegeben. Der Report soll am 30. August veröffentlicht werden. Bis dahin haben die Klimaforscher und die Blätter auf ihren Schreibtischen Sommerpause.

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