Klimawandel:Steigender Meeresspiegel bedroht US-Bucht

Klimawandel: Der Boden rund um die Chesapeake Bay senkt sich ab, zugleich steigt der Wasserspiegel in der Bucht. Überflutungen wie hier in der Ortschaft Crisfield ereignen sich dadurch immer häufiger.

Der Boden rund um die Chesapeake Bay senkt sich ab, zugleich steigt der Wasserspiegel in der Bucht. Überflutungen wie hier in der Ortschaft Crisfield ereignen sich dadurch immer häufiger.

(Foto: Cliff Owen/AP)
  • Der Wasserstand in der Chesapeake Bay ist seit 1927 um etwa 40 Zentimeter angestiegen, deutlich mehr als im globalen Durchschnitt.
  • Millionenstädte wie Baltimore sind von dem Anstieg betroffen, immer häufiger kommt es zu Überflutungen.
  • Das Wasser verursacht hohe Kosten - doch viele nehmen die Lage nicht ernst, oder wollen nicht wahrhaben, dass der Klimawandel wohl eine Ursache ist.

Von Christopher Schrader

Für Schulte jr. war es ein Abenteuer, für den Vater eher lästig. Eines Morgens war die Straße vor der Schule überflutet. Der Fünftklässler musste hindurchwaten, der Vater fuhr nach Hause, holte trockene Sachen, brachte sie dem Sohn und fuhr dann zur Arbeit. Dort wartete der erhöhte Wasserstand auf seinem Schreibtisch und in seinem Computer, in Form von Messdaten und Simulationsrechnungen. "Ich kann dem nicht entkommen", seufzt Dave Schulte, Ozeanograf beim Army Corps of Engineers in Norfolk, Virginia, "Überflutungen rund um die Chesapeake Bay sind das Thema meiner Arbeit, und ich erlebe sie im Privatleben."

Wasser auf der Straße, das wird in Schultes Heimatstadt "nuisance flooding" genannt: lästige Überschwemmungen, so die Übersetzung, die niemanden in Gefahr bringen, aber unerwartete Probleme und Kosten verursachen. Nach einer Untersuchung der Behörde für Ozeane und Atmosphäre (Noaa) hat sich die Zahl der Tage, an denen das in Norfolk passiert, vervierfacht: von 1,7 Tagen pro Jahr zwischen 1957 und 1963 auf 7,3 Tage 50 Jahre später.

Der Begriff "nuisance flooding" verharmlost die Lage

Viele Orte rund um die Chesapeake Bay, die bei Norfolk in den Atlantik mündet, sind noch stärker betroffen. Annapolis und Baltimore, beide im US-Staat Maryland, führen die Noaa-Liste an. Dort gibt es jeweils zehnmal so viel Fluttage wie früher, in Annapolis im Mittel 39 pro Jahr. Auch Washington, das über den Potomac an die Bucht angebunden ist, steht unter den Top-Ten: knapp 30 Tage nuisance flooding, fast fünfmal so viele wie vor 50 Jahren. "Weil der relative Meeresspiegel ansteigt, braucht es keinen starken Sturm oder Hurrikan wie früher, um Überschwemmungen auszulösen", sagt William Sweet von der Noaa, der die Daten zusammengetragen hat. "Draußen ist es sonnig und schön, und trotzdem stehen Straßenkreuzungen unter Wasser und es blubbert aus der Kanalisation."

Die Überschwemmungen konfrontieren die Bürger der dicht besiedelten Chesapeake-Region mit Klimawandel und Meeresspiegelanstieg. Beide gelten vielen Amerikanern als aufgebauschte Probleme. Und doch ist das Phänomen "nuisance flooding" keine reine Lehrstunde. Darauf deutet schon der Begriff "relativer Meeresspiegelanstieg" hin.

Der Wasserstand in der Chesapeake Bay ist seit 1927 um etwa 40 Zentimeter angestiegen, deutlich mehr als im globalen Durchschnitt. Etwa die Hälfte der jährlichen Zunahme von zurzeit 4,4 Millimeter geht auf den globalen Klimawandel zurück, weil Gletscher schmelzen und sich erwärmtes Wasser ausdehnt. Die andere Hälfte des Anstiegs hat lokale Ursachen: Das Land sinkt, vor allem in Folge der Grundwasser-Entnahme und einiger langwieriger geologischer Prozesse. Nur: Welcher der beiden ähnlich großen Anteile betont wird, ist eine politische Frage, besonders seit Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen ist.

Klimawandel: SZ-Karte

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Wer vom Klimawandel spricht, dem verschließen sich in Norfolk viele Türen. So erhält Thomas Quattlebaum von der Umweltorganisation Chesapeake Bay Fund gelegentlich nicht einmal eine Antwort, wenn er Nachbarschaftsvereine über Küstenschutz mit Pflanzen statt mit Beton informieren will: "Auch wenn Termine zustande kommen, ist das Gespräch oft schwierig und konfliktreich." Skip Stiles von der Gruppe Wetlands Watch hat festgestellt: "Es ist besser, erst über konkrete Maßnahmen zu sprechen, und später vielleicht auf die Ursache der Fluten zurückzukommen."

Der Begriff "nuisance flooding" verharmlost zudem die Lage - zumal Stürme angesichts des erhöhten Wasserstandes durchaus gefährlicher werden. Schon die "lästigen" Überschwemmungen aber verursachen hohe Kosten. Die Stadt Norfolk plant Dutzende Projekte für Hunderte Millionen Dollar, um Folgeschäden zu begrenzen. Sie arbeitet dabei mit dem Army Corps of Engineers zusammen, das trotz Verankerung im Militär zivile Planungsaufgaben übernimmt. Neben Fluttoren und angehobenen Straßen sollen vor allem Rückfluss-Ventile in der Kanalisation verhindern, dass das Wasser der Bucht in die Stadtviertel im Inneren gelangt. Die Rohre waren einst für das Ableiten von Regen gedacht, wirken in vielen Gemeinden aber wegen des gestiegenen Meeresspiegels umgekehrt.

Ausgerechnet für die US-Marine ist die Bucht eine Gefahr

Eine besondere Gefahr stellt die Bucht ausgerechnet für die US-Marine dar. Sie betreibt in Norfolk die Naval Station, ihre größte Basis überhaupt. 75 Kriegsschiffe haben hier ihren Heimathafen, darunter vier Flugzeugträger. Das Gelände liegt großteils nicht mal zwei Meter über dem Meeresspiegel; Zufahrtsstraßen, Tore, Parkplätze, selbst einige der Piers werden immer wieder überflutet. Zehntausende Soldaten können dann nicht mit dem Auto auf die Basis fahren, sagt Petty Officer First Class Robert Martin bei einer Tour der Naval Station (sein Rang entspricht dem Bootsmann der deutschen Marine). "Sie müssen laufen, oft waten, um ihre Einsatzorte zu erreichen." Das kann Stunden dauern, so groß ist das Areal.

Wichtiger noch ist die Versorgung der Schiffe. Die Stromleitungen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts unter den 14 langen Docks verlegt - bei Hochwasser gibt es Kurzschlüsse. Etliche der Piers, so Martin, sind inzwischen als Doppeldecker neu gebaut worden. "Eigentlich haben wir das gemacht, um die Einsatzzeit der Schiffe zu verbessern - und dann erst festgestellt, dass die Docks wegen des Meeresspiegelanstiegs Vorteile bieten." Insgesamt spielt der Unteroffizier das Problem für die Basis eher herunter und witzelt: "Es kann ja nicht sein, dass Wasser die Navy stoppt."

Wissenschaftler sehen die Situation kritischer. Die Union of Concerned Scientists (UCS), eine Lobbygruppe in Washington, hat 2016 eine Studie über Militärbasen vorgelegt. Für Norfolk erwarten die Forscher einen weiteren Meeresspiegelanstieg von 1,30 bis 2,10 Meter zum Ende des Jahrhunderts, deutlich mehr als im globalen Mittel. Wo zurzeit allein der Tidenhub neunmal pro Jahr Teile der Basis überflutet, könnte schon 2050 etwa 270-mal das Wasser auf Straßen und Piers stehen. Später steigt die Zahl der Ereignisse noch weiter und sinkt dann wieder. Aber das ist kein gutes Zeichen - das Wasser zieht sich eben nicht jedes Mal bei Ebbe auch wieder zurück.

"Sehr viel Fläche würde unbenutzbar", sagt Astrid Caldas, die bei der UCS für die Analyse verantwortlich war. Sie räumt ein, dass die Studie auch strategisch wirken soll. "Wir haben die militärischen Einrichtungen zum Thema gemacht, um die Konservativen zu erreichen." Ob das gelingen wird, ist unklar; die Situation in Washington ist unübersichtlich. Einerseits hat Präsident Donald Trump dem Militär eine Vorbereitung auf den Klimawandel praktisch verboten. Andererseits bestätigte Verteidigungsminister James Mattis bei seiner Berufung die langjährige Position des Pentagon, der Klimawandel sei real und bedrohe die nationale Sicherheit.

Bedroht ist auch die nationale Erinnerung. In der Nähe von Norfolk sind die Ruinen von Jamestown in Gefahr. Vielen Amerikaner gilt der Ort als Wiege ihres Landes: Hier gründeten Engländer 1607 die erste permanente Siedlung, 13 Jahre vor Abfahrt der berühmten Mayflower. Doch die Überreste des Forts sowie viele archäologische Spuren liegen nur noch etwa einen Meter über dem Spiegel des James River, der hier die Gezeiten der Bucht mitmacht. Das kulturelle Erbe vor dem Klimawandel zu bewahren, bedeutet ein Dilemma. "Es wäre einfach, Jamestown mit Deichen zu schützen", sagt Dave Schulte, dessen Behörde solche Bauten planen müsste. "Aber wie bewahrt man seinen Charakter, wenn der Blick aufs Wasser verloren geht?"

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