Klimakonferenz in Marokko:Countdown für die Atmosphäre

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Die Angst vor Donald Trump hat dem Klimavertrag von Paris zum Durchbruch verholfen. Doch nun ringen die Staaten in Marokko über die nächsten Schritte - es geht um viele Milliarden Dollar, und die Zeit drängt.

Von Michael Bauchmüller

Diesen Freitag wird wohl keine Tonne Treibhausgas weniger ausgestoßen als an anderen Freitagen. Es werden nicht etliche Kraftwerke stillgelegt oder Benzinmotoren ausgetauscht - und doch ist es für das Weltklima ein besonderer Tag: Formal tritt am Freitag das Klimaabkommen von Paris in Kraft, rechtzeitig vor Beginn der nächsten, der 22. Klimakonferenz der Vereinten Nationen, die kommenden Montag in Marrakesch beginnt. Das Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten darauf, ihre klimaschädlichen Emissionen stark zu drosseln; die reicheren unter ihnen sollen zudem die Entwicklungsländer im Kampf gegen die Erderwärmung und ihre Folgen mit einer Milliardensumme unterstützen.

So weit, so gut. Bloß wie soll das geschehen? Wenn die Staaten am Montag zusammenkommen, dann stehen sie vor einem Berg offener Fragen. Ein Abkommen haben sie zwar jetzt, das schon. Wie aber wird kontrolliert, wer was für den Klimaschutz tut? Wie viel Verlass ist auf die Angaben der Staaten? Wer treibt das Geld ein, das den Armen helfen soll? Wer verteilt es?

Nie ist ein völkerrechtlicher Vertrag so schnell in Kraft getreten wie dieser. Das lag nicht allein am guten Willen der Staatengemeinschaft, sondern auch an der Angst vor Donald Trump. Ehe wieder ein Klimaskeptiker ins Weiße Haus einzieht und gleich einen Klimavertrag kippt, wie George W. Bush es mit dem Kyoto-Protokoll machte, wollten sie vollendete Tatsachen schaffen. China und die USA ratifizierten den Vertrag schon Anfang September, die EU zog im Eilverfahren nach. Als die Staaten das Abkommen im vorigen Dezember auf den Weg brachten, ahnte niemand, dass es so schnell in Kraft treten würde.

Für die Konferenz in Marrakesch ist das Fluch und Segen zugleich. Einerseits wird sie nun zur ersten Vertragsstaatenkonferenz des Pariser Abkommens. Andererseits kann sie kaum etwas beschließen: Zu viele Staaten haben es nicht geschafft, rechtzeitig zu ratifizieren - sie könnten sich übergangen fühlen, sollten in Marrakesch schon Fakten geschaffen werden. 192 Staaten haben das Abkommen unterzeichnet aber erst 94 haben es auch ratifiziert. So bleibt den 94 Schnellstartern vor allem die feierliche erste gemeinsame Sitzung und die Verabschiedung eines Arbeitsprogramms. Beschlüsse werden erst bei den nächsten Klimakonferenzen fallen. Für das Pariser Abkommen muss das kein Schaden sein, die Regelungen gelten ohnehin erst von 2020 an. Für das Weltklima allerdings sieht die Sache anders aus.

Wie anders, das hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) errechnet. Am Donnerstag hat es in London seinen neuen "Emissions Gap Report" vorgelegt, eine Art Kassensturz zum Thema Erderwärmung. Demnach reichen die in Paris besiegelten Zusagen der Staaten nicht aus, um die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius Plus zu begrenzen. Das nämlich würde verlangen, dass die globalen Emissionen bis 2030 bei 42 Gigatonnen Treibhausgasen liegen. Das ist ungefähr das 50-fache dessen, was Deutschland derzeit pro Jahr verursacht. Doch nach Berechnungen der Unep dürfte die Staatengemeinschaft 2030 immer noch 54 bis 56 Gigatonnen klimaschädlicher Gase ausstoßen. Genug, um die Erderwärmung weiter anzufachen, auf 2,9 bis 3,4 Grad Celsius plus gegenüber den Zeiten ohne Industrie. Eine Katastrophe mit Ansage, findet der neue Unep-Chef Erik Solheim. "Wenn wir nicht jetzt sofort mehr tun, werden wir eines Tages eine vermeidbare Tragödie zu bedauern haben." Und "jetzt" heißt für ihn: Gleich bei der Konferenz in Marrakesch.

Tatsächlich hatten die Staaten sich vorgenommen, nicht erst bis 2020 zu warten, sondern gleich nach der Pariser Konferenz zu handeln. Doch im Jubel von Paris ging der gute Vorsatz unter. Obendrein peilt der Pariser Vertrag ein strengeres Klimaziel an: Möglichst nur um 1,5 Grad Celsius soll sich die Erde erwärmen. Die Staaten müssten also noch mehr nachlegen, als der Unep-Report fordert. Auch bei den Finanzhilfen hinkt die wohlhabende Welt hinterher. Jährlich 100 Milliarden Dollar wollen die reichen Länder bis 2020 zusammentragen, um Entwicklungsländern zu helfen. 41 Milliarden Dollar sind nach Berechnungen der Geberländer schon erreicht. Doch als die Entwicklungsorganisation Oxfam die Zahl kürzlich nachrechnete, kam sie auf höchstens 21 Milliarden Dollar. Auch über diese Lücke wird in Marrakesch zu reden sein. Derweil ist das Jahr 2016 auf dem Weg zu einem neuen Spitzenjahr der Hitze.

"Wir treten jetzt in die entscheidenden Jahre im Kampf gegen den Klimawandel ein", sagt Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan. Noch sei Zeit, klimaschädliche fossile durch saubere Energie zu ersetzen. "Wenn wir diese Chance wegen schwacher nationaler Ziele verpassen, wird sie nicht wiederkehren."

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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