Grab Tutanchamuns:Radarmessungen widersprechen sich bei Suche nach Nofretetes Grab

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Gibt es hinter den Wänden von Tutenchamuns Grabkammer Hohlräume? (Foto: dpa; SZ photo)

Ein bislang unveröffentlichtes Gutachten macht wenig Hoffnung auf unentdeckte Kammern im Grab von Pharao Tutanchamun. Es wäre eine Blamage für Archäologen.

Von Paul-Anton Krüger

Es sollte die Jahrhundertsensation werden, weltexklusiv zur besten Sendezeit im US-Fernsehen. Dafür war ein Team von National Geographic ins Tal der Könige nach Ägypten gereist, zum Grab des legendenumwobenen Kinderpharaos Tutanchamun. Die Nekropole versprach die größte Entdeckung der Archäologie, seit Howard Carter 1922 das Grab aufgebrochen hatte. Er fand dort einen Schatz von unermesslichem Wert - kulturhistorisch wie materiell. Die Totenmaske Tuts, Prunkstück des Ägyptischen Museums in Kairo, ist aus acht Kilogramm Gold gefertigt.

Den Entdeckerdrang (und Geschäftssinn) von National Geographic hatte der britische Ägyptologe Nicholas Reeves mit einer spektakulären Theorie beflügelt: Er vermutet hinter zwei Wänden der Grabkammer eine bisher nicht erkannte Fortsetzung, Durchgänge, die später verschlossen wurden sowie weitere Kammern - ein Grab? Ebenso unversehrt, wie das Tutanchamuns?

Reeves ist überzeugt, dort müsse Nofretete begraben liegen, schöne Gemahlin des Pharaos Echnaton - und, wie Reeves glaubt, dessen Thronfolgerin. Ihr Grab, ihre Mumie, ihre Schätze wurden nie gefunden, nur die berühmte, in Berlin aufbewahrte Büste.

Nach zehn Stunden Arbeit ergab der Scan zum Erstaunen der Wissenschaftler: nichts

Es sah alles nach einer sicheren Sache aus: Reeves und der frühere ägyptische Antikenminister Mamdouh el-Damaty hatten das Grab im Herbst 2015 inspiziert und Hinweise auf verborgene Durchgänge gefunden. Reeves hatte sie in hochauflösenden Fotografien und Scans der Wandoberfläche entdeckt. Auch scheint die Architektur dem Raster bekannter Königsgräber zu widersprechen. Dies alles deutet nach Reeves Ansicht darauf hin, dass in unentdeckten Kammern noch eine mächtige Frau begraben sein könnte. Eine Untersuchung mit Infrarotsensoren erbrachte gar Temperaturunterschiede an der bemalten Nordwand, wenngleich ohne eindeutiges Ergebnis.

Der japanische Radartechniker Hirokatsu Watanabe lieferte physikalische Unterstützung: Mit einem modifizierten Radar habe er Hohlräume geortet, sowohl hinter der Westwand als auch im Norden, ließ er nach der zweitägigen Untersuchung Ende November 2015 wissen - genau wie Reeves es vorhergesagt hatte. Nach einer detaillierten Auswertung der Daten teilte er mit, hinter dem Gemäuer sowohl metallische Gegenstände als auch organisches Material geortet zu haben; Resultate, die Damaty im März in seinem Ministerium präsentierte.

Bekannte und vermutete Grabkammern (Foto: N/A)

Der Minister, selbst anerkannter Archäologe, jubilierte, er sei zu 90 Prozent sicher, dass man etwas finden werde - auch wenn er eher Kia dort vermutete, die er und andere für Tutanchamuns Mutter halten. Er dachte schon nach über ein Loch, das man von der Schatzkammer aus bohren könnte, um mit einer Kamera in den vermuteten Gang hinter der Nordwand zu lugen. National Geographic machte gar Pläne für eine Mini-Drohne, um den 3300 Jahre alten Geheimnissen auf den Grund zu gehen, wie eine mit der Untersuchung vertraute Person der Süddeutschen Zeitung sagte. Es klingt wie Indiana Jones im 21. Jahrhundert, abgesichert durch einen Exklusivvertrag.

Doch erst sollten aus den 90 Prozent Wahrscheinlichkeit 100 werden. Ansonsten dürfte es niemand wagen, Löcher in dem Grab zu bohren, eine Idee, die Kritikern ohnehin als Kulturfrevel gilt. Also baute der Chefingenieur von National Geographic, Eric Berkenpas, einige Tage nach Damatys Auftritt ebenfalls ein Radar in der Grabkammer auf, dazu installierte ein Filmteam Kameras und Scheinwerfer. Reeves wurde mit einem drahtlosen Mikrofon verkabelt. Berkenpas kalibrierte die Ausrüstung zunächst an der Ostwand der Vorkammer, hinter der eine bekannte Nebenkammer liegt. Klar und deutlich zeigte sich die zu erwartende starke Reflexion der Radarwellen auf dem Bildschirm.

Dann der große Moment: der Scan an der Nordwand. Längsschnitte in vier Höhen. Verschiedene Antennen. 400 Megahertz und 900 Megahertz. Die zweite liefert bessere Auflösung, die erste dringt tiefer in das Material ein.

Umso erstaunter waren das Team von Berkenpas, der mittlerweile neue Antikenminister Khaled el-Enany und die versammelten Mitglieder des wissenschaftlichen Komitees, das noch sein Vorgänger eingerichtet hatte. Sie fanden auch nach zehn Stunden Arbeit: nichts. Zumindest nichts Handfestes.

Es zeigten sich keine klaren Hohlraum-Signale, wie bei dem Test an der Wand im Korridor. Oder wie Watanabe sie in seiner Analyse beschrieben hatte.

Eine Pressekonferenz gab es diesmal nicht, und auch bei einer Wissenschaftler-Tagung im noch in Bau befindlichen Grand Egyptian Museum in Kairo konnten weder Berkenpas noch vier Wissenschaftler, die unabhängig voneinander die neuen Daten analysiert hatten, ihre Erkenntnisse vortragen. Öffentlich wurde die Enttäuschung in einem Artikel, den - Exklusivvertrag sei Dank - National Geographic publizierte.

Wer dort anfragt, den verweist Pressesprecherin Claire Jones an das Ministerium, es sei als Einziges berechtigt, Auskunft zu geben. Dort jedoch blieb eine Interviewanfrage unbeantwortet. Es gibt nur eine vage Ankündigung weiterer Untersuchungen. Von den Gutachtern, alle Spezialisten für die Analyse von Georadar-Daten, sagten Dean Goodman (Geophysical Archaeometry Laboratory) und Glen Dash (Glen Dash Institute) in den USA, sie könnten aufgrund von Verträgen mit National Geographic keine Auskunft geben, eine dritte, Margaret Watters vom US National Park Service, ließ Anfragen unbeantwortet.

Mohammed Abbas, Professor am Nationalen Forschungsinstitut für Astronomie und Geophysik in Kairo, war als Einziger zu einem Gespräch bereit: Er verweist darauf, dass National Geographic mit international standardisierten Geräten gearbeitet habe und die Daten mit zwei verschiedenen, ebenfalls international üblichen Computerprogrammen, GPR Slice und Radan, unabhängig voneinander analysiert worden seien. "Es gibt darin keine klaren Hinweise auf irgendwelche nachträglich verschlossenen Wände oder Hohlräume", sagt er.

Watanabe hatte im Herbst 2015 mit einem Radar im 400-Megahertz-Bereich gearbeitet, das er, ebenso wie die Analyse-Software, aber so weit modifiziert hat, dass angeblich andere mit seinen Daten nichts anfangen könnten. Watanabe hat damit in der Vergangenheit zu wichtigen Funden beigetragen; es gibt Archäologen, die in den höchsten Tönen von ihm sprechen. Er selbst sagt, er könne sich auf seine jahrzehntelange Erfahrung verlassen. Seine Ergebnisse allerdings sind nicht überprüfbar - Letzteres ist aber unerlässlich für wissenschaftliches Arbeiten.

Es steht Aussage gegen Aussage

Die anderen drei Gutachter kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie Abbas; das geht aus ihren Expertisen hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, wie auch der 13-seitige Untersuchungsbericht Watanabes. Goodman etwa schreibt, er könne sagen, dass es an der Nordwand "keine Reflexionen gibt, die auf einen Hohlraum in der Reichweite der Radarantennen hinweisen". Dash kommt zu dem Schluss, es gebe "nur eine signifikante Anomalie an der Westwand", auf die auch die anderen hinweisen; er halte dies aber für einen "natürlichen Riss". Abbas identifiziert noch eine "flache Anomalie" an der Nordwand.

"Ich sehe nicht das, was ich erwarten würde, wenn es dort eine Tür zu einem Durchgang gäbe", stellt Watters fest. "Ich sehe nicht, was ich erwarten würde, wenn es eine leere Kammer hinter diesen Wänden gäbe." Die Anomalie in der Westwand beschreibt sie als "starken Reflektor", was auf einen Hohlraum deute - der könne jedoch natürlichen Ursprungs sein. Um Genaueres zu sagen, brauche es eine weitere Untersuchung.

Nun stehen Aussage gegen Aussage, Befund gegen Befund; Reeves blieb bei der Tagung im Grand Egyptian Museum bei seiner Theorie. Er sehe nichts, was diese widerlege. Das Wissenschaftler-Komitee des Ministeriums arbeitet an neuen Vorschlägen, wie Yasser el-Shayeb, Professor für Bergbau an der Cairo University und Mitglied des Gremiums, sagte. Eine umfassende Erkundung sei nötig, auch weil es Störfaktoren in den bisherigen Scans gebe, elektromagnetische Strahlung von Handys, Stromnetz, Kameras, Funkmikrofonen. All das könne Daten verfälschen, moniert er. Auch sei nicht sicher, ob die Reichweite der Radars ausreiche - die Antennen dürfen die Wand nicht berühren.

Er schlägt nun vor, ein vollständiges dreidimensionales Modell des Grabes mit Radar und möglicherweise anderen geophysikalischen Methoden zu erstellen - wozu auch Watters rät. Nur ein enges Raster, gewonnen aus vertikalen und horizontalen Scans der Wände, kombiniert mit einer Durchleuchtung der Oberfläche des Bodens oberhalb des Grabes könnten alle Fragen über das Grab beantworten - und zugleich Zweifel an der wissenschaftlichen Methodik ausschließen.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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