Gestiegene Allergiegefahr:Blühende Gefahr

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Getrübte Freude auf den Frühling: Immer neue und immer aggressivere Pollen vergrößern die Leiden der Allergiker.

Werner Bartens

Die Anzeichen sind eindeutig: die Haut juckt, die Augen tränen, die Nase läuft. Allergiker spüren sofort, wenn der Flug der Pollen beginnt. Schon Mitte Januar kann es mit Hasel, Erle und Pappel anfangen. Es folgen Birke, Esche und Kiefer. Bis in den September dauert der Pollenflug, zuletzt werfen Beifuß, Linde und Nessel ihre Blütenfracht ab.

Wer allergisch auf Pollen reagiert, kann sich im Frühling nur in Maßen dagegen schützen. (Foto: Foto: dpa)

Mindestens zwölf Millionen Menschen in Deutschland reagieren allergisch auf die Pflanzenstoffe.

Insgesamt leiden sogar mindestens 20 Millionen Menschen hierzulande an einer Allergie. Und alles spricht dafür, dass die Zahl derjenigen weiter zunimmt, die Niesreiz und andere allergische Symptome plagen. "Es gibt mehr Pollen, es gibt neue Pollen, und die Pollen werden aggressiver", sagt Heidrun Behrendt, Leiterin des Zentrums Allergie und Umwelt der TU München.

Erstaunliches Nord-Süd-Gefälle

Gründe für die gestiegene Allergiegefahr gibt es viele. Pollenfluganalysen haben ergeben, dass einzelne Pollen von Gräsern und Wildkräutern in viel höherer Konzentration als früher auftreten. Zudem hat sich - auch bedingt durch die Erderwärmung - die Blütezeit der Pflanzen um zwei Wochen verlängert. "Deswegen muss es zwar nicht zwangsläufig stärkere Beschwerden geben", sagt Heidrun Behrendt.

"Doch auch die Zahl der Allergene, die aus Pollen freigesetzt werden, hat sich erhöht." Behrendts Team hat ein erstaunliches Nord-Süd-Gefälle beobachtet. Im Großraum München und anderen Regionen Süddeutschlands treten bei gleichem Pollenflug fünf- bis zehnmal mehr allergieauslösende Substanzen aus den Pollen auf als in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen.

Neue Allergieauslöser bringen zusätzliche Pein. Seit wenigen Jahren werden in Süddeutschland immer häufiger auch Ambrosia-Pollen gemessen. Die auch als Traubenkraut bezeichnete Pflanze ist der stärkste und häufigste Auslöser von Heuschnupfen in den USA. In Südfrankreich, dem Tessin und der Po-Ebene hat sich Ambrosia schon ausgebreitet, der Wind trägt sie nach Norden. "Wer allergisch auf Beifuß reagiert und im August Urlaub am Gardasee macht, könnte Probleme bekommen", sagt Behrendt.

"Wiedervereinigung hat sich allergologisch schneller vollzogen"

"Warum neben Pollen- auch andere Allergien zunehmen, weiß man noch nicht genau", sagt Gerhard Schultze-Werninghaus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie. Die meisten Forscher favorisieren die Hygiene-Hypothese. Demnach haben mehr Sauberkeit und weniger Infektionskrankheiten dazu geführt, dass das Immunsystem seltener gefordert wird und der Körper deshalb öfter überschießend auf Fremdstoffe reagiert.

Belegt wird diese Vermutung vom Allergievergleich in Ost und West. Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung gab es in Ostdeutschland weitaus weniger Allergien als im Westen. Im Osten wurden mehr Kinder in Krippen erzogen, große Gruppen begünstigten den Austausch von Keimen wie von potenziellen Allergenen.

Nach der Wende glichen sich die Lebensverhältnisse an. "Die Wiedervereinigung hat sich allergologisch schneller vollzogen als politisch", sagt Schultze-Werninghaus. "Es dauerte nur wenige Jahre, dann gab es ähnlich viele Allergien in Ost wie West." Auch dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, kaum Allergien bekommen, spricht dafür, dass regelmäßiger Kontakt mit Dreck, Tieren und Pflanzen vor Allergien schützt.

Nach Pollen sind Hausstaubmilben die häufigsten Auslöser für Allergien. Es ist nicht die Milbe selbst, Substanzen in ihrem Kot lassen fünf Millionen Menschen hierzulande überreagieren. Etwa vier Millionen Menschen sind allergisch gegen Haustiere. Nicht die Tierhaare sind allergen, sondern Substanzen in Hautschuppen, Speichel und Kot der Tiere. Weitere Allergien werden durch Schimmelpilze, Nahrungsmittel und Insektengifte ausgelöst. Kontaktallergien gehen meist auf Nickel, Haushaltschemikalien und Gummi zurück.

Wer allergisch auf Pollen reagiert, kann sich in Maßen schützen. Auf dem Land sollten Fenster morgens geschlossen bleiben. Erst abends lüften, empfiehlt der Deutsche Allergie- und Asthmabund. In der Stadt ist es hingegen besser, morgens zu lüften und abends die Fenster zu schließen.

"Wer auf Frühblüher reagiert, leidet jetzt besonders"

Da die Luft am Meer und im Hochgebirge pollenarm ist, sind diese Regionen gut geeignet für Urlauber, die dem Ansturm der Pollen entfliehen wollen. Allergikern hilft es weiterhin, wenn sie sich während der Heuschnupfenzeit abends die Haare waschen und tagsüber getragene Kleidung nicht im Schlafzimmer ablegen, da sonst die Pollen nachts weiter vor Mund und Nase herumschwirren können.

Es gibt auch gute Nachrichten für Allergiker. "Die gesteigerte Wahrnehmung von Allergien durch die Öffentlichkeit hat zwar dazu geführt, dass mehr Allergien vermutet werden", sagt Schultze-Werninghaus. "Der Anstieg der Allergiehäufigkeit war nur aber bis Mitte der neunziger Jahre rasant. Jetzt steigen die Zahlen nur noch langsam an."

Auch die Allergieprognose für 2006 schwächt der Mediziner ab. "Trotz langem Winter und abruptem Wärmeeinbruch muss es keine schreckliche Saison werden." Nur im Moment sei die Belastung groß. Durch den späten Beginn des Pollenflugs Mitte Februar sind noch Pollen von Hasel und Erle in der Luft - und schon die der Birke. Viele Menschen sind gegen alle drei Pflanzen allergisch. "Wer auf Frühblüher reagiert, leidet jetzt besonders", sagt Schultze-Werninghaus.

© SZ vom 22.04.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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