Fotografie und Forschung:"Wissenschaftler sind immun gegen äußere Einflüsse"

Hochtechnologie, Klebeband und sedierte Pflanzen: Fotograf Kevin Fuchs hat ein Jahr lang die Wissenschaftler am Helmholtz-Zentrum in Berlin beobachtet. Seine Bilder von exotischen Experimenten erzählen von den Schrullen der Forschung.

Von Christoph Behrens

Der Schweizer Kevin Fuchs arbeitet als freier Fotograf in Berlin. Für seine Arbeit "My Beamline" konnte der 31-Jährige am Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie in Berlin Wissenschaftler ein Jahr lang bei ihren Experimenten an einer Photonenquelle beobachten. Mithilfe von Photonenstrahlung untersuchen die Forscher komplexe Materialsysteme, etwa für Photovoltaik-Anwendungen oder zur Umwandlung von solarer Energie in chemische Energieträger wie Wasserstoff.

SZ.de: Herr Fuchs, warum interessierte Sie als Fotograf ein Labor voller Forscher und merkwürdiger Experimente?

Fuchs: Ich war wahnsinnig angezogen von diesen futuristisch anmutenden Gerätschaften. Die ersten Termine da waren für mich verrückt. Ich hatte keine Vorstellung, was da passiert, ich sah nur dieses unglaubliche Durcheinander der Formen und Farben. Die Maschinen, die für mich eine Art skulpturalen Charakter haben. Und die Menschen, die dort arbeiten, haben mich fasziniert - ein sehr spezieller Typ.

Wie haben die Forscher auf Sie reagiert?

Sie haben mich kaum bemerkt, sie gaben sich voll und ganz ihrer Arbeit hin. Die Wissenschaftler können alles andere ausblenden und sind immun gegen äußere Einflüsse. Und sie haben einen sehr besonderen Humor. Zugleich waren sie sehr offen und geduldig und haben versucht, mir alles zu erklären.

Betrachteten die Wissenschaftler das als eine Art Experiment?

Könnte sein. Wenn man heute jemanden in Mitteleuropa fotografieren will, reagiert der meist skeptisch und ablehnend. Hier fanden die Mitarbeiter das total schön und toll. Sie haben gar keinen Wert darauf gelegt, sich zu inszenieren, das hat mich sehr überrascht.

Aluminiumfolie und Klebeband scheinen eine wichtige Rolle in der Arbeit der Forscher zu spielen. Zumindest entsteht der Eindruck, wenn man Ihre Bilder sieht.

Für uns sieht das total improvisiert aus - für die Wissenschaftler erfüllt das aber voll und ganz den Zweck. Für mich war das ein Symbol für die Experimente: Einerseits die hochtechnologische Ausstattung, dann aber auch das Bedürfnis, den Aufbau ganz profan zu fixieren.

Ein Foto zeigt eine enorme Zimmerpflanze, die auf diese improvisierte Weise gebändigt wird ...

Die Pflanze symbolisiert für mich die Art und Weise, wie die Wissenschaftler sich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Wenn man das Bild ansieht, wird klar: Mit dieser Pflanze hätte irgendwas passieren müssen, man hätte sie vielleicht zurechtschneiden sollen oder umtopfen. Das ist aber nicht passiert. Stattdessen wurde sie notgedrungen ruhig gestellt, gebändigt.

Sie haben viele Menschen fotografiert, auch Menschen mit Maschinen. Aber nie Menschen, die untereinander kommunizieren. Werkelt da jeder für sich vor sich hin?

Im Gegenteil, das ist alles eine Teamleistung. Die Forschungsplätze am HZB sind hochbegehrt. Wenn ein Team für zwei Wochen einen Platz erhält, werden die Geräte aufgebaut, kalibriert, die Forscher führen Messungen durch und sammeln Daten. Da finden ständig Diskussionen statt, wenn etwas nicht funktioniert. Und dass etwas nicht funktioniert, ist die Regel.

Welchem Zweck dienen die Experimente dort?

Ich habe als Fotograf nicht direkt den Anspruch zu erklären, was dort passiert. Ich wollte vor allem die Menschen dahinter zeigen, die Maschinen und die Farben. Im Kern drehen sich die Experimente um einen Speicherring, in dem starke Magneten Elektronen auf einer Kreisbahn halten. Dabei erzeugen sie Photonen, die in angeschlossene Stahlrohre - die "Beamlines" - wandern. Mithilfe dieser Strahlung wird Material aller Art untersucht.

Das Ganze dient dann etwa dazu, die Aufnahmefähigkeit von Solarpanelen zu verbessern, viele Dinge robuster, leichter und effizienter zu machen. Es ist eine hochkomplexe Arbeit, einige Forscher arbeiten manchmal 20 Jahre an einem Teil. Das sind sehr kleine Fortschritte, die dort erzielt werden, aber insgesamt sind sie revolutionär. Die Wissenschaftler wissen zwar, dass die wenigsten das verstehen können, aber sie sehen es als Ehre, dazu beizutragen.

Wie haben Sie die Wissenschaftler im Arbeitsalltag erlebt?

Ach, obwohl das dort alles einerseits wahnsinnig wichtig, teuer und hochtechnisch ist, nehmen sich die Wissenschaftler selber nicht allzu wichtig. Sie sind auch nur Menschen, die ihren Arbeitsplatz lieben - und auch sehr gerne lachen.

Kevin Fuchs' Buch "My Beamline", erschienen 2014, ist unter www.kevinfuchs.com erhältlich. Einige Bilder daraus finden Sie hier auf SZ.de.

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