"Fernöstliche Leere":Chi Chi für die Lachmuskeln

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Wussten Sie, dass man beim Rutengehen stets einen Rutenplaner mit sich führen sollte? Nein? Dann ist es höchste Zeit, dass Sie sich mit der Lehre des "Sheng Fui" vertraut machen.

Markus C. Schulte von Drach

"Ein beengender Eingangsbereich blockiert den Energiefluss, das Chi kann erst gar nicht in den Raum gelangen. (...) Aber auch anderes stört den freien Energiefluss durch die Räume: Ballast, Gerümpel, Schmutzecken, nicht funktionierende Dinge usw. sind Energiefresser und wirken sich negativ auf das Chi aus."

Das "Magazin für fernöstliche Leere". (Foto: Carlsen Verlag)

"Hüten Sie sich davor, den Papierkorb oder einen Behälter für Abfälle unter den Schreibtisch zu stellen. Dies würde zu einer Anhäufung negativer Energien führen, die durch die begrenzende Schreibtischplatte "gedeckelt" sind und auf den Arbeitenden überspringen. Stellen Sie den Papierkorb besser auf den Schreibtisch. Dann können die Schadenergien ungehindert entweichen."

Finden Sie einen der beiden Absätze weniger überzeugend als den anderen? Wenn ja, dann könnte dies daran liegen, dass der erste Hinweis aus einem Feng-Shui-Ratgeber des Bundesamts für Arbeitsschutz stammt, der andere jedoch aus dem "Magazin für fernöstliche Leere" von Lorenz Meyer. Und Meyer zufolge kann man sämtliche Feng-Shui-Empfehlungen getrost vergessen. Was einzig zählt ist Sheng Fui!

Seit einigen Jahren, so warnt Meyer, sieht sich diese uralte Weisheitslehre "einer ernsten Herausforderung gegenüber: den Irrlehren des sogenannten Feng Shui".

Höchste Zeit, sich deren Jüngern in den Weg zu stellen, ihre gefährlichen Irrtürmer zu entlarven und zum Kern des eigentlichen Philosophiesystems zurückzukehren. Zu diesem Zweck hat Meyer, der in Asien mehrere Jahre die altchinesischen Schriftrollen von Tse-Tang dem Älteren studiert hat, das Werk "Sheng Fui" veröffentlicht, das " Magazin für fernöstliche Leere".

Reich bebildert, mit vielen Weisheiten garniert und voller Tipps, wie man sein Leben in ein energetisches Gleichgewicht bringt . . . doch halt. Bevor Sie jetzt weiterlesen, eine Warnung: Wenn Sie gerade Ihren Bildschirm in einen 37-Grad-Winkel zur Tischkante gerückt haben, damit auch Ihr Büro gleichmäßig mit Chi versorgt wird, dann sehen Sie davon ab, diese Rezension weiterzulesen.

Dann, so steht zu befürchten, werden Sie sich vielleicht darüber ärgern, diesen Artikel gelesen zu haben, und das ist dem Strom Ihres Chi sicher abträglich. Dafür möchte der Autor dieses Artikels die Verantwortung nicht übernehmen. Gehören Sie also in die Gruppe der Esoteriker, so lesen Sie bitte nur weiter, wenn Sie es ertragen, dass man sich über Sie lustig macht.

Möglicherweise gehören Sie aber auch genau zur Zielgruppe des Autors. Denn wenn man mit wissenschaftlich fundierten Argumenten sein Gegenüber nicht mehr überzeugen kann, hilft es vielleicht, ihm den Spiegel vorzuhalten. Genau das versucht offenbar Meyer mit seinem Buch im Stil moderner Lebens-, Nahrungs-, und Selbstfindungsratgeber aus der Geschenke-Ecke der Buchhandlung.

Vom Ursprung des Hatschi

Er versucht es zum Beispiel, indem er auf die Heilkraft besonderer Edelsteine hinweist. Der Glasbaustein etwa lässt bekanntlich Dinge unscharf werden. Im Mörser zerstoßen und in Wasser aufgelöst gehört er nach Meyer zu den ältesten bekannten Mitteln zur sexuellen Triebbekämpfung. Wer hier an die "Gleiches mit Gleichem"-Philosophie der Homöopathen denkt, liegt nicht ganz daneben.

Meyer weiß um die Herkunft des Hatschi bei Erkältungskrankheiten (Ha steht im Sheng Fui für "Gegen alles Böse", Chi natürlich für Energie), er empfiehlt die Haustiere mit dem meisten Chi (Chi-huahua, Chi-märe, Chi-mpanse oder Chi-nchilla) und führt eine Vielzahl von Yoga-Übungen extra für das Büro vor: (Leseprobe: "Legen Sie sich mit Hilfe eines netten Kollegen quer über Ihren Schreibtischstuhl und legen Sie die Hände in der Jasmin-Haltung aneinander. Die Füße zeigen zur Zimmertür des Vorgesetzten . . .")

Dankbar ist man auch für Tipps wie den Sheng-Fui-Energydring: "Dazu werden acht Tennisbälle, die mindestens eine Stunde lang bespielt wurden (nur dann haben sie ausreichend Energie gespeichert), ausgepresst und der Saft durch ein feines Sieb gegossen." Angeblich haben Badmintonbälle mehr Beschleunigungsenergie gespeichert und deshalb soll ihr Saft ein wahres Aufputschmittel sein. Ein Irrtum: Nur Energydrinks aus Tennisbällen sind der Gesundheit zuträglich!

Für junge Eltern gibt es den speziellen Sheng-Fui-Schnuller. Denn "oft wechseln sich Mutter und Vater die komplette Nacht am Kinderbett ab, weil das geliebte Baby keinen Laut von sich geben will. (...) Wie gerne würde man das Kind wenigstens für einige wenige Stunden schreien hören, um die gefürchtete Schlaf-Apnoe ausschließen zu können." Da hilft der Paprikaschoten-Schnuller, der in Babys Mund gezielt das Element Feuer anregt. Und "ein befreiendes Schreien erfüllt das Haus!" Welche Eltern wünschen sich das nicht?

Zugegeben, das "Magazin für fernöstliche Leere" ist manchmal eine ziemlich alberne Verballhornung derselben Lehren. Andererseits gehen Esoteriker davon aus, dass sich im überirdischen, kosmischen oder übersinnlichen Bereich der Welt noch die absurdeste Wirkweise erklären lässt. Zur Entlarvung dieser Philosophie wirkt das Magazin Wunder.

Am Reichtum ist das Schönste das viele Geld

Hin und wieder werden die Ratschläge des Sheng Fui richtig platt oder sogar gar zynisch. Dazu gehört etwa die Feststellung, dass "die Ursache vieler Partnerschaftskrisen, ehelicher Zerwürfnisse und Kindstötungen" das "leidige Thema Aufräumen" ist. Um dem vorzubeugen, bietet Sheng Fui eine Reihe praktischer Aufräumtipps: "Niemals größere Gegenstände (z.B. Stapel mit Bettwäsche) auf kleinere (z.B. Bierdeckel) legen. Dinge entfalten ihre Auffindeenergie besser, wenn sie nicht verdeckt sind."

Meyer imitiert jedoch nur konsequent manche alternativmedizinischen Quacksalber und ihre falschen und teilweise gefährlichen Versprechungen wie die, Obsidian, Bergkristall oder Sugilith könnten gegen Krebs helfen oder bei Selbstmordtendenzen seien Citrine oder Rauchquarz zu empfehlen.

Wer den Esoterikern in seinem Freundeskreis auf subtile Weise zeigen möchte, was er von ihrer Raumaufteilung hält, oder davon, dass sie ihre Kinder von einem Heilpraktiker zum anderen schleppen, dem sei "Sheng Fui" als Geburtstagsgeschenk empfohlen.

Wer könnte sich schließlich so tiefen Weisheiten verschließen wie: "Eine Reise von tausend Meilen endet mit einem einzigen Schritt."

Aber Vorsicht: "Auch der Affe fällt mal vom Baum".

"Sheng Fui "

Das Magazin für fernöstlicher Leere

Lorenz Meyer

Carlsen Verlag, Hamburg 2010

128 Seiten

ISBN 978-3-551-68451-6

€ (D) 14,90

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