Chemie:Mehr Wumms

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Das Feuerwerk könnte umweltfreundlicher werden, wäre dann aber auch teurer. (Foto: dpa)

Umweltfreundlicheres Feuerwerk und tödlichere Waffen: In München arbeitet die einzige universitäre Forschungsgruppe Deutschlands an der Verbesserung von Sprengstoffen. Ein Besuch.

Von Alexander Stirn

Im Keller des grauen Zweckbaus vor den Toren Münchens sieht es aus, als wäre eine Bombe explodiert. Der Putz an den kargen Betonwänden ist großflächig abgeblättert. In der Tür stecken Splitter, einige haben das Metall sogar durchschlagen. Dahinter, in der Fassade, klafft ein tiefes Loch auf Höhe des Knaufs. Offenbar wurde die Tür sehr unsanft geöffnet.

Im Keller des grauen Zweckbaus ist eine Bombe explodiert.

Wobei Bombe etwas zu hoch gegriffen ist. Lediglich ein paar Gramm Sprengstoff sind hier, im Münchner Vorort Großhadern, in die Luft gegangen. Kontrolliert und mit voller Absicht. Chemiker der Ludwig-Maximilians-Universität haben die brisante Substanz erdacht, zusammengerührt, gezündet. Das Team um Thomas Klapötke ist auf der Suche nach neuen Explosivstoffen - für den zivilen Bereich, fürs Militär aber auch fürs Feuerwerk. Leistungsfähiger sollen sie sein, sicherer und vor allem umweltfreundlicher.

Ökologisch korrekte Vernichtungswaffen? Eine grüne Bombe? Klapötke, ein Mittfünfziger mit Weste und Krawatte, Nickelbrille und kurzrasiertem Haar, sieht darin keinen Widerspruch "Wenn Sprengstoffe in einer Krisensituation unbedingt eingesetzt werden müssen, sollten sie nicht auch noch immense Folgeschäden verursachen", sagt der Chemiker mit ruhiger Stimme. "Und in der Umgebung von Truppenübungsplätzen, die 50 oder 100 Jahre genutzt werden, haben wir ohnehin ein Problem."

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In der Tat sind die bisherigen Sprengstoffe, egal ob im militärischen oder zivilen Bereich, alles andere als gesund und umweltfreundlich. TNT, im Jahr 1863 vom deutschen Chemiker Julius Wilbrand entdeckt, steht im Verdacht krebserregend zu sein; es schädigt Blut und Leber. RDX, der bevorzugte militärische Sprengstoff, zerstört die Nieren und verursacht Krämpfe, Kopfschmerzen, Gedächtnisschwund.

Auf der Suche nach besseren Materialien reicht es allerdings nicht, die schädlichen Bestandteile einfach durch ungiftigere Stoffe zu ersetzen. Umweltfreundlichkeit allein ist nicht genug: Ein Elektroauto kann noch so umweltschonend unterwegs sein, stimmen Sicherheit, Reichweite und Leistung nicht, wird es niemand kaufen.

Das Gleiche gilt für den Sprengstoff. "Leistung zählt immer", sagt Klapötke. "Um einen umweltfreundlichen Explosivstoff durchsetzen zu können, muss er mindestens so leistungsfähig sein, wie die bewährten Substanzen." Chemiker versuchen dies zu erreichen, indem sie ihre Designersprengstoffe unter Spannung setzen: Kohlenstoff, eine beliebte Basis für Explosivstoffe, bildet zum Beispiel vier chemische Bindungen. Normalerweise sind diese in die Ecken eines Tetraeders gerichtet, einer Pyramide aus Dreiecken. Zwischen den Bindungen ergibt sich dadurch ein Winkel von 109 Grad. Wird der Kohlenstoff in die Form eines Ringes, eines Käfigs oder eines Quaders gezwungen, verändern sich die Winkel. Das gibt zusätzlichen Wumms.

Noch größere Hoffnung setzen die Forscher auf Stickstoff. Wenn sich dessen Atome bei einer Explosion zu einem stabilen Stickstoffmolekül verbinden, wird viel Energie frei. Zudem ist elementarer Stickstoff unbedenklich - er macht gut 75 Prozent der Luft aus. Gekoppelt mit einem Sauerstoffatom ergibt sich ein weiterer Vorteil: Die Stickstoffverbindungen lassen sich sehr kompakt anordnen. Durch die größere Dichte erhöhen sich die Detonationsgeschwindigkeit und vor allem der Druck.

"Das große Ziel unserer Forschung ist daher, eine Substanz zu finden, die zu 60 bis 80 Prozent aus Stickstoff besteht und zusammengehalten wird durch wenige Kohlenstoff- und Wasserstoffatome", sagt Klapötke. Einer der derzeit aussichtsreichsten Kandidaten - leistungsfähiger als RDX, aber nicht so giftig und nicht so empfindlich - erfüllt diese Vorgaben. Er heißt TKX-50. Oder, um präzise zu sein: Dihydroxylammonium-5,5'-Bistetrazol-1,1'-diolat.

Sprengstoffdesign ist Handarbeit. Am Anfang stehen Stift und Papier. "Ich nehme zum Beispiel einen Ring mit vier Stickstoffen, einen Kohlenstoff, dann brauche ich etwas Oxidierendes, vielleicht noch eine Nitrogruppe und schließlich ein bisschen Spannung, zum Beispiel mit einem Ring oder einem Käfig", sagt Klapötke. Der Bombenbauer klingt da wie ein Architekt, der am Zeichenbrett mit viel Verve ein wegweisendes Gebäude entwirft. Nur: Ist das dann auch praxistauglich? Und bezahlbar?

"Wenn man das Ganze seit fast 20 Jahren macht, entwickelt man ein gewisses Gespür für solche Dinge", sagt Klapötke. Zudem hilft der Computer. Moderne Programme können - gefüttert mit einer chemischen Formel - auf Basis der Quantenphysik und der Thermodynamik die Eigenschaften eines neuen Stoffes berechnen, zum Beispiel die Detonationsgeschwindigkeit. Das allein hat aber noch nichts zu bedeuten. "Manche Kollegen publizieren die tollsten Werte, aber jeder Chemiker aus dem sechsten Semester sieht: Solch einen Stoff kann man nur extrem schwer herstellen", sagt Klapötke. Octanitrocuban ist so ein Beispiel. Der Würfel aus acht Kohlenstoffatomen, gespickt mit acht Nitrogruppen, gilt als derzeit effektivster Sprengstoff. Seine Synthese ist aber so kompliziert, dass sich jeder praktische Einsatz verbietet. Der Stoff ist so teuer wie Gold.

Auch bei einer anderen Frage kann der Computer nur begrenzt helfen: Ist der neue Sprengstoff stabil? Oder geht er beider kleinsten Berührung hoch?

An Klapötkes Schrankwand hängt eine schwarze Schutzweste aus Kevlar, massiv, mehrere Kilogramm schwer. Auf dem Regal thront ein Helm, seine Plexiglas-Scheibe ist einen Zentimeter dick. Im Keller, neben dem Raum mit der durchlöcherten Tür, liegt im Stahlschrank ein Schutzanzug. Flecktarn, 36 Kilogramm.

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Die meisten neuen Materialien werden von den Münchner Sprengstofftüftlern trotzdem im Laborkittel hergestellt, nur wenige Meter vom Chefbüro entfernt. "Selbstschutz ist wichtig, aber er ist nicht das Wichtigste", sagt Klapötke. "Entscheidend ist, zunächst nur winzige Mengen einer neuen Substanz herzustellen." 250 Milligramm sind das Maximum.

Nebenan, im Labor, blubbert und brodelt es. In chemischen Abzügen, einer geschlossenen Variante der heimischen Dunstabzugshaube, qualmen Rundkolben vor sich hin. Substanzen werden gekühlt, gefiltert, getrocknet. Die bruchsicheren Polycarbonatscheiben der Abzüge sind zugezogen, irgendjemand hat Formeln mit Filzstift darauf gekritzelt. Im Raum liegt ein beißender Geruch. Über allem lärmt die Lüftung.

Trotz der winzigen Mengen werden die Kolben nur mit Kevlarhandschuhen und Stulpen über den Pulsadern angefasst. Brillen sind Pflicht, genauso wie ein Gehörschutz. "Der ist unbeliebt", sagt Klapötke. "Von Studenten hört man oft: Falls mal was hochgeht, pfeift es halt ein bisschen. Doch manchmal pfeift es ein Leben lang." Der 55-Jährige klopft auf sein Ohr. Ein unscheinbares Hörgerät klemmt dahinter. Die Folge eines Betriebsunfalls. Vier Gramm, vor mehr als 20 Jahren.

Passieren kann immer etwas, selbst mit 250 Milligramm. Das Gravimetriegerät im Analyseraum, das den Masseverlust einer Substanz beim Erhitzen bestimmen soll, ist gerade außer Betrieb. "Das haben wir in die Luft gesprengt, so etwas kommt schon mal vor", sagt Stefan Huber und lacht. Als Chemisch-Technischer Assistent am Lehrstuhl ist er für den Gerätepark verantwortlich - viele teure, sensible und filigrane Messgeräte. Oftmals zu filigran. Sensoren und Aufhängungen mögen keine Detonationen, seien sie noch so klein. Das Kalorimeter nebenan, mit dem das Verhalten einer Substanz bei steigender Temperatur ermittelt wird, musste vor kurzem neu angeschafft werden. "Laut Hersteller ist es nun unkaputtbar", sagt Huber und schmunzelt. "Aber ich wette, das kriegen wir auch hin."

Um Schlimmeres zu verhindern, kommt jede neue Substanz im Keller zunächst unter den Hammer. Ein Gewicht, zweieinhalb Kilogramm, fällt dabei aus einem Meter Höhe auf die Probe. Das gelbe Seil, mit dem der Mechanismus ausgelöst wird, ist so lang, dass sich die Experimentatoren beim Ziehen hinterm Türrahmen verstecken können. Knallt es, raucht es, entzündet sich die Probe, hat die Substanz versagt. Zu empfindlich. Andernfalls wird weiter geforscht. Die Chemiker stellen 750 Milligramm her, später 2,5 Gramm, dann fünf und zum Schluss zehn Gramm. Bei jedem Schritt wird die Empfindlichkeit gegenüber Schlägen, Berührungen, Elektrostatik überprüft.

Erst dann darf es knallen.

Eine blaue Kugel aus massivem Stahl steht dazu auf dem Kellerboden. In ihr testen die Forscher, ob sich eine neue Substanz überhaupt zünden lässt und wie schnell sich die Detonation ausbreitet. 36 000 Kilometer pro Stunde sind das große Ziel. In der schallgedämpften Kugel dürfen bis zu 250 Gramm gezündet werden, maximal 20 Gramm haben die Münchner bislang hochgejagt. "Mehr als ein metallisches Klacken hört man dabei nicht", sagt Stefan Huber - und es klingt, als würde ein leises "Schade" mitschwingen.

Über dem Schacht liegt die Institutswiese, auf der Studenten liegen und Kaffee trinken

Deutlich lauter wird es nebenan, in Raum U1.012, der Explosionskammer mit ihren abgeblätterten Betonwänden. Hier zünden die Forscher regelmäßig zehn Gramm ihrer Sprengladungen - versenkt in Bleiblöcken. Durch die Detonation entsteht ein Hohlraum im Blei, dessen Größe als Maß für die Leistungsfähigkeit eines Sprengstoffs gilt. Die Druckwelle kann durch die Hintertür entweichen, die mit viel Schwung - und mit Löchern in der Fassade - in einen Lichtschacht aufschwingt.

Mit dem Druck entkommt auch der Lärm. Direkt über dem Schacht ist die Institutswiese, auf der im Sommer Studenten liegen und Kaffee trinken. "Zwar sind unsere Versuche völlig sicher, es gibt aber einen lauten Schlag", sagt Klapötke. "Da wir nicht wollen, dass die Leute vor Schreck den Kaffee fallen lassen, machen wir das nur abends oder am Wochenende."

Dann warnen Schilder vor "Geräuschbelästigung". Und dann steht die halbe Arbeitsgruppe vor dem Kellerlabor und lauscht gespannt der Detonation - trotz Gehörschutz. Die Münchner sind schließlich die einzige universitäre Forschungsgruppe in Deutschland, die Explosivstoffe sicherer, umweltfreundlicher, tödlicher machen will. Außerhalb der Hochschulen forscht noch das Fraunhofer-Institut im badischen Pfinztal an - wie es beschönigend heißt - energetischen Materialien. Darüber sprechen will das Institut allerdings nicht. Selbst für wissenschaftliche Fragen wird ans Verteidigungsministerium verwiesen.

"Es wäre unmoralisch, würde ich mein Wissen nicht unseren Soldaten zur Verfügung stellen."

Klapötke, dessen Budget zu drei Vierteln von militärischen Forschungseinrichtungen stammt, ist da offener, routinierter. "Wie ich meine Arbeit moralisch sehe? Das bin ich schon oft gefragt worden", sagt er. Entsprechend abgeklärt fällt die Antwort aus: "Wir sind nun mal in der Nato. Es wäre daher unmoralisch, würde ich als guter Chemiker mein Wissen nicht unseren Soldaten zur Verfügung stellen, damit sie das beste, sicherste und effektivste Material haben." Für Angriff und für Selbstschutz.

Tiefblau schimmert ein Gestell in einem der Keller-Abzüge. Hier testen die Forscher neue pyrotechnische Mischungen - leuchtende Farben für Feuerwerk und Signalfackeln. Bislang wird bei der Pyrotechnik ein ungesunder Cocktail freigesetzt: giftige Chlorverbindungen, krebserregendes Barium, jede Menge Ruß. Insbesondere für Soldaten, die solche Fackeln im Notfall eine Armlänge von Mund und Nase entfernt schwenken müssen, ist das hochgefährlich.

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In den neuen Substanzen, die nach dem Anzünden den Abzug tiefblau färben, haben die Forscher das Chlor durch Brom ersetzt und den Stickstoffgehalt erhöht. Helle Farben, weniger Staub und weniger Gift sind die Folge - eine Technik, die sich auch aufs Silvesterfeuerwerk übertragen ließe. Noch sind die Stoffe allerdings teuer. "Wenn Sie im Supermarkt ein umweltverträgliches Feuerwerk für zehn Euro anbieten, das gleiche Feuerwerk aus China aber für zwei Euro zu haben ist, dann kauft niemand die ungiftige Variante", sagt der Chemiker. "Zumindest nicht, solange es kein Gesetz gibt."

Das allerdings ist nicht der Grund, warum Klapötke an Silvester kein Feuerwerk zünden will. Auch ein vermeintlicher Überdruss an Explosionen ist es nicht. Es sind zwei Vierbeiner, die durchs Büro in Großhadern stromern. Klapötke ist Hundebesitzer. "Und Hunde", sagt der Sprengstoffexperte, "die mögen es gar nicht, wenn's knallt."

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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