Archäologie:"Made in China" ist mehr als 800 Jahre alt

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Zur Ladung des etwa 30 Meter langen Schiffes zählten mehr als 100 000 Keramiken. (Foto: The Field Museum, Anthropology, Pacific Sea Resources)
  • Neue Analysen der Keramiken liefern Belege dafür, wie China Ende des 12. Jahrhunderts begann, erstmals in größerem Stil Handel auf dem Seeweg zu treiben.
  • Unter den Funden haben die Archäologen nämlich zwei eigentlich unscheinbare, gut elf Zentimeter große Keramikgefäße mit einer Inschrift entdeckt, die man heute als "Made in China" deuten könnte.
  • Fischer waren auf das Wrack gestoßen, da sich in seiner Nähe auffallend viele Fische tummelten.

Von Hubert Filser

Als das Schiff in der Javasee sank, hatte es gut 200 Tonnen Ladung an Bord: mehr als 100 000 Keramikgefäße, tonnenweise Eisenblöcke, feines Geschirr, Woks, Steingutöfen, Werkzeuge, Waffen, Gongs aus Bronze und Stoßzähne von Elefanten. Jahrhundertelang lag das Wrack in 26 Metern Tiefe vor der Südostküste Sumatras, bis Fischer es Ende der 1980er-Jahre zufällig entdeckten.

Dennoch blieb der Standort des uralten Schiffs lange Jahre geheim. Erst Mitte der 1990er-Jahre kaufte das US-Unternehmen Pacific Sea Resources die Bergungsrechte. Das "Javasee-Schiffswrack", wie es die Forscher nüchtern nennen, wurde zunächst kaum wissenschaftlich untersucht. Nun liefern neueste Untersuchungen verblüffende Erkenntnisse.

Wie Archäologen um Lisa Niziolek vom Fieldmuseum in Chicago in der aktuellen Ausgabe des Journal of Archaeological Science: Reports berichten, ist das Schiff älter als bislang vermutet, es sank vor mehr als 800 Jahren. Neue Analysen der Keramiken liefern zudem Belege dafür, wie China Ende des 12. Jahrhunderts begann, erstmals in größerem Stil Handel auf dem Seeweg in Südostasien zu treiben. Unter den Funden haben die Archäologen nämlich zwei eigentlich unscheinbare, gut elf Zentimeter große Keramikgefäße mit einer Inschrift entdeckt, die man heute als "Made in China" deuten könnte, so Lisa Niziolek.

Die Mongolen blockierten die Seidenstraße, Händler wichen auf den Seeweg aus

Fischer waren auf das Wrack gestoßen, da sich in seiner Nähe auffallend viele Fische tummelten. Als sie mit Dynamit fischten, fanden sich nicht nur tote Meerestiere in ihren Netzen, sondern auch Holzplanken und Teile der Ladung. Durch die Sprengungen beschädigten sie auch das Wrack. Später ging ein Teil der Ladung durch Plünderungen und eine frühere, eher wilde Bergungsaktion mit einem Fischerboot verloren, erzählt Niziolek.

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Erst Pacific Sea Resources barg dann 1996 mithilfe professioneller Schatztaucher etwa 12 000 intakte Keramikteile. Ein Teil der Funde ging an die indonesische Regierung, mehr als 7500 Artefakte übergab das Unternehmen an das Field Museum in Chicago. Es ist die größte zusammenhängende Sammlung einer alten Schiffsladung, die der Forschung zur Verfügung steht.

Während der Bergung hatte man das Material wissenschaftlich nur grob erfasst. Der US-Archäologe Michael Flecker hatte damals das Schiff vermessen: Es war 30 Meter lang und knapp neun Meter breit, eine typische Größe für ein Handelsschiff aus Südostasien zu dieser Zeit, gebaut aus einem einheimischen Baum der Gattung Parastemon urophyllus, einem Goldpflaumengewächs. Knapp 350 Tonnen konnte so ein Schiff laden, so Flecker. Kollegen datierten das Schiff auf das 13. Jahrhundert, unpräzise, wie sich jetzt herausstellt.

Lisa Niziolek, die auf alte Keramiken spezialisiert ist, kam über Inschriften auf der Unterseite zweier Keramikstücke auf die Spur der neuen Datierung. Der chinesische Schriftexperte Lu Zhang hatte entdeckt, dass die Keramiken von einer "Familie Wang Chengwu in Datongfeng gemacht" waren. Zudem war eine Art Herkunftsbezeichnung vermerkt: "Jianning Fu" lauten die ersten drei chinesischen Zeichen, es handelte sich um einen Ort in der chinesischen Provinz Fujian, der diesen Namen nur während der Song-Dynastie trug, die zwischen 1162 und 1278 Chinas Süden beherrschte. Nach dem Eindringen der Mongolen unter Kublai Khan wechselte der Name zu "Jianning Lu". Einen Schreibfehler schließt die Archäologin aus, die Zeichen für fu und lu seien sehr unterschiedlich, ebenso ihre Bedeutung. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es einen Fehler bei der Beschriftung gab", so Niziolek.

Damit sei klar, dass das Schiff bereits im Jahr 1162 hätte losfahren können. "Wir wollen als Nächstes mithilfe von Vergleichsstücken aus Ofenanlagen in diesem Gebiet testen, aus welchen chemischen Bestandteilen die Stücke bestehen und ob die Signatur auch wirklich zur Region passt." Die Herkunft von Keramik mit Hilfe von Isotopenanalysen und chemischen Bestimmungen liefert eine Art regionalen Fingerabdruck der Waren. Dann wäre das "Made in China" endgültig belegt. Diese Geschichte ist auch Beleg dafür, wie sich Archäologie in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert hat und immer häufiger naturwissenschaftliche Methoden Einzug finden.

Dass die Stücke zwischendurch lange gelagert wurden, hält die Archäologin für unwahrscheinlich. Es handelte sich bereits um eine regelrechte Massenproduktion. "Es waren schließlich 100 000 Keramiken an Bord", sagt Niziolek. "Da ist es doch unwahrscheinlich, dass ein Händler diese sehr lange vor der Verschiffung eingelagert hat. Sie wurden wahrscheinlich nicht lange vor dem Untergang des Schiffes gemacht." Außerdem war Keramik nicht die einzige Ladung an Bord. Das Schiff hatte auch Elefantenzähne an Bord, ebenso duftende Harze als Zusatz für Weihrauch oder zum Abdichten von Schiffen.

Die stammten wohl ursprünglich aus Indien oder Japan, schreiben die Forscher. Beide Materialien waren wichtig für die Datierung des Wracks. Die Forscher bestimmten das Alter mithilfe der Radiokarbonmethode, bei der der Anteil radioaktiver Kohlenstoffisotope gemessen wird. Die ältesten Stücke datieren auf das Ende des 9. Jahrhunderts, die Mehrzahl der Funde stammt aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Damit verdichtet sich die Indizienkette: Das Schiff fuhr wohl in der Frühzeit der Song-Dynastie, als diese zur führenden Seehandelsmacht in Südostasien aufstieg. Auch gezwungenermaßen: Die Landroute über die Seidenstraße nach Europa war von den Mongolen versperrt.

Die chinesischen Herrscher begannen Ende des 12. Jahrhunderts, ein Machtvakuum zu füllen, das durch den Zerfall des einst mächtigen, auf Sumatra und dem Süden Malaysias beheimateten Reiches von Srivijaya entstanden war. Anfang des 12. Jahrhunderts nahm der chinesische Seehandel zu. Das alte Handelsnetzwerk chinesischer Herrscher, das sich vor allem aufs Landesinnere konzentriert hatte, veränderte sich. Der Hof der Song-Dynastie war von den Mongolen nach Süden vertrieben worden und verlor viel von seinem Zugang über Land zu den "Seidenstraßen".

Das Schiff hatte 200 Tonnen Ladung an Bord; mehr als 100000 Keramikgefäße und vieles mehr. (Foto: Reuters)

Infolgedessen war die Regierung immer mehr auf den Seehandel angewiesen, um ihre Kassen zu füllen. Sie ermunterte chinesische Kaufleute, selbst ins Ausland zu gehen, anstatt sich auf ausländische Händler zu verlassen, die nach China reisten und dort einkauften. Der neue Handel setzte auf einen offeneren wirtschaftlichen Austausch, vor allem über das Meer. "In dieser Zeit verschärfte sich der Wettbewerb zwischen den maritimen Gesellschaften Südostasiens", sagt Niziolek. Für die chinesische Dynastie war es ein großer Vorteil, dass Srivijaya zerfiel, das einen Großteil des Seehandels in der Region kontrolliert hatte.

Die Forscher konnten auch die konkrete Fahrtroute rekonstruieren. Das Schiff segelte von der chinesischen Stadt Hangzhou nach Guangzhou, dann weiter nach Vietnam, Südthailand und an die Küste Sumatras nahe Palembang, ehe es in der Javasee unterging. "Das Ziel war wahrscheinlich Tuban auf der indonesischen Insel Java", sagt Niziolek. Die Forscher nutzten Artefakte aus dem Wrack wie thailändische Kendis und Kundikas, Ritualgefäße mit Ausguss, verglichen sie mit archäologischem Material aus möglichen Zwischenstopps und verwendeten zudem Techniken wie chemische Signaturen, um diese Route Stück für Stück zu klären.

Unter den Passagieren des Schiffes waren wohl auch Mönche aus Thailand

Alternativ segelten Handelsschiffe auch regelmäßig von China zur Insel Luzon im Norden der Philippinen und dann entlang der nordwestlichen Küsten von Palawan und Borneo in die Javasee-Region. Der Transport mit Schiffen brachte einen weiteren Vorteil. Er ermöglichte auch die Beförderung großer Mengen von sperrigen, schweren Gegenständen wie Keramik und Tonnen von Eisenblöcken, zwei der Hauptladungen des Javasee-Wracks.

Welche Dimensionen der Schiffshandel erreichte, lässt sich quantitativ nur schwer bestimmen, zumal oft Plünderer schneller als Wissenschaftler vor Ort bei neuen Wracks sind. Bedauerlicherweise seien aus der Region nur wenige andere Schiffswracks aus dem 12. oder 13. Jahrhundert für die Forschung zugänglich, so die Forscher, etwa die beiden jeweils mit chinesischen Keramiken beladenen Schiffe, die vor Jepara und Pulau Buaya entdeckt wurden.

Umso wichtiger sind Funde wie das Javasee-Wrack. Manche Spuren besonderer Kunstwerke aus Glas führen bis in den Nahen Osten und nach Ägypten. Offenbar waren auch einige Passagiere mit ihrem persönlichen Hab und Gut an Bord, als das Schiff im 12. Jahrhundert in der Javasee versank, etwa thailändische Mönche mit ihren Gongs und rituellen Gegenständen. Familiennamen, persönliche Glückwünsche auf Gegenständen und andere Inschriften erzählen noch heute ihre Geschichten.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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