Ägypten: Revolution und Archäologie:"Die Räuber konnten seelenruhig vorgehen"

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Raubgräber haben die Unruhen in Ägypten ausgenutzt, um antike Stätten zu plündern. Bislang war unklar, wie groß der Schaden ist. Der Ägyptologe Stephan Seidlmayer über die Folgen des Arabischen Frühlings auf die Grabungen in Nordafrika.

Hubert Filser

Ägypten im Umbruch: Im Frühjahr haben die politischen Ereignisse die Altertumswissenschafter aufgeschreckt; unklar war bislang, welche Schäden Plünderer an den antiken Stätten hinterlassen haben. Jetzt wurde Zahi Hawass entlassen, der früher allmächtige Staatsminister für Altertumsgüter. Stephan Seidlmayer, seit 2009 Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Kairo, erläutert die Lage. Der 53-jährige ist seit über drei Jahrzehnten an Ausgrabungen in Ägypten beteiligt.

In der Nekropole Abydos, 500 Kilometer südlich von Kairo, erforschen die Wissenschaftler des Deutschen Archäologischen Instituts unter anderem den Kult um Totengott Chontamenti. (Foto: Deutsches Archäologisches Institut (DAI) Kairo)

SZ: Wie ist die aktuelle Situation auf den Grabungsstätten?

Stephan Seidlmayer: Die Lage ist wieder ruhig, die Stätten sind bewacht. Aber als im Februar die Sicherheitskräfte kurzfristig verschwanden, schwoll das Problem schlagartig an. Am schlimmsten waren Ausgrabungsstätten im Raum Sakkara und Dahshur südlich von Kairo betroffen. Das Gebiet ist sehr reich an Fundstätten, dort gab es aber auch schon vor der Revolution Probleme mit Raubgrabungen. Während der Unruhen sind in ganz Ägypten rund 1300 antike Objekte verlorengegangen.

SZ: Sind auch Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts betroffen?

Seidlmayer: Wir hatten nur Anfang Februar in Dahshur Probleme. Der Ort liegt 35 Kilometer südlich von Kairo und ist berühmt für zwei große Pyramiden, darunter die Knickpyramide - meine Lieblingspyramide. Im dortigen Gräberfeld sind ein Dutzend Anlagen ausgeraubt worden.

Da haben Leute nach dem Zufallsprinzip mit Schaufeln Löcher gegraben. Die Räuber mussten quadratische Schächte ausheben, die senkrecht sechs bis zehn Meter hinab bis zu den Grabkammern führen. Das ist schweißtreibende Arbeit. Aber ein paar Tage lang konnten die Räuber seelenruhig vorgehen.

SZ: Wie groß ist der Schaden?

Seidlmayer: Die Räuber haben nicht viel gefunden. Meist liegen in kleinen Grabkammern neben den Toten nur ein paar Keramikgefäße, vielleicht mal eine Kette mit Fayence-Perlen. Ich denke, die Diebe waren sehr enttäuscht, weil sie vielleicht Goldschätze erwartet hatten.

SZ: Für Sie als Archäologe ist das trotzdem furchtbar, oder?

Seidlmayer: Ja, denn für uns sind nicht die Objekte wichtig. Uns interessiert, wie die Menschen bestattet wurden, die Reste der Bestattungsrituale, die abgebrannte Fackel oder der Bottich mit dem Weihwasser. Wir rekonstruieren daraus Handlungsabläufe. Wir wollen etwas über die Lebensumstände der Toten erfahren, wie alt sie wurden, wie sie gelebt haben. Unser Verlust ist viel größer als das bisschen Gewinn der Raubgräber. Unser einziger Trost ist, dass es in Dahshur etwa 200 solcher Gräber gibt und nur rund ein Dutzend zerstört wurden.

SZ: Können Sie gegen die Grabräuber vorgehen?

Seidlmayer: Wir wissen, wer es war, Leute aus den Dörfern der Umgebung. Aber wir sind Gäste im Land. Speziell in einem Land mit Kolonialvergangenheit tut man gut daran, sich zurückzuhalten. Die Aufklärung ist Sache der Ägypter.

SZ: Was haben Sie von den Plünderungen in Kairo mitbekommen?

Seidlmayer: Davon haben uns die Kollegen vom ägyptischen Antikendienst erzählt. Alles was da passiert ist, ist natürlich schlimm: Im Nationalmuseum ist etwa ein Dutzend Objekte beschädigt worden, vor allem die Statuette des Tutanchamun hat sehr gelitten. Aber keines der Prachtstücke hat etwas abgekommen. Wenn man heute ins Museum geht, spürt man von der Zerstörung nichts. Ich will das nicht verharmlosen. Aber das sah nie nach organisiertem Raub aus.

SZ: Was war dann der Grund?

Seidlmayer: Ich hatte das Gefühl, es ging mehr darum, Chaos zu verbreiten. In den Tagen der Revolution entstand ein Milieu, in dem erstaunliche Dinge passiert sind. An vielen Orten haben Leute Magazine von Museen und Grabungsstätten aufgebrochen und einfach mal reingeschaut. Sie haben alles durchgewühlt, aber praktisch nichts mitgenommen. Das war in meinen Augen eine Art naiver und brutaler Neugierde, so als wollte man darauf reagieren, dass jahrzehntelang der Zugang verboten war.

SZ: Sie meinen, die wollten es einfach jetzt mal wissen.

Seidlmayer: Ja, das halte ich für plausibel. Ein ägyptischer Kollege aus Sakkara meinte: Vielleicht sollten wir einen Tag der offenen Tür machen. Dann sehen die Leute, dass in den Lagerräumen keine goldenen Schätze liegen. Wichtig ist, den Leuten klarzumachen: Das sind unsere eigenen Kulturgüter. Das hat man auch in den turbulenten Tagen erlebt. Um das Nationalmuseum am Tahrir-Platz hat sich eine Menschenkette gebildet, auch in Luxor haben Bürger ihre kulturellen Schätze beschützt.

SZ: Ist das Ausmaß der Zerstörung mit dem Irak vergleichbar, wo das Nationalmuseum geplündert wurde?

Seidlmayer: Nein. Im Irak ist eine Katastrophe passiert, das Irak-Museum ist wirklich geplündert worden. Die Raubgrabungen dort gehen bis heute im großen Stil und mit einer unvorstellbaren Brutalität voran. Besonders ekelhaft finde ich, dass auf den europäischen und amerikanischen Kunstmärkten verstärkt Raubgut aus dem Irak auftaucht.

Es gibt mittlerweile Projektanträge von Forschern, die geraubtes Material wissenschaftlich bearbeiten wollen. Hier haben das DAI, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Berliner Museen eine glasklare Politik: Solches Material fassen wir nicht an.

SZ: Trotzdem taucht es auf den Märkten auf.

Stephan Seidlmayer arbeitet seit 32 Jahren in Ägypten. Sein jüngstes Projekt ist die Nekropole von Dahshur, wo die Knickpyramide des Königs Snofru Ruinen eines Tempels überragt. (Foto: Deut. Archäolog. Institut)

Seidlmayer: Wir müssen diesen Kunstmarkt in der schärfsten Weise kontrollieren und austrocknen. Kein Objekt verlässt Ägypten legal! Ich appelliere immer an das Ehrgefühl jedes Sammlers. Jedes antike Stück auf dem Kaminsims bedeutet einen Trichter im Grabungsgelände. Jedes herausgerissene Ding ist die Spitze des Eisbergs, darunter verbergen sich Vandalismus, Zerstörung und ein riesiger Verlust an kultureller Information. Man sollte sich schämen, an so etwas beteiligt zu sein.

SZ: Wie haben Sie persönlich die Zeit in Kairo erlebt?

Seidlmayer: Die ersten Tage waren aufregend, weil wir nicht wussten, in welche Richtung sich alles entwickeln würde. Das Tränengas vom Tahrir-Platz ist oft zu uns herüber geweht, wir waren nur wenige hundert Meter entfernt.

SZ: Das Deutsche Archäologische Institut liegt wie viele Botschaften auf der Nilinsel Zamalek.

Seidlmayer: Ja, und diese Insel ist nur über sechs Brücken mit der Stadt verbunden. Als an einem Tag plötzlich alle Ordnungskräfte von der Straße verschwanden, haben wir Angst bekommen. Gleichzeitig kamen Gerüchte auf, dass Verbrecher aus den Gefängnissen freigelassen wurden, dass Plünderer von Haus zu Haus ziehen. Daraufhin haben sich spontan Bürgerwehren gebildet, die die sechs Zugangsbrücken bewacht haben. Da habe ich auch mitgemacht. Wir haben die ganze Nacht patrouilliert, an Kreuzungen jeden Autofahrer kontrolliert.

SZ: Einem deutschen Archäologieprofessor begegnet man nicht oft an einer Straßensperre. Wie kamen Sie dazu?

Seidlmayer: Da fuhren Männer auf Motorrädern und riefen: Jeder Mann, der eine Waffe hat, soll herunterkommen und mithelfen. Da habe ich spontan ein Staubsauger-Rohr genommen und bin runtergegangen. Es ging auch mehr darum, seine Solidarität zu zeigen. Ich bin ja kein Kämpfer. Aber ich habe in diesen Nächten viele schöne Gespräche geführt.

SZ: Worüber haben Sie mit den Ägyptern gesprochen?

Seidlmayer: Über Demokratie. Die Leute haben sich auch für die deutsche Geschichte interessiert. Ich hatte das Gefühl, dass das Historische und Archäologische noch nie so wichtig war. In Ägypten geht es sehr stark um die Frage der Selbstachtung, Geschichte und Kultur spielen eine zentrale Rolle.

Wir haben deshalb spontan beschlossen, an unseren Grabungsstätten künftig einen arabischen Newsletter herauszubringen, in dem wir die Denkmäler und Inschriften den Einheimischen erklären. Wenn Menschen verstehen, welche Schätze in ihrer unmittelbaren Umgebung liegen, wertet das ein Dorf oder eine Region auf. Eine 4000 Jahre alte Inschrift an der Dorfstraße kann Identität schaffen.

SZ: Kann das DAI die Aufbruchsstimmung auch im Wissenschaftsbereich fördern?

Seidlmayer: Wir wollen noch intensiver mit ägyptischen Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten, etwa lokale Exzellenzzentren aufbauen, zum Beispiel eines für ägyptische Inschriftenkunde im Raum Assuan.

SZ: Haben Sie Angst, dass sie künftig mehr Probleme mit Grabungslizenzen bekommen werden?

Seidlmayer: Was mit unseren aktuellen Anträgen zu neuen Grabungen passiert, werden wir nach den Wahlen im Herbst sehen. Ich rechne höchstens mit kleinen Verzögerungen, das ist aber für uns in Kairo nicht so schlimm. Meine Erfahrung aus 32 Jahren Grabungsarbeit in Ägypten ist: Letztlich klappt immer alles, Ägypter sind sehr pragmatisch.

SZ: Wie sehen Sie die Rolle von Zahi Hawass, dem lange umstrittenen Kulturfunktionär und jetzt erneut entlassenen Staatsminister für Altertumsgüter?

Seidlmayer: Zahi Hawass ist eine kantige Persönlichkeit, er hat aber viel für die Archäologie und für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses getan. Er hat schon vor der Revolution die Strukturen im Antikendienst modernisiert und dafür gesorgt, dass immer mehr moderne Labore und Konservierungseinrichtungen geschaffen werden. Und er hat den Apparat verjüngt, viele junge, hervorragend ausgebildete ägyptische Archäologen in wichtige Positionen gebracht.

SZ: Gerade der Nachwuchs hat sich beschwert, dass er zu wenig Einfluss habe.

Seidlmayer: Ich habe das Gefühl, dass da alte Rechnungen beglichen werden. Es stimmt, dass rund 10.000 ausgebildete Archäologen auf eine Stelle beim Antikendienst warten. Der Wunsch ist allein schon aufgrund der sozialen Bedürfnisse verständlich. Aber die Situation kann auch ein Minister nicht in kurzer Zeit ändern. Ich fände einen Rückfall in die Zeit vor Zahi Hawass nicht gut.

SZ: Was ändert sich durch die Entlassung von Zahi Hawass ?

Seidlmayer: Unsere Arbeit hängt nicht von einzelnen Personen ab. Wir stehen weiter für eine verantwortungsbewusste Erforschung der Altertümer. Ich hoffe, dass die ägyptische Regierung eine gute Lösung für die weitere Führung des Antikenministeriums finden wird.

© SZ vom 20.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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