Voraussetzungen für neue Kredite:Bittere Pillen für Griechenland

Greek PM Tsipras arrives at his office in Maximos Mansion in Athens

Griechenland: Alexis Tsipras kehrt am 13. Juli zurück in seinen Amtssitz in Athen.

(Foto: REUTERS)
  • Beim Euro-Gipfel in Brüssel verpflichtet sich Griechenland zu einschneidenden Reformen.
  • Hier das Abschlusspapier von Brüssel in der deutschen Übersetzung als PDF.

Analyse von Hans von der Hagen und Jakob Schulz

Es ist einer der seltenen Momente, in denen Kanzlerin Angela Merkel geradezu ironisch wirkt. Nach dem Gipfel der Euro-Staaten wird sie am Montag gefragt, inwieweit im Abschlusspapier noch eine griechische Handschrift erkennbar sei. Ihre Antwort: beim hohen Finanzmittelbedarf - und dass Erlöse aus Privatisierungen nicht ausschließlich für die Schuldenrückzahlung verwendet werden sollten.

Damit ist eigentlich alles zu den Machtverhältnissen bei den Verhandlungen gesagt: Die Gläubiger diktieren Griechenland, was nun zu geschehen hat. Die Euro-Staaten forcieren einen drastischen Umbau des Landes. Die Gegenleistung: Kredite in Höhe von 82 bis 86 Milliarden Euro über einen Zeitraum von drei Jahren. Es ist viel Geld, mehr als doppelt so viel, wie noch vor wenigen Monaten für ein drittes Hilfsprogramm prognostiziert worden war. Dafür schluckt Griechenland bittere Pillen. Es muss sparen - und vorübergehend einen weitgehenden Verlust seiner Souveränität akzeptieren.

Erstens: Enormer Zeitdruck

In den kommenden Tagen müssen wichtige Entscheidungen durchs griechische Parlament gepeitscht werden. Die ersten Maßnahmen, die bereits bis zum 15. Juli gebilligt werden müssen, dienen vor allem der Erhöhung der Einnahmen des Landes. Das Mehrwertsteuersystem soll "gestrafft" und die Steuerbemessungsgrundlage ausgeweitet werden. Überdies sollen "sofortige Maßnahmen zur Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit des Rentensystems" beschlossen werden. Vulgo: Die Steuern werden erhöht und Rentner bekommen weniger Geld. Überdies soll bis zum 22. Juli das Justizsystem grundlegend neu geregelt werden, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und günstiger zu machen. Zusätzlich soll es neue Richtlinien zur Sanierung und Abwicklung von Banken geben.

Zweitens: Die Troika ist zurück

In der Erklärung des Euro-Gipfels heißt es gleich zu Beginn: Ein Land, das Geld vom Euro-Rettungsschirm ESM haben möchte, muss "ein ähnliches Ersuchen an den IWF" richten. Nur dann werde die Euro-Gruppe billigen, dass Griechenland Geld aus dem ESM erhalte. Im Befehlston heißt es weiter: "Griechenland wird daher fortgesetzte Unterstützung durch den IWF (Überwachung und Finanzierung) ab März 2016 beantragen." Mit anderen Worten: Die in Griechenland verhasste Troika, bestehend aus Vertretern des IWF, der EZB und der EU-Kommission, wird die Maßnahmen des Landes überwachen. Und nicht nur das: Die Euro-Chefs fordern eine "vollständige Normalisierung der Verfahren zur Arbeit mit den Institutionen einschließlich der erforderlichen Arbeiten vor Ort in Athen". Der Hintergrund: Der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis hatte die Mitarbeiter der Troika im Januar 2015 aus dem Land geworfen. Sein Vorwurf: Griechenland werde unter Wasser gedrückt. In einem Interview mit dem Spiegel hatte er die Arbeit der Troika so beschrieben: "Kurz vor dem Herzstillstand wird uns gestattet, ein paar Atemzüge zu nehmen. Dann drückt man uns wieder unter Wasser, und alles geht von vorn los."

Drittens: Alle Gesetze der Regierung Tsipras werden überprüft

Was bleibt am Ende von der Arbeit der Regierung von Premier Alexis Tsipras? Klar ist nun: Die Gläubigerländer werden alle Rechtsvorschriften ändern, die im Widerspruch zur Vereinbarung vom 20. Februar eingeführt wurden und die "Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen darstellen". Falls die Gesetze einmal nicht rückgängig gemacht werden sollten, muss an anderer Stelle ein Ausgleich dafür geschaffen werden. Davon nehmen die Euro-Chefs allein das Gesetz über die humanitäre Krise aus.

Viertens: Verlust an Souveränität in der Gesetzgebung

Griechenland muss nicht nur alte Gesetze korrigieren - es muss auch alle neuen mit den Gläubigern abstimmen. Konkret heißt es in der Gipfel-Erklärung: "Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird." Mit anderen Worten: Wenn die Gläubiger ihr Plazet für ein neues Gesetz gegeben haben, darf es das Parlament am Ende noch abnicken.

Fünftens: Kaum Hoffnung auf einen Schuldenschnitt

Ein Schuldenschnitt, der Griechenland mehr Luft zum Atmen gelassen hätte, bleibt ausgeschlossen - zumindest offiziell. Explizit heißt es in der Erklärung des Euro-Gipfels: Es werde betont, "dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht durchgeführt werden kann." Bedeutsam ist hier der Begriff "nominal". Offen zeigen sich die Gläubiger nämlich für eine Umstrukturierung der Schulden. In der Erklärung heißt es, dass die Euro-Gruppe bereit sei, im Zusammenhang mit einem künftigen ESM-Programm einen "längeren Tilgungsaufschub und mögliche längere Zurückzahlungsfristen" zu "erwägen". Eine solche sogenannte Umschuldung hätte für Griechenland einen günstigen Effekt. Je länger die Rückzahlung der Kredite hinausgeschoben wird, desto stärker entwertet die Inflation die Darlehen. Die nominale Höhe der Kredite bliebe allerdings gleich, der Wert der Kredite wäre in ferner Zukunft aber deutlich niedriger.

Sechstens: Staatvermögen wird verkauft

Das Staatsvermögen soll zu großen Teilen über einen Privatisierungsfonds verkauft werden. Die Gläubiger hoffen, auf diese Weise 50 Milliarden Euro zu erlösen. Das Geld soll die Rückzahlung der Schulden ermöglichen und gleichzeitig den Banken des Landes zugute kommen. Ein kleinerer Teil des Erlöses, die Rede ist von 12,5 Milliarden Euro, soll für Investitionen eingesetzt werden. Tsipras hatte sich gegen einen solchen Fonds gewehrt, weil er befürchtet, dass Griechenland in der aktuellen Lage sein Vermögen nur zu Schleuderpreisen verkaufen kann. Zudem fehlen künftig die Einnahmen aus den Betrieben im Staatshaushalt.

Siebtens: Massenentlassungen müssen akzeptiert werden

Griechenland muss tiefgreifende Veränderungen am Arbeitsmarkt billigen. Das schließt nicht nur eine "Überprüfung und Modernisierung der Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen" ein. Athen soll auch Massenentlassungen "nach dem mit den Institutionen vereinbarten Zeitplan und Ansatz akzeptieren". Das heißt nicht, dass Massenentlassungen schon konkret geplant sind, sondern die Gläubiger wollen erreichen, dass sie gegebenenfalls auch durchgesetzt werden können.

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