Volkswagen-Hauptversammlung:Der Geist des Alten

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Am Rednerpult in Hannover: VW-Chef Martin Winterkorn. (Foto: Frank AugsteinAP)
  • Der Machtkampf bei Volkswagen ist mit dem Weggang des Patriarchen Ferdinand Piëch entschieden.
  • Konzernchef Martin Winterkorn und Aufsichtsrat Berthold Huber treten in Hannover demonstrativ gelassen auf.
  • Trotzdem schwebt der Geist des Alten über der VW-Hauptversammlung.

Report von Thomas Fromm und Angelika Slavik, Hannover

Normalität kann etwas ganz Besonderes sein in einem Konzern, in dem es drei Wochen lang keine Normalität gab, weil sich die Mächtigen in einen absurden, spektakulären Machtkampf verstrickt hatten. In einem Autokonzern bedeutet Normalität dann: Endlich wieder über Autos reden. Autos zeigen. Autos anfassen.

Martin Winterkorn, der 67-jährige VW-Vorstandschef, sucht an diesem Morgen die Normalität. Er tut das, was er immer macht, wenn der 12-Marken-Konzern seine Fahrzeuge in irgendeine große Halle stellt: Er wandert von Auto zu Auto und von Markenchef zu Markenchef. Winterkorn auf Inspektionsrundgang.

Er lässt die Tür eines Škoda Superb knallen und hört genau hin.

Er lässt sich vom Luxusmarkenchef Wolfgang Dürheimer einen neuen Bentley zeigen. "Es sei erwähnt, her Majesty the Queen fährt Bentley", sagt der. Winterkorn klopft seinem Mann auf die Schulter. Alles klasse hier, nicht wahr?

Winterkorn geht mit Audi-Chef Rupert Stadler um einen Audi RS 6 Avant herum. "Genügend Understatement, aber man ist nie untermotorisiert", sagt Stadler, und Winterkorn lächelt. Kameras vor sich, Mikrofone über sich, Schweißperlen auf der Stirn.

Endlich wieder Normalität.

Es ist jetzt kurz nach halb zehn, gleich beginnt die 55. Hauptversammlung eines Konzerns, in den Normalität einkehren soll, obwohl alles anders ist als noch vor ein paar Wochen. Aber dann erklärte Ferdinand Piëch, 13 Jahre lang Aufsichtsratschef des Konzerns und der unumstrittene Herrscher im VW-Reich, er sei "auf Distanz" zu seinem langjährigen Weggefährten und Lieblingsschüler Winterkorn. Es sah erst aus, als wäre das Winterkorns Ende, aber dann drehte das Präsidium des Aufsichtsrates - Betriebsräte, Vertreter des Großaktionärs Niedersachsen und VW-Miteigentümer Wolfgang Porsche - den Spieß um und ging auf Distanz zu Piëch. Der dann wiederum selbst Distanz herstellte und gemeinsam mit seiner Ehefrau Ursula Piëch alle Ämter niederlegte.

Da sagten viele: Okay, zumindest gibt es jetzt keinen Showdown bei der Hauptversammlung. Aber wird es deshalb auch eine normale Veranstaltung? Oder kommt es doch noch zum großen Eklat?

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Auf der VW-Hauptversammlung blickt Vorstandschef Winterkorn vor allem in die Zukunft: "Volkswagen ist ein kerngesundes, gut aufgestelltes Unternehmen". Der Machtkampf an der Konzernspitze scheint vergessen, Normalität soll einziehen. Aber kann das gelingen?

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Weil er das alles selbst noch nicht so genau weiß, sitzt Berthold Huber also schon hier, eine gute halbe Stunde, bevor es losgeht. Die ersten Aktionäre sind schon da und schauen neugierig aufs Podium. Hier sitzt Huber, ganz allein hinter einem langen hellgrauen Pult. Huber, 65, soll gleich die Hauptversammlung leiten, jetzt liest er, spricht leise vor sich hin. Es ist ein wichtiger Termin für ihn. Einer, den man nicht erwarten konnte in der Karriere eines Mannes, der eigentlich Gewerkschafter ist.

Seit dem Rücktritt Piëchs ist der frühere IG-Metall-Chef so etwas wie ein Übergangs-Chefkontrolleur, und als später dann die Aufsichtsratsmitglieder und Vorstände Platz nehmen, sitzt er neben Vorstandschef Martin Winterkorn. Er, einer von zehn Arbeitnehmervertretern im 20-köpfigen Aufsichtsrat, ist jetzt mittendrin. Er habe noch nie erlebt, dass ein ehemaliger Gewerkschaftsboss als Aufsichtsratschef durch eine Hauptversammlung führe, wird ein Aktionärsvertreter nachher sagen.

Er habe erstmal "geschluckt". Huber arbeitet sich mit buchhalterischer Akribie durch seine Rede. Gedenken an die Verstorbenen, Gehälter, Personalien, Formalia. Dann: ein Lob für den Vorgänger, für Ferdinand Piëch. Dieser habe für den Konzern und für die Automobilindustrie insgesamt Großes geleistet. Man werde "die Verdienste von Professor Piëch an anderer Stelle gebührend würdigen", sagt Huber. Niemand weiß, was das heißen soll. Kriegt Piëch eine Abschiedsparty? Eine Statue am Werkstor? Ein Benefizspiel des Konzernklubs VfL Wolfsburg?

Dann ist Zeit für den Vortrag des Vorstandschefs. Huber soll die Rede Winterkorns anmoderieren, will aber stattdessen schon zu den Wortbeiträgen der Aktionäre überleiten. Ein kleiner Fauxpas. "Tut mir leid, jetzt bin ich durcheinandergekommen", sagt Huber und sortiert hektisch seine Zettel. Dass er ausgerechnet Winterkorn beinahe vergisst, ist von unfreiwilliger Komik nach all den Wochen, in denen Ferdinand Piëch alles versucht hat, damit Winterkorn auf dieser Hauptversammlung tatsächlich nichts mehr zu sagen hat.

Winterkorn sagt: "Es gab in den letzten Wochen unzählige Interpretationen, Spekulationen und leider auch Übertreibungen. Sie als unsere Anteilseigner müssen wissen: Volkswagen ist ein kerngesundes, gut aufgestelltes Unternehmen." Das ist natürlich eine schöne Sprechblase, es gibt Applaus von den Aktionären. Die applaudieren aber auch jedes Mal, wenn der Name Ferdinand Piëch fällt. Dann sitzen die VW-Manager vorne auf der Bühne und schauen betreten auf ihre Blätter. Der Konzern weiß nicht so recht, wie er umgehen soll mit seinem früheren Patriarchen. Der alte Mann ist noch nicht lange weg. Aber schon werden die ersten Aktionäre nostalgisch. "Zögern Sie nicht und machen Sie ihn zum Ehrenmitglied im Aufsichtsrat", fordert der Berliner Rechtsanwalt Martin Weimann. Es hätte schlimmer kommen können. Einige hatten schon schwere Turbulenzen erwartet, einige hatten befürchtet, der Patriarch selbst würde vorbeikommen und sich rächen. Zumindest das wurde ihnen erspart.

Die Aktionäre sprechen vom "Automobil-Genie", und sie verlangen von Winterkorn eine Erklärung für das, was sich da in den vergangenen Wochen abgespielt hat in diesem Konzern. Sie wollen wissen, warum sie nicht mehr beide haben können: Winterkorn und Piëch. Ist doch so viele Jahre gut gegangen. Ob Winterkorn das schon ahnt, als er da auf dem Podium steht? Er versucht sich jedenfalls an einer Würdigung und sagt, dass es ihm "wichtig" sei, auch "Herrn Professor Piëch zu danken", der ein "mutiger Visionär" sei und viel für Volkswagen geleistet habe. Und dem der Konzern "sehr viel zu verdanken" habe. Starke Worte für einen wie Winterkorn, der noch vor kurzem von Piëch attackiert wurde. Mehrfach werden Huber und Winterkorn aufgefordert, die Gründe des Zerwürfnisses mit Piëch offenzulegen. Einer vermutet eine "monatelang geplante Intrige". Winterkorn und Huber verweisen auf die Geheimhaltung von Aufsichtsratssitzungen. Aber das reicht den Aktionären nicht. Einer sagt, unabhängig von den Gründen verstehe er nicht, warum der Streit so habe enden müssen: "Wir hätten eine Klärung unter Männern erwartet."

Irgendwann sitzen viele Aktionäre eh nicht mehr im Saal. Sie gehen raus in die Vorhalle, zwischen Audis und Porsches gibt es Wiener Würstchen und Semmeln. Autos gucken, Wurstsemmeln essen - das ist dann endlich Normalität.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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