Studium:Guck mal, was die Nachbarn haben!

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Der Niederrhein kann von den Niederlanden lernen. Dort verbindet eine Hochschule Studium und Gründerkultur.

Von Janis Beenen, Mönchengladbach/Venlo

Zwei Hochschulen, zwei Dozenten. Ihre Büros liegen kaum eine halbe Autostunde auseinander. Die Bedingungen, unter denen die Männer für ihre Visionen eintreten, unterscheiden sich allerdings extrem. Beide sind Fans von Start-ups. Karsten Grell lehrt im Studiengang International Marketing an der Hochschule Fontys in Venlo. Die niederländische Universität, ein paar hundert Meter jenseits der Grenze, will Gründerkultur vermitteln. Besonders Grells Studiengang verfolgt dieses Ziel seit mehr als zehn Jahren. Etliche junge Leute aus Deutschland studieren deshalb im Nachbarland.

Georg Oecking, Professor für Controlling, leistet derweil Pionierarbeit. Unternehmerisches Engagement spielt an der Hochschule Niederrhein, mit etwa 15 000 Studenten eine der größten in Nordrhein-Westfalen, kaum eine Rolle. Dabei betteln Vertreter von Firmen, Verbänden sowie Städten, dass die beiden Standorte der Hochschule, Krefeld und Mönchengladbach, endlich gründungswillige Absolventen bekommen. Oecking will dafür sorgen.

Dozent Grell erklärt den gegensätzlichen Status quo: "Die Niederländer sind zupackender und pragmatischer." Daher habe sich die Fontys schon um Start-ups gekümmert, bevor die Begeisterung in Deutschland aufkam. Grells Studiengang setzt auf den Bezug zur Praxis. Anstelle vieler wirtschaftlicher Theorien sollen die Studenten lernen, reale Probleme zu lösen. "Bereits im zweiten Semester schreiben sie einen Geschäftsplan", sagt Grell. Er vertraut auf Learning by doing. Später bereiten die Studenten ein Geschäftskonzept vor, mit dem sie tatsächlich an den Start gehen könnten. Andere entwickeln Mini-Unternehmen, mit denen sie für ein Jahr begrenzt an den Markt gehen. Die Studenten suchen Geldgeber für ihre Idee und verkaufen ein Produkt. Die Betreuung in kleinen Klassen mit 30 Leuten ist intensiv. Lokale Unternehmer helfen als Mentoren. Sie hoffen im Gegenzug auf ein Netzwerk und Ideen. Mit einer Niederlassung am Niederrhein tritt die Fontys auch mit deutschen Firmen in Kontakt. Sie sollen mitmachen.

Über den Spezialstudiengang hinaus hilft die Fontys Studierenden, ein Start-up aufzubauen, berichtet Grell. Junge Leute können sich mit einer Idee ans Zentrum für Unternehmertum wenden. Trainer unterstützen sie bei Fragen. Zudem planen sie, wie Studium und Firma vereinbar sind. Kleine Klassen und intensive Betreuung kosten allerdings. Studiengebühren von 2060 Euro sind in der Regel pro Jahr fällig. Dafür haben die Programme der Fontys erfolgreiche Marken hervorgebracht. Der Schnaps Red Seven steht im Supermarkt und kesselheld.de ist ein gefragter Online-Marktplatz für Heizungen.

Oecking, der Professor an der Hochschule Niederrhein, weiß von den Qualitäten der Nachbarn. "Viele haben zu lange arrogant nach Holland geguckt, weil die so viel Praxis machen", kritisiert der 55-Jährige. Auch er möchte ein theoretisches Fundament bewahren. Doch ein bisschen mehr Nähe zur Realität darf es sein. Oecking lässt seine BWL-Studenten kurz vor ihrem Abschluss einen Businessplan schreiben. Der Wissenschaftler will, dass diese Leistung auch in anderen Bereichen Standard wird. Textilwissenschaftler oder Studenten der Sozialen Arbeit sollten wissen, wie sie aus einer Idee ein Geschäft machen. Viele Studierende würden bis zum akademischen Abschluss kein einziges Mal mit der Option, zu gründen, konfrontiert, so Oecking. Auch seine Kollegen muss er überzeugen. "Die springen bei meinen Plänen nicht vor Freude auf den Tisch", sagt er. Sie seien aber bereit, mitzuziehen. Oecking ist zuversichtlich, dass die Lehre ein bisschen niederländischer wird.

© SZ vom 03.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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