Streit um Freihandelsabkommen:Was Europa über TTIP denkt

TTIP Proteste

Vor allem in Deutschland ist der Protest gegen TTIP groß.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Zwischen Furcht und Hoffnung - vom Chlorhühnchen bis zum Absatz für Oliven: Wie denken die Bürger anderer Ländern des Kontinents über das Freihandelsabkommen mit den USA? Eine europäische Bestandsaufnahme.

Von den SZ-Korrespondenten

Frankreich: Albtraum und Chance

Wenn es um das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) geht, plagen die Franzosen ähnliche Sorgen wie die Deutschen. Chlorhühnchen, Hormonfleisch, Übermacht der Konzerne und undurchsichtige Schiedsgerichte - so lauten auch jenseits des Rheins die Befürchtungen.

Wobei das Interesse an TTIP geringer erscheint als in Deutschland. Erst im Europawahlkampf im Frühjahr rückte das Thema richtig in den Vordergrund. Während Präsident François Hollande die Verhandlungen zügig vorantreiben will, setzen radikale Parteien der Linken und der Rechten alles daran, den Vertrag zu verhindern.

Am weitesten geht dabei die Rechtsaußenpartei Front National, die bei der Europawahl stark abschnitt. Parteichefin Marine Le Pen nennt das Freihandelsabkommen "eine ultraliberale, antidemokratische, wirtschaftsfeindliche und unsoziale Kriegsmaschine". Alle Regeln beim Umweltschutz, der Landwirtschaft und der Lebensmittelsicherheit würden zugunsten der multinationalen Konzerne geändert.

Die Befürworter versprechen sich mehr Wachstum

Ein "Albtraum", findet Madame Le Pen. Ähnlich argumentieren Kommunisten und Linkspartei. Auch die Grünen warnen vor TTIP und davor, dass Firmen Frankreich verklagen könnten, weil es Gentechnik im Essen und Fracking verbietet.

Die Befürworter des Abkommens versprechen sich dagegen mehr Wachstum für die gebeutelte französische Industrie, einen besseren Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA und mehr europäischen Einfluss auf globale Industrie- und Handelsstandards. Präsident Hollande möchte schnell weiterverhandeln, bevor die Ängste im Volk das Abkommen stoppen. Auch seine Sozialisten sind für die Verhandlungen, möchten dabei aber eher bremsen. Sie betonen die "roten Linien" bei den Gesprächen, zum Beispiel beim Umwelt- und Datenschutz.

Die konservative Oppositionspartei UMP spricht sich im Prinzip für TTIP aus. Doch auch in ihren Reihen gibt es etliche Skeptiker. Ende Mai lehnte die Nationalversammlung einen Resolutionsentwurf der Linksparteien ab, der einen Stopp der Verhandlungen fordert.

Sorge um nationale Kulturförderung

Allgemein werden in Frankreich die angelsächsisch dominierte Globalisierung und der grenzenlose Kapitalismus sehr kritisch gesehen. Vom französischen Staat wird traditionell erwartet, dass er die Wirtschaft energisch lenkt und die Bürger schützt.

Besonders besorgt sind die französischen Bürger, wenn sie die "exception culturelle" Frankreichs in Gefahr sehen. Gemeint ist die energische Förderung ihrer Sprache und ihres Kinos, von Literatur und Chansons. Hier soll der Staat weiter mit Subventionen, Quoten und Sondersteuern helfen dürfen.

Die französische Regierung setzte daher vergangenes Jahr in Brüssel mit einer Veto-Drohung durch, dass der audiovisuelle Sektor vorerst von den Verhandlungen mit den USA ausgeklammert wird. Schon Jacques Chirac hatte in seiner Zeit als Präsident gesagt: "Völker wollen Güter tauschen, nicht aber ihre Seele verkaufen."

Von Stefan Ulrich

Italien: Furcht um Pasta und Mozzarella

In Italien dreht sich wie immer alles ums Essen, auch bei TTIP. Lebensmittel- und Agrarprodukte made in Italy zu schützen, ist aus Sicht des Landes ein besonders kritischer Punkt bei dem geplanten Abkommen. Viele der berühmten Produkte wie Pasta, Mozzarella und Salami werden nachgeahmt, nicht nur in den USA.

Und der Verbraucher glaubt, ein Original zu erwerben, weil das Imitat verpackt ist mit dem "Sound of Italy", wie es Luciano Monti nennt, Dozent für Europäische Wirtschaftspolitik an der LUISS-Universität in Rom. Italien will deshalb Vorschriften, die das ausschließen. Doch da gibt es Widerstände bei den Amerikanern.

Ein großes Thema ist TTIP in den italienischen Medien aber trotzdem nicht, schon gar nicht bei den Bürgern. Zwar wird unter Verbraucherschützern heiß diskutiert, vor allem über eine Marktöffnung für gentechnisch-veränderte Lebensmittel. Monti geht jedoch davon aus, dass "ein Abkommen kommen muss und kommen wird".

Wunsch nach mehr Öffentlichkeit

Beim Unternehmerverband Confindustria "steht die Unterstützung für das TTIP außer Zweifel", wie Licia Mattioli sagt, die Präsidentin des Ausschusses für Internationalisierung. Sie drängt die Unterhändler zur Eile, mahnt aber an, Lösungen zu finden, wo und wie mögliche Rechtsstreitigkeiten künftig geklärt werden.

Trotz der positiven Grundhaltung zu TTIP gibt es aber auch in der Wirtschaft Ängste. Sorgen machen sich etwa die Selbständigen, die für eine Besonderheit der italienischen Wirtschaft stehen: Immerhin machen Kleinunternehmen mit weniger als zehn Angestellten 94 Prozent der Firmen im Land aus.

Ihr Problem: Sie sind zu klein, um sich internationalisieren zu können, und fürchten deshalb, nur die USA würden profitieren. Deshalb wünscht sich Experte Monti auch, dass Italiens Regierung das Thema besser öffentlich bekannt macht als bisher.

Von Andrea Bachstein

Polen, Osteuropa: Kein Interesse, kaum Informationen

Das Freihandelsabkommen ist in Mittel- und Osteuropa kein Thema, das die Gemüter erregen könnte. Zwar sind die Regierungen der elf Länder, die seit 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, routinemäßig mit den seit einem Jahr nun laufenden Verhandlungen befasst.

Doch in der Öffentlichkeit findet das kaum Niederschlag, die Medien berichten wenig. Auch Proteste gab es bisher nicht. Offenkundig herrscht ein breites Desinteresse, auch in der Wirtschaft. Experten wie Roman Rewald von der amerikanischen Handelskammer in Warschau halten es deshalb für notwendig, erst einmal für einen kräftigen Informationsfluss zu sorgen, den es bislang nicht gebe.

TTIP findet kaum Beachtung

Seiner Ansicht nach liegt dies daran, dass bei solchen Prozessen die Beteiligung der Zivilgesellschaft noch nicht sehr weit entwickelt ist, auch nicht in Polen, dem größten und am weitesten fortgeschrittenen der neuen EU-Länder. Die amerikanische Handelskammer macht in Warschau wie in anderen Hauptstädten das Ihre, um für TTIP zu werben.

US-Außenminister John Kerry lockte die Polen vor einem halben Jahr bei einem Besuch mit der Aussicht auf einen fulminanten Wirtschaftsaufschwung. So könnten Autoproduzenten mit kräftigen Zuwächsen rechnen, etwa das Werk von General Motors im schlesischen Gleiwitz.

Der Wirbel, den 120 internationale Bürgerorganisationen jüngst mit einer gemeinsamen Erklärung in Brüssel machten, fand in Mittel- und Osteuropa kaum Beachtung. Umwelt- und Verbraucherthemen empfinden die meisten Bürger als nachrangig. Die Anzahl der Initiativen auf diesem Gebiet ist klein und ihre Durchschlagskraft gering.

Von Klaus Brill

Skandinavien: Umstrittene Sonderrechte für Konzerne

Die Bürger in den skandinavischen Länder sind zwiegespalten. Einerseits hoffen sie auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, andererseits wächst die Besorgnis, dass durch ein Freihandelsabkommen Umwelt- und Verbraucherstandards aufgeweicht werden könnten.

Besonders kritisch betrachtet wird die geplante Investitionsschutzklausel ISDS, die Teil des Abkommens werden könnte. Danach könnten Konzerne Staaten vor privaten und geheim tagenden Schiedsgerichten verklagen, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen. Vor allem die Grünen sehen darin eine Gefahr für die Demokratie. Öffentlich diskutiert wird jedoch über das Vorhaben wenig, Medien berichten selten darüber, und es gibt auch kaum Bürgerproteste.

Dass etwa Schweden, wie Deutschland ein Exportland, von dem Abkommen profitieren könnte, wird jedoch nicht infrage gestellt. Sieben Prozent aller schwedischen Ausfuhren gehen in die USA. Ähnliches gilt für Finnland und Dänemark.

Nur Norwegen ist dagegen

Schwedens Regierung sei begierig darauf, dieses Abkommen abzuschließen, sagte Kajsa B Olofsgård, Chefin der Abteilung für Internationalen Handel im Außenministerium, noch im Frühjahr. Um 17 Prozent soll TTIP die schwedischen Exporte in die USA steigern, so die Erwartungen. Selbst die meisten Gewerkschaften haben sich für das Abkommen ausgesprochen.

Was allerdings für Dänemark, Finnland und Schweden gilt, trifft nicht für Norwegen zu. Es ist als einziges skandinavisches Land nicht Mitglied in der EU und deswegen von dem Abkommen ausgeschlossen - ein Wettbewerbsnachteil, den vor allem die für Norwegen wichtige Fischindustrie fürchtet.

Von Silke Bigalke

Großbritannien: Gesundheitssystem in Gefahr

In Großbritannien haben es die Gegner des Freihandelsabkommens TTIP schwer. Nicht dass sie in ihrem Protest eingeschränkt oder gar behindert würden. Das Problem ist, dass sich auf der Insel kaum jemand wirklich für das Thema zu interessieren scheint.

Da viele Briten ohnehin der Ansicht sind, dass man mehr Handel mit den USA treiben solle, können sie in einem entsprechenden Abkommen keine Gefahren erkennen. Das ist sicherlich auch der "special relationship" der beiden Länder geschuldet, den traditionell besonderen Beziehungen zwischen Vereinigtem Königreich und Vereinigten Staaten.

Dieser Mangel an Interesse zeigt sich auch in den Medien, wo das Thema verhältnismäßig selten verhandelt wird. John Hilary, Direktor der Wohltätigkeitsorganisation "War on Want", beklagt, dass außer einigen wenigen Artikeln im Guardian oder im Independent eine kontinuierliche Berichterstattung nicht stattfinde, anders als beispielsweise in Deutschland oder in Frankreich.

Sorge um Verschlechterung des Gesundheitssystems

Hilary ist einer der profiliertesten Gegner des TTIP auf der Insel. Seine Organisation, die sich besonders in der Armutsbekämpfung engagiert, hat Mitte Juli mehrere Protestveranstaltungen in Birmingham, Manchester und London organisiert.

Die britischen Gegner sind besonders besorgt, welche Auswirkungen TTIP auf den Nationalen Gesundheitsdienst NHS haben könnte. Jeder Einwohner Großbritanniens hat Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung, das wird vom Staat garantiert und finanziert. Zwar gibt es immer wieder Klagen über den NHS, zum Beispiel wegen zu langer Wartezeiten auf Operationen, aber im Grundsatz gilt er den Briten als eine ihrer größten Errungenschaften.

Das Problem in Bezug auf das TTIP: In den vergangenen Jahren sind Teile des NHS privatisiert worden. Auch Befürworter machen sich Sorgen, dass ein Abkommen bedeuten könnte, dass US-Konzerne sich in den NHS einkaufen und das britische Gesundheitssystem sich dadurch langfristig dem der USA angleicht.

Cameron hält sich bedeckt

Für die TTIP-Gegner bedeutet die potenzielle Gefährdung des Gesundheitsdienstes die Chance, mittelfristig vielleicht doch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, denn beim Thema NHS werden viele Briten hellhörig. Len McCluskey, Chef der Gewerkschaft Unite, die mehr als drei Millionen Mitglieder hat, meint, es bestehe kein Zweifel, dass das Gesundheitssystem durch TTIP gefährdet sei.

In der letzten parlamentarischen Fragestunde vor der Sommerpause wurde Premierminister David Cameron von mehreren Abgeordneten gefragt worden, was er gegebenenfalls dagegen zu tun gedenke. Cameron blieb vage. Soweit er das überblicken könne, bestehe keine Gefahr.

Der Premier sagte auch, er wolle das Thema nicht in dieser Kürze behandeln und werde dem Chef der Opposition einen Brief schreiben, in dem er die Position der Regierung darlege. Mit anderen Worten: Seine Berater werden sich das Thema in der Sommerpause etwas genauer ansehen müssen.

Von Christian Zaschke

Spanien: Kampf gegen die Krise

In Spanien haben sie ganz andere Sorgen als den Freihandel. Die Finanz- und EuroKrise ist längst nicht überwunden. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor erschreckend hoch. So ist es wohl auch zu erklären, dass eine große Mehrheit der Spanier vermutlich noch nie etwas von dem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA gehört hat, das hier kurz ACTI heißt.

Die Wirtschaftspresse berichtet zwar über die Proteste, vor allem bei den Deutschen. In Spanien aber gibt es keine große politische Kontroverse darüber, im Gegenteil: Sowohl die regierenden Konservativen unter Premierminister Mariano Rajoy als auch die größte Oppositionspartei, die Sozialisten, stehen voll und ganz hinter dem Abkommen.

Der Hispanic Council, ein Thinktank, der sich als Brückenbauer zwischen Millionen von US-Amerikanern mit spanischem Hintergrund und dem Königreich Spanien versteht, lief offene Türen ein, als er begeistert vermeldete: Eine Auswertung von Studien bestätige, dass das krisengeschüttelte Spanien zu den Gewinnern des Freihandels gehören werde.

Kritiker des Abkommens werden kaum gehört

Mittelfristig würden 143 000 Arbeitsplätze geschaffen, die Einkommen sollen um 6,6 Prozent steigen. Unklar bleibt aber, worauf sich diese für eine Schätzung erstaunlich präzisen Zahlen gründeten. Doch in Spanien stört sich daran kaum jemand.

Vor allem die Produzenten von Agrarprodukten wie Wein, Oliven und Olivenöl sowie Schinken hoffen auf eine Steigerung ihrer Ausfuhren. Kaum Gehör finden Stimmen, die warnen, dass es zumindest bei der Wein- und Olivenproduktion starke kalifornische Konkurrenz gibt.

Doch Kritiker des Abkommens in Spanien, vor allem kleine linke und Ökogruppen, haben kaum die Chance, gehört zu werden. Der Antrag der Vereinigten Linken, die Bevölkerung über das Abkommen entscheiden zu lassen, schaffte es nicht einmal auf die Tagesordnung des Parlaments.

Von Thomas Urban

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