Spekulation:Illusion, Torheit und Größenwahn

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Als die Welt schon einmal verrücktspielte: Ende der 1920er-Jahre schuf Präsident Calvin Coolidge mit Steuersenkungen einen Wirtschaftsboom. Damals ging es nicht gut aus. (Foto: AP)

An den Finanzmärkten herrscht seit der Wahl des neuen US-Präsidenten Euphorie. Doch die Spekulanten schauen meist auf die falschen Daten.

Gastbeitrag von Robert J. Shiller

In den Vereinigten Staaten gab es zuletzt zwei wichtige Illusionen an den Finanzmärkten. Eine ist die sorgsam kultivierte Vorstellung, dass der designierte Präsident Donald Trump ein genialer Geschäftsmann sei, der mit seiner Verhandlungskompetenz Amerika wieder groß machen wird. Die andere ist die Vorstellung, dass der Dow Jones die Marke von 20 000 Punkten erreichen müsse. Der Dow Jones Industrial Average stand seit November bei über 19 000 Punkten, jetzt hat er tatsächlich die Schallmauer durchbrochen. Was immer sonst passieren mag - das Erreichen der 20 000-Punkte-Marke wird schon für sich Folgen für die Psychologie der Märkte haben.

Trump hat nie klar und widerspruchsfrei gesagt, was er als Präsident tun wird. Ein Punkt auf seiner Tagesordnung sind eindeutig Steuersenkungen, und die davon ausgehenden Impulse könnten für höhere Vermögenspreise sorgen. Eine Senkung der Körperschaftsteuer dürfte logischerweise zu höheren Aktienkursen führen, während eine Senkung der persönlichen Einkommensteuer die Eigenheimpreise steigen lassen könnte.

Rückblick auf eine Zeit des Betrugs und des schönen Scheins

Doch es sind nicht nur Trumps vorgeschlagene Steueränderungen, die die Marktpsychologie beeinflussen dürften. Die USA haben noch nie einen Präsidenten wie ihn gehabt. Nicht nur ist er ein Schauspieler wie Ronald Reagan einer war; er ist auch ein motivierender Autor und Vortragsredner, ein Markenname im Immobilienbereich und ein zäher Verhandler. Falls er je seine Finanzdaten freigibt oder seine Familie es schafft, seinen Einfluss als Präsident zu nutzen, um ihren Gewinn zu steigern, könnte er sich sogar noch als erfolgreicher Geschäftsmann erweisen.

Am stärksten unter den Ex-Präsidenten der USA ähnelt Trump vielleicht Calvin Coolidge, einem extrem wirtschaftsfreundlichen Steuersenker, der von 1923 bis 1929 im Weißen Haus saß. Berühmt geworden ist Coolidges Äußerung: " The chief business of the American people is business." (Frei übersetzt: "Aufgabe des amerikanischen Volkes ist es, Geschäfte zu machen.") Sein Finanzminister Andrew Mellon - einer der reichsten Männer Amerikas - propagierte Steuersenkungen für die Reichen, was dann zu denen, die weniger glücklich dran seien, "durchsickern" ("trickle down") werde.

Die US-Wirtschaft war unter Coolidge sehr erfolgreich, doch der Boom endete 1929, unmittelbar nach dem Ausscheiden Coolidges, mit einem Börsenkrach, aus dem die Weltwirtschaftskrise wurde. Während der 1930er-Jahre schauten die Menschen zwar wehmütig auf die 1920er zurück, sie sahen sie aber zugleich als Zeit des schönen Scheins und des Betrugs.

Natürlich ist die Geschichte kein Schicksal, und die Ähnlichkeit mit Coolidge ist nur eine Beobachtung, keine Basis für eine Prognose. Zudem waren Coolidge und Mellon im Gegensatz zu Trump von besonnenem, maßvollem Temperament. Doch wenn man den Trump-Effekt um die Aufregung wegen des Dow Jones von 20 000 Punkten ergänzt, so hat man durchaus die Grundlage für eine machtvolle Illusion. Am 10. November 2016, zwei Tage nach der Wahl Donald J. Trumps, erreichte der Dow Jones einen ersten Höchststand - danach ging es immer weiter aufwärts.

Dies klingt wie eine wichtige Nachricht für Trump. Tatsächlich jedoch hatte der Dow Jones bereits vor der Wahl, als die Demoskopen noch einen Sieg Hillary Clintons erwarteten, neun Tagesrekorde aufgestellt. Nominell ist der Dow seit seinem Höchststand im Januar 2000 um 70 Prozent gestiegen. Am 29. November 2016 erreichte der Case-Shiller-Index (der die Entwicklung des US-Immobilienmarkts misst und den ich zusammen mit dem im Juli verstorbenen Karl E. Case gegründet habe) im September ein Rekordhoch. Der vorherige Rekord wurde mehr als zehn Jahre früher, im Juli 2006, aufgestellt.

Doch diese Zahlen enthalten eine Illusion. Die Vereinigten Staaten verfolgen eine nationale Politik der Gesamtinflation. Die Notenbank Fed hat ein konkretes Inflationsziel von zwei Prozent für die privaten Konsumausgaben aufgestellt. Dies bedeutet, dass alle Preise um etwa zwei Prozent jährlich oder 22 Prozent pro Jahrzehnt steigen sollten. Real (inflationsbereinigt) ist der Dow Jones seit dem Jahr 2000 nur um 19 Prozent gestiegen. So ein Anstieg in 17 Jahren ist nicht sonderlich beeindruckend, und der von Case und mir ins Leben gerufene Immobilien-Index liegt real noch immer 16 Prozent unter seinem Höchststand von 2006. Doch kaum jemand interessiert sich für diese inflationsbereinigten Zahlen.

Den meisten Menschen fällt es schwer, mit inflationsbereinigten Zahlen zu rechnen

Die Fed ist, wie die übrigen Notenbanken, dabei, die Währung stetig zu entwerten, um für Inflation zu sorgen. Die Idee, dass eine moderate positive Inflation - "Preisstabilität", keine Nullinflation - tatsächlich wünschenswert sei, scheint in politischen Kreisen etwa um die Zeit der Rezession von 1990 bis 1991 Gestalt angenommen zu haben. Lawrence Summers, der frühere Finanzminister und Präsidentenberater, argumentierte, dass die Bevölkerung ein "irrationales" Widerstreben gegenüber den sinkenden Nominallöhnen hätte, die einige bei einem System der Nullinflation sicher erleiden würden.

Viele Menschen scheinen nicht zu begreifen, dass die Inflation eine Veränderung der Maßeinheiten darstellt. Leider lassen sie sich, obwohl das Inflationsziel von zwei Prozent überwiegend eine politische Wohlfühlmaßnahme darstellt, tendenziell zu stark davon inspirieren. Der berühmte Ökonom Irving Fisher aus Yale hat diese Fixierung auf die nominelle Preisentwicklung in einem namensgebenden Buch aus dem Jahre 1928 als "Geldillusion" bezeichnet.

Dies bedeutet nicht, dass an den spekulativen Märkten jeden Tag neue Rekorde aufgestellt werden. Die Bewegungen der Aktienkurse ähneln tendenziell dem, was die Ökonomen als "Zufallsbewegungen" bezeichnen. Dabei spiegeln die Kurse kleine tägliche Erschütterungen wider, die mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit positiv oder negativ ausfallen können. Zufallsbewegungen durchlaufen tendenziell lange Phasen, in denen sie deutlich unter ihrem vorherigen Höchstwert liegen; die Chance, einen Rekord aufzustellen, ist dann angesichts des Ausmaßes, in dem die Kurse steigen müssten, schnell zu vernachlässigen. Doch sobald sie einmal ein neues Rekordhoch erreichen, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass die Kurse neue zusätzliche Rekordstände markieren - vermutlich nicht gleich an aufeinanderfolgenden Tagen, aber doch innerhalb einer kurzen Zeitspanne.

In den Vereinigten Staaten hat die Kombination aus dem Präsidenten Donald Trump und einer Abfolge neuer Rekordstände bei den Vermögenspreisen - man kann es auch Trump im Quadrat nennen - die Illusion gestützt, die den aktuellen Optimismus am Markt stützt. Für jene, die nicht zu stark unter Stress stehen, weil sie sich an den Märkten in extremen Positionen engagiert haben, dürfte es interessant (wenn auch nicht unbedingt profitabel) sein, zu beobachten, wie sich die Illusion zu einer neuen Wahrnehmung wandelt, die völlig andere Vermögenspreisniveaus an den spekulativen Märkten impliziert.

Robert J. Shiller , 70, wurde 2013 mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet. Er ist Professor für Ökonomie an der Universität Yale. Copyright: Project Syndicate, 2017. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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