Sigmar Gabriel:Unbeliebt, aber erfolgreich

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  • Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenquote ist niedrig - Sigmar Gabriel zieht eine positive Bilanz als Wirtschaftsminister.
  • Doch Gabriels größte Niederlage war sein Scheitern bei der Reform der Kohlekraft. Auch der Spagat zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Unternehmen gelang ihm nicht immer.

Von Michael Bauchmüller

Ob er das noch einmal machen würde? SPD-Chef und gleichzeitig Bundeswirtschaftsminister? Sigmar Gabriel zögert keinen Moment. "Ich würde jederzeit die gleiche Entscheidung treffen." Schließlich habe er nur so 15 000 Jobs bei der Supermarkt-Kette Kaisers Tengelmann retten können. "Eine meiner wichtigsten Entscheidungen", sagt Gabriel. Allerdings noch so eine, die an den Umfragewerten des SPD-Chefs nicht viel geändert hat.

Mittwochnachmittag in Berlin, die letzte Pressekonferenz des Wirtschaftsministers Gabriel, der bald der Außenminister Gabriel sein wird. Thema ist der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, 1,4 Prozent Wirtschaftswachstum, 320 000 Erwerbstätige mehr, Arbeitslosenquote von sechs Prozent - solche Sachen. "Die wirtschaftspolitische Bilanz der Bundesregierung kann sich sehen lassen", sagt Gabriel. Gemeint ist etwas anderes: die Bilanz des scheidenden Ministers.

Es sind die letzten Amtshandlungen eines Ministers, der anderes erhofft hatte. Viele Parteifreunde und Berater hatten dem SPD-Chef 2013 davon abgeraten, das Wirtschaftsministerium zu übernehmen. Schließlich kann gerade ein Sozialdemokrat als Wirtschaftsminister zwischen allen Stühlen landen. Einerseits vertritt er die Interessen von Unternehmen am Kabinettstisch, andererseits hegen die Arbeitnehmer in Gestalt der Gewerkschaften große Erwartungen an ihn. Gabriel versuchte, das mit einem "Bündnis für Industrie" zu überbrücken, in dem er beide Seiten zusammenbrachte. Viel bewegt hat es allerdings nicht.

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Stattdessen begleitete dieser Konflikt seine ganze Amtszeit. In der Auseinandersetzung um das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, Ceta, stand der Wirtschaftsminister auf Seiten des Freihandels, musste dazu aber erst mit Gewerkschaften und Parteilinken schwierige Kompromisse aushandeln - und die dann auch in Brüssel durchsetzen. Dass dies gelang, war Gabriels taktische Meisterleistung.

Noch schwieriger wurde die Balance bei der Fusion der Supermarktketten Kaiser's Tengelmann und Edeka. Letztlich erteilte er nur mit Rücksicht auf die Beschäftigten seine Ministererlaubnis, auch auf Druck der Gewerkschaften. Um ein Haar wäre seine Erlaubnis an den Gerichten gescheitert. Dass er am Ende womöglich Tausende Jobs gerettet hat, dankte ihm allerdings kaum jemand. Die Umfragen blieben im Keller. Warum das so ist, weiß auch Gabriel nicht. "Wenn ich das erklären könnte", sagt er nur.

In ganz Europa stecke die Sozialdemokratie in Schwierigkeiten. "Es ist ja fast unschön zu sehen, wie andere sozialdemokratische Parteien uns hier schon als stark ansehen." Gerade deshalb sei es so wichtig, dass sich die SPD vor allem an den Interessen von Arbeitnehmern orientiere - und andere Parteien müssten sich eben auf anderes konzentrieren. "Wenn alle als Vollsortimenter daherkommen und in jedem Geschäft das Bioprodukt so wichtig ist wie das Gegenteil, dann kann Ihnen passieren, dass jemand, der in den Laden kommt, nicht mehr weiß, wo er ist."

Gabriels größte Niederlage war die gescheiterte Wende in der Kohlekraft

Wenn eine Entscheidung diese Einsicht symbolisiert, dann ist es Gabriels missglückter Versuch, die Kohlekraft einzuhegen. Knapp zwei Jahre ist es her, dass neue Klimaauflagen den Betrieb alter Braunkohlekraftwerke weniger rentabel machen sollten. Doch betroffene Bergleute protestierten zusammen mit ihrem Management, und mit Verdi und der Bergbau-Gewerkschaft IG BCE gingen gleich zwei Gewerkschaften auf Konfrontationskurs. Gabriel ließ die Pläne wieder fallen. Für seine Zeit im Wirtschaftsministerium markierte diese Niederlage einen Einschnitt. In der Folge machte er aus dem Großhandel an der Berliner Scharnhorststraße ein Spezialitätengeschäft für Arbeitnehmerbelange.

Dennoch hat er eine ganze Menge erreicht. Die Energiewende, vor der letzten Bundestagswahl noch Synonym für Kostenexplosionen, ist deutlich planbarer geworden - auch durch mehrere Reformen des Fördergesetzes EEG. Der Streit um die Stromnetze ist beigelegt. Ein milliardenschwerer Fonds regelt künftig die Atommüllentsorgung. Das Ministerium nahm sich neuer Regelwerke für die digitale Welt genauso an wie des Abbaus von Bürokratie und der Förderung von Start-ups. Und wenn Gabriel mit Unternehmern im Ausland unterwegs war, kehrten die Manager häufig begeistert wieder zurück. Nur in den Umfragen zahlte sich das nie aus. Gabriel hatte das anders erwartet, siehe oben.

Und nun? Glaubt man seinen Worten im Stern-Interview, dann ging es ihm auch um die zeitliche Belastung, die er sich und seiner Familie im Falle einer Kanzlerschaft nicht habe zumuten wollen. Stattdessen greift er nun nach jenem Ministerium, in dem der Regierungs-Airbus sein neues Zuhause wird. Wie das zusammenpasst? Er habe gehört, sagt Gabriel, dass man da wenigstens am Wochenende daheim sei. "Das habe ich in den letzten drei Jahren eher selten erlebt."

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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