Schottisches Unabhängigkeitsreferendum:Warum Schottlands "Aye" zum Fürchten ist

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"Better Together" sagen die einen, "Yes Scotland" die anderen wie hier in Edinburgh: Die Schotten stimmen darüber ab, ob sie von Großbritannien unabhängig werden (Foto: REUTERS)

Werden die Schotten abtrünnig? Investoren verkaufen bereits britische Aktien, sie fürchten die wirtschaftlichen Folgen. Sicher ist: Gewinnen die Separatisten das Referendum, bekommen die Briten Probleme - und der Rest Europas auch.

Kommentar von Björn Finke, Edinburgh

So viel Courage traute niemand den Schotten zu, die Investoren wurden kalt erwischt: Die Notierung des Pfund und die Aktienkurse an der Londoner Börse sanken deutlich, nachdem eine Meinungsumfrage erstmals eine knappe Mehrheit für die Unabhängigkeit Schottlands vorhergesagt hatte. In acht Tagen stimmen die gut vier Millionen wahlberechtigten Schotten darüber ab, ob sie das Vereinigte Königreich 2016 verlassen wollen - bis Anfang dieser Woche prophezeiten Umfragen immer eine Niederlage für die Separatisten.

Vorbei. Zwar ist es nicht ausgemacht, dass die Bürger tatsächlich nach 307 Jahren Zugehörigkeit zum Reich "Farewell" sagen, aber die Gefahr lässt sich nicht länger leugnen. Investoren verkaufen deswegen vorsorglich britische Aktien und fahren ihre Pfund-Bestände herunter. Sie fürchten die wirtschaftlichen Folgen, sollte das Königreich wirklich zerbrechen - und das zu Recht, denn ohne Zweifel wären die Konsequenzen zum Fürchten. Vor allem für die zurückbleibenden Briten und für den Rest Europas.

Die Schotten selbst könnten sich im Falle eines Erfolges darin sonnen, nun Herren ihres eigenen Schicksals zu sein. Wem das wichtig ist, der kann schon mal Schweiß und Tränen investieren - wenn überhaupt: Dass die Region mit ihrem Öl und Gas und der gut ausgebildeten Bevölkerung als eigener Staat überleben kann, steht außer Frage. Ob es den Schotten nach einer Trennung langfristig besser oder schlechter geht, hängt von den Arrangements der Scheidung ab - und vom wirtschaftspolitischen Geschick zukünftiger schottischer Regierungen. Vermutlich wird sich der Lebensstandard im Vergleich zu heute nicht dramatisch verändern.

Europa hat schon genug Probleme

Was hingegen gewiss ist: Ein "Aye" - schottisch für Ja - zur Unabhängigkeit würde Monate voller Unsicherheit und schwieriger Verhandlungen auf der Insel nach sich ziehen. Diese Unsicherheit würde Unternehmen auf beiden Seiten der neuen Grenze - in Schottland wie in England und Wales - in nächster Zeit davon abhalten zu investieren. Der beeindruckende Aufschwung in Großbritannien, Deutschlands wichtigstem Handelspartner, fände ein jähes Ende. Ein "Aye" könnte auch Premierminister David Cameron das Amt kosten und das Königreich politisch lähmen; es könnte entscheidend dazu beitragen, dass das restliche Großbritannien in einigen Jahren die Europäische Union verlässt.

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Europa hat bereits genug Probleme: Die Euro-Krise schwelt weiter, die Konjunktur zieht nicht an, der Ukraine-Konflikt ist ungelöst - ein Großbritannien, dessen Wirtschaft erlahmt, dessen Währung rapide abwertet, dessen Regierung im Chaos versinkt, ist das Letzte, was Deutschland und die EU im Moment benötigen. Dass ein Ja zur Trennung so viel schädliche Unsicherheit erzeugen würde, hat einen einfachen Grund: Alle entscheidenden Fragen sind ungeklärt und müssten über Monate in mühsamen Verhandlungen beantwortet werden. Wie werden die Ölreserven in der Nordsee aufgeteilt? Welchen Teil der Staatsschulden übernimmt der neue Staat? Kann Schottland EU-Mitglied werden? Mit welcher Währung würden Schotten zahlen?

Die Separatisten wollen das Pfund behalten, aber nach den schlechten Erfahrungen in der Euro-Zone schließen alle Parteien in London eine Währungsunion mit dem Nachbarn aus. Erhielte Schottland eine eigene Währung, hätte das gleichfalls massive Auswirkungen auf das Pfund: Der überwiegende Teil des Nordsee-Öls würde wohl Schottland zugeschlagen - und damit die Exporte und Deviseneinnahmen mit dem Rohstoff. Ohne das Öl wäre die britische Exportbilanz noch desaströser, Einfuhren würden Ausfuhren noch stärker übertreffen; in der Folge verlöre das Pfund deutlich an Wert.

Ein Farewell der Schotten würde zudem Großbritannien politisch ins Chaos stürzen. Im kommenden Mai sind Parlamentswahlen, doch Schottland würde erst 2016 unabhängig werden. Schotten dürften also mitwählen. Muss die Wahl deswegen verschoben werden? Oder sollte zweimal gewählt werden, 2015 und 2016? Zudem kann es gut sein, dass der konservative Premierminister Cameron bei einem Auseinanderbrechen des Königreichs zum Rücktritt gezwungen würde. Gewinnen die Konservativen die nächste Wahl, wollen sie das Volk 2017 über den Verbleib in der EU entscheiden lassen. Ohne die Stimmen der traditionell EU-freundlichen Schotten würde es schwer, eine Mehrheit für Europa zu erringen.

So viel ist sicher: Siegen die Separatisten im Referendum, bekommt Schottland Unabhängigkeit - und der Rest des Kontinents Ärger.

© SZ vom 10.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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