Nicht nur für den Kolumnisten Martin Kettle steht fest: In der britischen Politik gibt es kein anderes Thema mehr als das Referendum über die schottische Unabhängigkeit. Im Guardian erwartete er vor kurzem "Tage, die unser Leben verändern können". Denn auch wenn die Gegner einer Abspaltung jüngsten Umfragen zufolge im Aufwind sind - ihr Vorsprung ist denkbar knapp und die Zahl der Unentschlossenen immer noch beträchtlich.
Referendum zur Unabhängigkeit:Schottland, verlass uns nicht!
Die Schotten stimmen über ihre Unabhängigkeit ab und die Gegner der Abspaltung bekommen Muffensausen. Trotz J.K. Rowling fehlt es ihrer Kampagne an Charisma. Aber was ist die schon gegen Sean Connery im Schottenrock? Die Protagonisten im Überblick.
So würden einer Umfrage des Telegraph zufolge im direkten Vergleich 52 Prozent für einen Verbleib bei Großbritannien stimmen, 48 Prozent dagegen - doch hierbei werden die acht Prozent der Unentschlossenen Wähler nicht eingerechnet. Gleiche oder sehr ähnliche Ergebnisse zeigen sich bei den anderen Umfrageinstituten. Vor ein paar Tagen, als das Verhältnis noch umgekehrt, aber ähnlich knapp war, urteilte der schottische Politologe John Curtice, das Rennen sei so eng, dass der Ausgang nicht prognostizierbar sei.
Warum findet am 18. September überhaupt ein Referendum statt?
Auch 300 Jahre nach dem Zusammenschluss mit England fühlen sich die Schotten als ein eigenes Volk. Schottland wird zwar zentral von London aus regiert, der Region sind aber viele Kompetenzen übertragen worden. So haben die Schotten nicht nur eigene Nationalmannschaften ( das Fußball-Team machte den deutschen Weltmeistern das Leben in der EM-Qualifikation schwer), eine eigene blau-weiße Flagge und ein eigenes Bildungssystem, sondern seit 1999 auch ein Regionalparlament in der Hauptstadt Edinburgh. Fahrt aufgenommen hat die Unabhängigkeitsbewegung dann 2007: Damals wird der Vorsitzende der linksliberalen Schottischen Nationalpartei SNP, Alex Salmond, neuer First Minister (Ministerpräsident).
Damit hat Schottland erstmals eine Regierung, die für die Abspaltung eintritt. 2011 gewinnt die SNP die absolute Mehrheit im Regionalparlament. Salmond kündigt an, in den kommenden fünf Jahren solle über eine Unabhängigkeit abgestimmt werden. Er und der britische Premier David Cameron unterzeichnen im Oktober 2012 ein Abkommen, das der Regionalregierung die Befugnis gibt, eine Volksabstimmung abzuhalten. Sollte das Referendum eine Ja-Mehrheit ergeben, soll Schottland 2016 unabhängig werden.
Wer sind die wichtigsten Vertreter des Ja- und des Nein-Lagers?
Alex Salmond ist der prominenteste Kopf des Ja-Lagers (Slogan: Scotland's future in Scotland's hands). Der 59-Jährige gilt als klug, charismatisch und witzig, aber auch als impulsiv und als jemand, der sein Fähnchen nach dem Wind hängt. Beispiel Nato-Beitritt: Lange galt er als Kritiker des Verteidigungsbündnisses, doch nun, da die Unabhängigkeit Schottlands in greifbare Nähe gerückt ist, hat er eine Nato-Mitgliedschaft zur Option erklärt. Sein Motto für die Unabhängigkeits-Kampagne lautet "Jetzt oder nie", aus seiner Sicht ist das Referendum eine "historische Möglichkeit".
Aufseiten der Gegner (Slogan: Better together) einer Abspaltung steht Großbritanniens Premier David Cameron vor der Schwierigkeit, dass seine Tory-Partei in Schottland unpopulär ist. 2010 konnten die schottischen Tories bei den Unterhauswahlen nur einen Parlamentssitz erringen. Der schottische Musiker Bob Ross drückte es so aus: "Wir haben mehr Pandas im Zoo in Edinburgh als konservative Abgeordnete. Nämlich zwei." Deshalb musste Cameron die Nein-Kampagne vom schottischen Labour-Politiker Alistair Darling anführen lassen. Sie konnte allerdings lange keinen echten Schwung entwickeln, und im letzten Fernsehduell unterlag Darling dem wortgewandten Salmond. Die drei Parteien im Londoner Parlament - Tories, Labour und Liberal-Demokraten - werben allesamt für den Fortbestand der Union.
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Für die jeweiligen Kampagnen engagieren sich auch eine Reihe von Prominenten: Mick Jagger, Paul McCartney oder Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling werben für den Zusammenhalt des Landes, der James-Bond-Darsteller Sean Connery hat sich für die Abspaltung Schottlands ausgesprochen.
Was bietet die britische Regierung den Schotten nun an?
Die zwischenzeitliche Mehrheit der Befürworter einer Loslösung von Großbritannien löste in England hektische Reaktionen aus. Zwei Tage vor dem Referendum forderten die politischen Parteien in London die Schotten in einer beispiellosen gemeinsamen Aktion auf, für den Erhalt der Union zu stimmen. Die Vorsitzenden von Konservativen, Labour-Partei und Liberaldemokraten versprachen ihnen in einem offenen Brief maximale Autonomie unter dem Dach der britischen Union, sollten sie sich beim Referendum gegen die Unabhängigkeit entscheiden. Konkrete Zusagen wurden jedoch nicht gemacht.
Zuvor hatte Finanzminister George Osborne bereits in Aussicht gestellt, der Regionalregierung weitreichende Kompetenzen zu übertragen, falls Schottland im Vereinigten Königreich bliebe. Edinburgh werde demnach mehr Kompetenzen bei Steuern, Staatsausgaben und Sozialpolitik erhalten. Osborne sagte, die Schotten könnten "das beste beider Welten haben" - also umfassende Selbstverwaltung und zugleich die Sicherheit, einem größeren Staatengebilde anzugehören. Die Pläne sollen spätestens bis zum 18. September fertig sein. Umgesetzt werden sollen sie, wenn die Schotten mit Nein - also gegen die Unabhängigkeit - gestimmt haben.
Die Initiativen kommen allerdings spät. Salmond hatte lange mehr Kompetenzen für Schottland gefordert, Cameron hatte solche Schritte bisher ausgeschlossen. Entsprechend misstrauisch werden die angekündigten Pläne im Lager der Abspaltungsbefürworter betrachtet. "Die einzige Garantie für zusätzliche schottische Zuständigkeiten ist ein Ja-Votum", sagte Schottlands Finanzminister John Swinney. Salmond selbst sprach von einem "Bestechungsversuch" und einer "panischen Maßnahme, weil die Befürworter an Boden gewinnen".
Sollten die Schotten am 18. September für die Unabhängigkeit stimmen, dann können sie eineinhalb Jahre später ihren eigenen Staat gründen. Das wäre ein Umbruch nicht nur für die Briten, sondern auch für die EU - und ein Präzedenzfall. Die Regierung in Edinburgh argumentiert, dass sie nach Artikel 48 des Vertrags über die Europäische Union aushandeln könnte, von März 2016 an übergangslos ein selbständiges EU-Mitglied zu sein. London hingegen meint, Schottland müsse sich neu bewerben, so wie in Artikel 49 vorgesehen. Im Februar sagte der damalige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, ein EU-Beitritt werde "sehr schwierig, wenn nicht unmöglich" für Schottland, weil alle Mitglieder zustimmen müssen. Und das sind eben auch die Briten.
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Was wären die Folgen für die EU?
Großbritannien bliebe auch ohne Schottland erst einmal EU-Mitglied. Doch langfristig könnte die Abspaltung einen Austritt der Briten aus der Union bewirken, denn die Schotten sind EU-freundlicher als die Engländer. Sollte es 2017 eine Volksabstimmung der Briten über ihre EU-Mitgliedschaft geben, wie David Cameron es in Aussicht gestellt hat, würden den Pro-Europäern die schottischen Stimmen fehlen. Zudem schauen europäische Bevölkerungsgruppen, die selbst gerne unabhängig wären, nun gespannt nach Edinburgh, etwa die Katalanen in Spanien oder die Korsen in Frankreich. Deren nationale Bewegungen könnten Auftrieb bekommen, wenn die Schotten sich für eine Abspaltung entscheiden. Die Republikaner in Nordirland könnten ihrerseits ein Referendum über die Vereinigung mit Irland fordern. Manche Beobachter fürchten gar, ein Ja-Ausgang im schottischen Referendum könnte die Gewalt im Nordirland-Konflikt wieder aufflackern lassen.
Mit welcher Währung würden die Schotten bezahlen, falls sie sich für die Unabhängigkeit entscheiden?
Wenn Schottland neues EU-Mitglied werden sollte, müsste es sich dazu verpflichten, den Euro einzuführen. Nur für Großbritannien und Dänemark gilt offiziell eine Ausnahme. Der Euro allerdings ist bei den Schotten genauso unbeliebt wie überall in Großbritannien. Alex Salmond besteht daher darauf, dass Schottland das britische Pfund behalten darf. Andernfalls will Edinburgh auch keinen Anteil an den britischen Staatsschulden übernehmen. Die drei Parteien in London haben aber erklärt, ihr Pfund nicht mit den Nachbarn teilen zu wollen - ein starkes Druckmittel gegenüber den schottischen Nationalisten.
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Was würde eine Abspaltung Schottlands für Großbritannien bedeuten?
Viele Experten halten die Folgen einer schottischen Unabhängigkeit für schwerwiegend. Großbritannien würden Steuereinnahmen wegbrechen, etwa aus der Erdölindustrie. Auch Schottlands Whisky-Brennereien zahlen jedes Jahr eine Milliarde Pfund in Londons Steuerkasse ein. Finanzexperten von Goldman Sachs prognostizieren im Falle einer Loslösung Schottlands eine Währungskrise, die der des Euro ähneln würde. Andererseits würden dann auch britische Transferzahlungen an die Nachbarn wegfallen: das schottische Bildungs- und Sozialsystem wird vom restlichen UK subventioniert.
Ein weiteres Problem sind die britischen Atomwaffen - 160 auf britischen U-Booten stationierte Atomsprengköpfe, die dann einen neuen Hafen bräuchten. Bislang liegen sie in der Mündung des Flusses Clyde, nordwestlich von Glasgow. Die schottische Regierung will sie loswerden und ohne Atomwaffen Nato-Mitglied werden. Ein Umzug an einen neuen Standort wäre für London aber sehr teuer. Offiziell hat das britische Verteidigungsministerium hierzu keine Pläne in der Schublade.
Ein anderer Streitpunkt ist das britische Öl in der Nordsee: Es gehört zu etwa 90 Prozent den Schotten. Sie wollen aus den Steuereinnahmen einen Öl-Fonds speisen, der künftigen Generationen zugutekommen soll. Wie lange die Öl- und Gasvorräte in der Nordsee noch vorhalten, ist allerdings nicht klar.
Was würde eine Abspaltung politisch für die Regierung in London bedeuten?
Sollten sich die Schotten am 18. September von Großbritannien lossagen, wird es schwer für David Cameron. Er wird sich die Frage gefallen lassen müssen, warum er das Referendum überhaupt zugelassen hat. Britische Zeitungen zitieren schon jetzt anonyme Tory-Abgeordnete, die Camerons politisches Ende voraussagen, falls Schottland sich loslöst. Der Fernsehmoderator Adam Boulton kommentierte es in der Sunday Times so: "Wenn Schottland geht, wäre Cameron wohl vor Weihnachten aus dem Amt, die Unterhauswahl könnte vorgezogen werden, und Großbritannien würde in eine Verfassungskrise schlittern."
Für die politische Landschaft Großbritanniens hätte eine Abspaltung auch strukturelle Folgen. Denn Schottland wählt traditionell links. Würden diese Links-Stimmen wegfallen, würde sich die politische Landschaft in London mit einem Schlag nach rechts verschieben.
Und was sagt die Queen zu alldem?
Eigentlich muss Elisabeth II. in dieser Frage neutral bleiben. Am Rande eines Kirchenbesuchs in Schottland äußerte die Monarchin zuletzt nur den Satz: "Ich hoffe, die Menschen werden gut über die Zukunft nachdenken." Britischen Medien zufolge ist die Queen besorgt und lässt sich täglich über den Fortgang der Dinge informieren. Nach anonymen Palast-Quellen ist sie eine große Anhängerin der Union.
Die Schotten wollen ihre Königin übrigens nicht loswerden: Das unabhängige Schottland soll eine parlamentarische Monarchie mit Elisabeth II. als Staatsoberhaupt werden wie Kanada, Australien oder Neuseeland.