Ryanair:Gehen Ryanair die Piloten aus?

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Ein Pilot im Cockpit einer Boeing 737-800. (Foto: dpa)
  • Ryanair streicht bis 31. Oktober mehr als 2000 Flüge. Es häufen sich Berichte, wonach der Airline die Piloten ausgehen.
  • Die Airline widerspricht jedoch. Sie macht unter anderem eine vermasselte Urlaubsplanung für die vielen Flugausfälle verantwortlich.
  • Deren Auswirkungen waren schon am Dienstag zu spüren: Mehr als 50 Flüge wurden gestrichen. Passagiere sind verärgert.

Von Jan Schmidbauer

Wer bei der irischen Billigfluglinie Ryanair einen Flug bucht, der schließt mit ihr eine Art stille Übereinkunft. Sie lautet etwa so: Du, liebe Billigairline, bringst mich für wenig Geld ans Ziel, dafür verzichte ich auf ein bisschen Komfort. Hauptsache, ankommen. Wer bereit ist, auf kostenlose Bordverpflegung zu verzichten und dazu noch die Jodelmusik erträgt, die bisweilen nach pünktlichen Landungen aus den Kabinenlautsprechern dröhnt, der kommt mit der irischen Fluggesellschaft ins Geschäft. Im vierten Quartal 2016 kosteten Ryanair-Tickets im Schnitt 33 Euro, deutlich weniger als bei vielen Konkurrenten.

Doch während die Tickets für viele Kunden erfreulich günstig sind, hapert es mit einer anderen Sache gerade gewaltig bei Ryanair: der Zuverlässigkeit. In den kommenden Wochen muss die irische Airline mehr als 2000 Flüge annullieren. Gemessen am gesamten Flugbetrieb sollen zwar weniger als zwei Prozent der Verbindungen entfallen. Dennoch ist die Entscheidung folgenreich. Hunderttausende Passagiere müssen umdisponieren. Seit Dienstag herrscht nun auch Gewissheit, wer alles von den Fehlplanungen betroffen ist. Die Fluggesellschaft veröffentlichte eine Liste mit den Verbindungen, die in den kommenden Wochen entfallen werden. Besonders viele Flüge streicht Ryanair demnach an seinen Drehkreuzen Dublin und London-Stansted sowie in Barcelona und Brüssel. Aber auch deutsche Ziele wie Frankfurt-Hahn, Berlin-Schönefeld, Hamburg oder Köln-Bonn sind betroffen. Schon am Dienstag fielen europaweit 56 Flüge aus, davon sechs in Deutschland.

Eine solch umfangreiche Zahl an Flugausfällen ist ungewöhnlich. Und die Frage ist: Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Ryanair erklärte die Ausfälle unter anderem mit Streiks in Frankreich und einer ungünstigen Urlaubsplanung. In den vergangenen Tagen häuften sich allerdings Berichte, wonach der Airline schlicht die Piloten davonrennen.

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Bei Ryanair herrscht seit jeher eine hohe Fluktuation im Cockpit. Die Bezahlung der Piloten gilt als unterdurchschnittlich (was Ryanair jedoch bestreitet). Zudem steht die Airline wegen ihrer Arbeitsbedingungen in der Kritik. Viele Piloten sind nicht fest angestellt. Sie fliegen als Selbständige durch die Luft. Wie aus dem jüngsten Geschäftsbericht der Airline hervorgeht, bleiben Piloten im Schnitt nur vier Jahre bei Ryanair. Das Durchschnittsalter des Cockpit-Personals beträgt gerade einmal 34 Jahre.

Laut Jim Phillips von der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit hat die hohe Fluktuation System. "Ryanair hat immer damit geplant, dass sie jedes Jahr 20 Prozent ihrer Piloten verliert", sagt er. Jahrelang sei das kein Problem gewesen. Die Airline habe stets genug neue Anwärter fürs Cockpit gefunden, die bereit waren, die teure Ausbildung selber zu bezahlen. "Für Ryanair war es oft günstiger, neue Leute zu holen, als die alten zu behalten", sagt Phillips. Nun gehe diese Strategie allerdings nicht mehr auf.

Nach Einschätzung des Luftfahrtexperten fehlen am Markt derzeit viele Flugkapitäne, also besonders erfahrene Piloten mit vielen Flugstunden. Ryanair versuche bereits, sie bei anderen Fluggesellschaften abzuwerben, unter anderem bei der insolventen Air Berlin. Dazu veranstaltet Ryanair sogenannte Roadshows, auf denen interessierte Piloten sich über Jobs bei Ryanair informieren können. Die Veranstaltungen finden nicht nur in Europa statt. Selbst in Südamerika sucht Ryanair nach Piloten. So veranstalte die Billigairline Mitte August eine Infoveranstaltung in Rio de Janeiro.

Für die Fluggesellschaft ist es laut Phillips allerdings schwierig, Piloten abzuwerben. Oft müssten sie auf eine Menge Geld verzichten, wenn sie ins Cockpit von Ryanair wechseln wollen, insbesondere, wenn sie bislang für gut zahlende europäische Airlines geflogen sind. "Das sind in vielen Fällen Einbußen von 50 Prozent. Wenn nicht mehr." Womöglich sind die Arbeitsplätze bei anderen Billigairlines attraktiver. So erklärte Konkurrent Norwegian Air, man habe in diesem Jahr bereits 140 Ryanair-Piloten übernommen. Ryanair bestreitet derweil, dass eine Lücke beim Cockpitpersonal der Grund für die Flugausfälle ist. "Ryanair hat keinen Mangel an Piloten", teilte Firmenchef Michael O'Leary mit. Er blieb dabei, dass es vor allem die Fehlplanungen beim Urlaub seien, die nun zu einem "Chaos" bei seiner Airline führen. Zugleich entschuldigte er sich bei den betroffenen Kunden.

Viele Passagiere sind verärgert über das Verhalten der Airline. Wohl auch, weil sie die Flugausfälle sehr kurzfristig bekannt gegeben hat. Ryanair bietet den Kunden auf seiner Webseite nun eine Rückerstattung der Kosten an, beziehungsweise eine kostenlose Umbuchung des stornierten Flugs - nach Verfügbarkeit. Damit richtet sich die Airline nach der Fluggastrechte-Verordnung der EU.

"Das sind die Mindeststandards", sagt Celina Werbinsky, Fachanwältin für Transportrecht. Wenn die Airline weniger als 14 Tage vor Abflug über die Annullierung informiert, stünden Fluggästen in vielen Fällen zusätzliche Entschädigungen von bis zu 600 Euro zu. Diese müssten sie aber selbst geltend machen. Dass die Kunden sich wegen der vielen Flugausfälle von der Airline abwenden, glaubt Firmenchef O'Leary nicht. "Unser Buchungssystem", sagte er in gewohnt unverblümter Manier, "ist voll von Leuten, die sich geschworen haben, dass sie nie wieder mit uns fliegen werden."

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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