Pro: Kritik an EU-Wirtschaftspolitik:Europas Politik hat versagt

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Stahlindustrie in Salzgitter: Der deutschen Wirtschaft ging es lange gut, der spanischen und griechischen trotz rigider Sparpolitik weniger. (Foto: dpa)

Droht Europa ein verlorenes Jahrzehnt? Das behauptet der US-Finanzminister. Recht hat er. Deutschland prägt eine Politik, die fehlschlägt: Sparen verhindert Wachstum, einer ganzen Generation fehlt die Perspektive.

Kommentar von Jan Willmroth

Ja, Jacob Lew hat recht. Die von deutschen Dogmen geprägte europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik, die Strategie des Sparens und der Privatisierung von Staatseigentum, hat versagt.

Diese Politik hat es nicht geschafft, den am härtesten von der Staatsschuldenkrise getroffenen EU-Ländern neue Wachstumsperspektiven zu eröffnen und ihre Volkswirtschaften spürbar wettbewerbsfähiger zu machen; dieser Politik ist es auch nicht gelungen, die öffentliche Verschuldung in Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien nennenswert zu reduzieren - obwohl sie damit anfangs gerechtfertigt wurde; diese Politik hat sich als schädlich erwiesen. Lews Warnung, die Welt könne sich kein europäisches verlorenes Jahrzehnt leisten, ist keinesfalls alarmistisch. Sie trifft den Kern des Problems, das nicht nur ein europäisches ist.

Mehr als vier Jahre nach dem Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise, die in Griechenland begann, ist es an der Zeit, sich einmal genau anzusehen, was die harten Sparauflagen der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF gebracht haben. Die harten Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als ein Viertel der griechischen Bevölkerung hat keinen Job, genauso ist es bei den Spaniern. In Portugal liegt die Arbeitslosigkeit noch immer bei 14 Prozent, in Italien über zwölf - und in all diesen Ländern ist sie über Jahre alarmierend angestiegen.

Eine verlorene Generation, die gerade erwachsen wird

Schlimmer noch, ja kaum noch beherrschbar, ist die Situation junger Menschen. In Spanien und Griechenland sind jeweils deutlich mehr als die Hälfte der arbeitsfähigen Menschen unter 25 arbeitslos. Was Europa sich da leistet, aber nicht leisten kann, ist nicht bloß ein verlorenes Jahrzehnt - es ist eine verlorene Generation, die da gerade erwachsen wird, seit Jahren ohne Job, ohne Aussicht auf ein solides Erwerbsleben. Kein Wunder, dass die Sympathie für nationalistische, kollektivistische und antidemokratische politische Kräfte quer durch Europa wächst. Das ist der Preis für die staatlichen Ausgabenkürzungen der vergangenen Jahre.

Nun zeigt sich, dass trotz der Sparanstrengungen und der - teils sogar effektiven - Strukturreformen in den Krisenländern das Wachstum nicht zurückkehrt. Die Wachstumsrate in der Euro-Zone bewegt sich an der Schwelle zur Null, nachdem die Wirtschaft schon 2013 geschrumpft war. Die Taktik, die Krise auszusitzen und zu warten, bis all die Reformen greifen, erweist sich als gefährliches Spiel. Jetzt steht die Euro-Zone erst einmal vor einer erneuten Rezession, angeführt von Italien, Frankreich und - ja, auch von Deutschland.

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Die deutsche Wirtschaft, die lange als "Wachstumsmotor" Europas galt, ist nämlich vor allem dank billiger Kredite gewachsen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, Deutschland sei so gut durch die Krise gekommen, weil hierzulande so solide gewirtschaftet wird. Vor der Finanzkrise hat Deutschland vom Kreditboom in entwickelten Ländern wie den USA, Großbritannien und Spanien profitiert. Nun, da in diesen Ländern die private Verschuldungsquote fällt, hat sich das Kreditwachstum dort auf die öffentlichen Haushalte verlagert (und zudem auf die Schwellenländer) - gesunken ist die globale Verschuldung nicht.

Deutschland kann sich seinen Exportüberschuss nur leisten, weil seine Produkte mit neuen Schulden gekauft werden. Das ist kein dauerhaft tragfähiges Modell - weil Deutschland zu sehr auf das Wachstum in China und den USA angewiesen ist, wenn Europa ausfällt. Jacob Lew weist darauf hin und sagt, die USA könnten nicht allein für das Wachstum der Weltwirtschaft sorgen.

Europas Wirtschaft braucht mehr Inflation

Was die Situation in Europa noch verschärft: Die Geldpolitik der EZB ist am Ende ihrer Möglichkeiten. Die Leitzinsen liegen de facto bei null, die Kreditvergabe kommt nicht in Schwung, und die Inflationsrate in der Euro-Zone wird sich wohl erst in einigen Jahren wieder ihrer Zielmarke von knapp zwei Prozent nähern. Europas Wirtschaft braucht aber dringend mehr Inflation, insbesondere die Krisenländer, die mehrheitlich seit einiger Zeit in einer Deflation stecken. Gerade für sie sind fallende Preise Gift. Es droht eine neue Abwärtsspirale aus Investitionszurückhaltung, sinkender Produktion, Lohnkürzungen und Entlassungen.

Es mag ein Bruch mit deutschen Traditionen sein, doch es führt kein Weg daran vorbei, jetzt das Wachstum anzukurbeln und die Inflation zu erhöhen - das geht nur mit höheren öffentlichen Ausgaben, notfalls direkt von der Zentralbank finanziert. Noch hat Europa die Chance, ein verlorenes Jahrzehnt zu verhindern.

© SZ vom 14.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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