Pflegepersonal:Pflegekräfte fliehen in die Leiharbeit

Berlin will mehr Personal für bessere Pflege

Kein leichter Job: Eine Frau wird in einem Berliner Seniorenpflegeheim von einer Pflegerin betreut.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)
  • In der Leiharbeit ist die Arbeitsbelastung für Pflegekräfte mitunter geringer als bei einer Festanstellung.
  • Noch ist Leiharbeit in der Pflege kein Massenphänomen. Doch in der Pflegebranche wächst die Leiharbeit rapide.

Von Thomas Öchsner

Nach zwei Jahren hatte Lisa Thiel, 29, genug. Sie kündigte bei dem Krankenhaus, in dem sie auf der Intensivstation arbeitete. Die Krankenschwester konnte und wollte einfach nicht mehr. Trotzdem hat Thiel ihren Beruf nicht aufgegeben. Jetzt arbeitet sie fest angestellt bei einer Zeitarbeitsfirma, die sie als Pflegekraft an andere Kliniken verleiht. "Ich stehe einfach nicht mehr unter diesem Druck, etwas zu tun, was ich eigentlich nicht tun will", sagt sie. Zum Beispiel, weil keine Anrufe mehr von Kollegen kommen, ob sie nicht diese oder jene Schicht wegen eines Krankheitsfalles übernehmen könnte.

Thiel (Name von der Redaktion geändert) weiß, dass Leiharbeit in Deutschland einen schlechten Ruf hat, für miese Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung steht. Als Krankenschwester, die bei der Zeitarbeitsfirma Pluss Personalmanagement beschäftigt ist, hat sie sich aber nie als Mitarbeitern zweiter Klasse gefühlt. "Ich habe schon das Gefühl, dass mich mein Arbeitgeber wertschätzt", sagt sie.

Hohe Arbeitsbelastung

Noch ist Leiharbeit in der Pflege kein Massenphänomen. Von den insgesamt 3,3 Millionen Arbeitsplätzen in der Gesundheits- und Pflegebranche hat die Leiharbeit lediglich einen Anteil von 1,3 Prozent, rechnet der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) vor. Doch in der Pflegebranche wächst die Leiharbeit rapide. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren 2017 in der Gesundheits- und Krankenpflege, bei Rettungsdiensten und der Geburtshilfe bereits fast 10 200 Leiharbeiter tätig. 2014 waren es noch knapp 7400. In der Altenpflege erhöhte sich die Zahl der Leiharbeitskräfte in diesem Zeitraum um fast 30 Prozent auf mehr als 7500. Auch Thiels Ehemann, ein Altenpfleger, arbeitet bei Pluss als Leiharbeiter - freiwillig und nicht, weil er nichts anderes bekommen hätte.

Sylvia Bühler, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand, versteht das, auch wenn sie als Gewerkschaftsfrau Leiharbeit ablehnt. Sie weist darauf hin, dass nicht zuletzt aufgrund des Mangels an Pflegekräften die Arbeitsbelastung enorm zugenommen habe. "Viele Pflegekräfte werden krank durch die Arbeitsverdichtung, die schlecht planbaren Dienste, das schlechte Gewissen, weil man wieder nicht so pflegen und versorgen konnte, wie es die Patienten beziehungsweise Pflegebedürftigen brauchen", sagt sie. Ein Ausweg sei, außer den Beruf ganz zu wechseln, auf Teilzeit - oder in die Leiharbeit zu gehen.

Davon profitieren beide Seiten: Kliniken und Pflegeheime müssen zwar mehr an die Zeitarbeitsfirmen wie dem Arbeitgeber des Ehepaar Thiels zahlen als für eine bei ihnen direkt angestellte Pflegekraft. Sie können aber das eigene Personal entlasten oder dort, wo akuter Mangel herrscht, etwa wegen Krankheiten, Ersatz flexibel einsetzen, auch für Schichten am Wochenende. Und das ohne zusätzliche Planstelle.

Die Leiharbeitskräfte wiederum können sich ihre Schichten besser aussuchen. Seien zum Beispiel Kollegen krank, werde von der Stammbelegschaft erwartet, "dass sie kurzfristig einspringen. Das macht Freizeit sehr schwer planbar", sagt Verdi-Fachfrau Bühler. Diese Probleme hätten Leiharbeitskräfte in der Pflege nicht.

Thomas Nachtweh, Gebietsleiter bei Pluss in Goslar, spricht von einem "Arbeitnehmermarkt". Gerade erfahrene Pflegefachkräfte hätten viel bessere Verhandlungsmöglichkeiten als noch vor fünf Jahren. Auch Frank Westermann, Chef des gleichnamigen Personalservice für Sozial- und Heilberufe, sagt: "Selbst, wenn jemand nur zwei Tage die Woche arbeiten will, versuchen wir eben ein Krankenhaus zu finden, dass zwei Tage die Woche diese Pflegekraft einsetzen will. Wir müssen mit den Mitarbeitern so umgehen, dass sie sich wohlfühlen. Das spricht sich herum."

Pflegefachkräfte können in der Leiharbeit längst Löhne über Tarif heraushandeln

Lisa Thiel ist inzwischen bereits vier Jahren bei Pluss in Braunschweig angestellt. "Ich bin jetzt einfach flexibler und kann besser meine Freizeit planen", sagt sie. In dem Krankenhaus, bei dem sie kündigte, hatte sie nur einen befristeten Vertrag. Bei Pluss ist sie unbefristet angestellt. "Das war für mich neben der größeren Flexibilität und dem geringeren Arbeitsstress der Hauptgrund zu wechseln. Ohne feste Anstellung kann man einfach keine Familie planen", sagt die junge Mutter.

Thiel hat nun bestimmte Krankenhäuser und Intensivstationen, in denen sie regelmäßig eingesetzt wird. "Dort kennt man mich bereits, und die Kolleginnen freuen sich, wenn sie meine Unterstützung bekommen", sagt sie. Auch die Bezahlung stimme.

Nach wie vor ist der Verdienst in der Leiharbeit allerdings schlechter als bei vergleichbaren regulär Beschäftigten, trotz der Tariflöhne in der Zeitarbeitsbranche. Laut Arbeitsagentur lag der Bruttolohn für Arbeitnehmer in den Bereichen Pflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe Ende 2016 bei 3203 Euro monatlich. Bei Leiharbeitskräften in diesen Arbeitsfeldern waren es 2579 Euro. Auch in der Altenpflege erhalten Vollzeitbeschäftigte mit im Durchschnitt 2436 Euro gut 300 Euro mehr als Leiharbeitskräfte in diesem Segment.

Der Branchenverband IGZ berichtet jedoch, dass Pflegefachkräfte in der Leiharbeit inzwischen häufig einen übertariflicher Lohn heraushandeln könnten. "Es werden schon Löhne über Tarif bezahlt, wenn die Mitarbeiter Erfahrung mitbringen", bestätigt der Hamburger Arbeitgeber Westermann. Auch Gewerkschaftsfrau Bühler sagt, Pflegekräfte in der Leiharbeit seien sich "ihrer Verhandlungsposition mehr bewusst. Das führt auch zu besserer Bezahlung". Nur ist für Bühler die Leiharbeit nicht die Lösung für den Pflegenotstand. "Wenn Menschen lieber bei einer Leiharbeitsfirma angestellt sind, als im Krankenhaus oder Pflegeheim, zeigt das, wie kaputt das System ist", sagt sie. Die Arbeitgeber müssten attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen bieten, "dann finden sie auch Menschen, die bei ihnen arbeiten möchten."

Lisa Thiel will weiter Leiharbeitskraft bleiben. "Das Geld", sagt sie, "ist dabei bestimmt nicht der Hauptgrund."

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