Ölförderung:Der Schatz unterm Acker

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Immer mehr Energiefirmen forcieren die Ölsuche in Deutschland. Selbst der starke Preisverfall hält sie nicht ab - denn es lockt die Aussicht auf hohe Gewinne.

Silvia Liebrich

Der Arbeitsplatz von Kay Bolte ist ungemütlich. Es ist Ende November. Das Thermometer zeigt zwei Grad minus, obwohl die Sonne scheint. Der Bohrtechniker zieht die Mütze tiefer ins Gesicht. Der Rollkragen seines Wollpullovers, den er unter der roten Arbeitsuniform trägt, reicht ihm bis zu den Ohren. Das schützt vor dem eisigen Wind, der in zehn Metern Höhe über die Plattform des Bohrturms fegt, den der Energiekonzern Wintershall aufgestellt hat. Das Förderunternehmen will hier auf einem Acker in der Nähe von Schwabmünchen bei Augsburg nach Öl suchen.

Bohrtechniker Kay Bolte (links) und sein Kollege auf einem Acker bei Augsburg: Eine Probebohrung soll Gewissheit bringen, ob sich unter der Erde genügend Öl befindet. (Foto: Foto: oh)

Im Wettlauf um die letzten Reserven des knappen Rohstoffs scheint jedes noch so kleine Vorkommen an Bedeutung zu gewinnen. Besonders in Deutschland, wo ohnehin nur knapp drei Prozent des Jahresbedarfs mit eigener Produktion abgedeckt werden können. Die meisten Produktionsstätten haben ihren Zenit längst überschritten. Die deutschen Ölreserven schrumpfen von Jahr zu Jahr. Derzeit werden sie noch auf knapp 37 Millionen Tonnen geschätzt. 2005 lag diese Zahl noch bei 46 Millionen Tonnen.

Die Suche nach Nachschub geht deshalb unvermindert weiter. Daran ändert auch der drastische Einbruch der Rohölpreise seit den Sommermonaten wenig. Mehr als zwei Drittel seines Wertes büßte der Rohstoff in dieser kurzen Zeit ein. Schuld daran ist die Finanzkrise, die die Nachfrage heftig einbrechen ließ. Beirren lassen sich Explorationsfirmen wie Wintershall durch solche Turbulenzen kaum. Sie planen langfristig. Von der Entdeckung bis zur Erschließung eines neuen Ölfeldes können Jahre vergehen. Irgendwann wird es mit der Wirtschaft wieder aufwärts gehen, so das Kalkül. Dann wird die Nachfrage größer sein denn je, und das dürfte die Ölpreise in neue, bisher unerreichte Höhen treiben, meinen viele Experten.

Schuften für Deutschland

"Jeder Tropfen Öl, den wir hier fördern können, ist ein wichtiger für Deutschland", sagt Wintershall-Manager Joachim Pünnel, der die Probebohrung leitet. 120 Millionen Tonnen sind es insgesamt, die hierzulande pro Jahr verbraucht werden. Die Mengen, die die Ölsucher an der Explorationsstelle bei Schwabmünchen unter der Erde vermuten, machen daran gemessen nur einen verschwindend geringen Anteil aus.

Auf der Baustelle wird an diesem Morgen schweres Gerät angeliefert. Ein Lastwagen bringt Fördertechnik und Ausrüstung für die Probebohrung. In der Nacht zuvor hat es geschneit. Auf den brachliegenden Feldern in der Umgebung liegen zwanzig Zentimeter Neuschnee. Das Treppengeländer, das auf die Plattform hinaufführt, ist mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Oben setzen Bolte und seine Kollegen den sogenannten Förderstrang zusammen. Ein Knochenjob. Das Gestänge besteht aus circa zehn Meter langen Rohren aus Eisen, die nach und nach aneinandergeschraubt und langsam in der Erde versenkt werden.

Von der Wüste in den Winter

Bolte, der seinen Beruf an der Bohrmeisterschule in Celle erlernt hat, macht diese Arbeit seit 15 Jahren. "Von neun bis fünf Uhr an einem Schreibtisch sitzen, das kann ich mir nicht vorstellen", sagt der 38-Jährige, der bei der US-Firma Halliburton angestellt ist. Der Ausrüstungskonzern ist auf der Baustelle als Subunternehmen für die BASF-Tochter Wintershall tätig. Der Vater von zwei Kindern kommt weit herum. Er weiß, wie sich die Gluthitze der arabischen Wüste und die klirrende Kälte eines norwegischen Winters anfühlt. Im Wechsel von drei Wochen ist er unterwegs und dann wieder zu Hause bei seiner Familie.

Läuft beim Projekt "Schwabmünchen 5" alles nach Plan, steht spätestens Ende Januar fest, ob die Sandstein-Formation im Untergrund ölhaltig ist. Bei Wintershall gibt man sich optimistisch. Die Gegend südlich von Augsburg ist seit gut drei Jahrzehnten Ölfördergebiet, das größte in Bayern. 1976 stießen Spezialisten ganz in der Nähe bei Großaitingen erstmals auf den fossilen Rohstoff. Seitdem wurden in der Region fast 1,3 Millionen Tonnen Rohöl an die Erdoberfläche gepumpt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso die Ölförderung für den Freistaat ein erträgliches Geschäft ist.

Teuerer Fehlschlag

Die Ölförderung im Wattenmeer ist mindestens drei bis vier Mal so hoch wie in Süddeutschland. Auf dem Bild: Die Bohr-Insel "Mittelplatte" im schleswig-holsteinischen Wattenmeer. (Foto: Foto: dpa)

Weniger Glück hatte dagegen bisher der österreichische Ölkonzern OMV, der gut 50 Kilometer weiter südlich, im Allgäu zwischen Füssen und Kempten nach Erdgas suchte. Zwei Probebohrungen blieben erfolglos, obwohl die geologischen Voruntersuchungen sehr vielversprechend waren. Im Oktober erklärte das Unternehmen auch den zweiten Versuch für gescheitert. Wo im September noch ein 60 Meter hoher Bohrturm in den Himmel ragte, werden schon im nächsten Frühjahr wieder Kühe grasen. Technische Anlagen und Wohncontainer sind abgebaut, das Bohrloch wieder zugeschüttet und versiegelt. Allein der letzte Fehlschlag kostete OMV schätzungsweise bis zu 20 Millionen Euro.

Die Entdeckung einer weiteren Ölquelle bei Schwabmünchen könnte sich für Wintershall als einträgliches Geschäft erweisen. Die Infrastruktur ist bereits vorhanden. Das dämpft die Produktionskosten und garantiert eine hohe Gewinnspanne - ein enormer Vorteil, wenn der Ölpreis wie derzeit ins Bodenlose zu fallen scheint. Am Freitag kostete Öl an den Rohstoffmärkten pro Barrel (159 Liter) zeitweise nur noch 40 Dollar. Wie weit es noch nach unten geht, wagt derzeit angesichts der unsicheren Lage der Weltwirtschaft kaum jemand vorherzusagen.

Nur wenige Kilometer außerhalb von Großaitingen betreibt Wintershall eine Station, in der das Öl aus fünf Bohrlöchern der Umgebung gesammelt wird, direkt neben der Bahnlinie, die Augsburg mit Buchloe verbindet. Nur das Firmenschild am Werkstor gibt einen Hinweis darauf, dass hier Öl umgeschlagen wird. Außer ein paar Leitungsrohren, die aus der Erde ragen und Ölaufbereitungstanks gibt es dort nicht viel zu sehen.

Der Freistaat verdient mit

Auch die Förderstellen auf den Feldern sind für Laien kaum erkennbar. Erst recht, seit die für die Förderung charakteristischen Pferdekopf-Pumpen seltener zum Einsatz kommen. Ihre Arbeit übernehmen inzwischen Tauchkreisel-Pumpen, die leistungsfähiger und kleiner sind. Versteckt in kleinen Kästen, die im Boden eingelassen sind, heben sie sich kaum von der Umgebung ab.

Am Geschäft mit der zähen, schwarzen Flüssigkeit verdient neben Wintershall vor allem das Land Bayern in Form einer Förderabgabe. Die muss jeder zahlen, der Rohstoffvorkommen auf deutschem Boden ausbeutet. Dem Freistaat bescherte dies nach Angaben des Wirtschaftsministeriums 2007 Einnahmen von exakt 400 290 Euro. Bei den Gemeinden bleibt dagegen kaum etwas hängen. "Das Öl auf unserem Grund hat uns nicht reich gemacht", sagt Franz Stellinger, Bürgermeister von Großaitingen, einer beschaulichen Gemeinde mit 4861 Einwohnern.

85 Tonnen pro Tag

Für die kleine Kommune fällt nur eine Gewerbesteuer ab, im niedrigen fünfstelligen Euro-Bereich. Dabei könnte Großaitingen das Geld gut brauchen, etwa für die Sanierung von Straßen und veralteten Wasserleitungen. Seit Jahren kämpft Stellinger dagegen, dass der größte Batzen der Öleinnahmen in der bayerischen Staatskasse landet. Beim früheren Ministerpräsidenten Edmund Stoiber fanden seine Klagen jedoch kein Gehör.

85 Tonnen Öl pro Tag pumpt Wintershall südlich von Augsburg aus der Erde. Jede Woche verlassen etwa 16 Waggons mit der kostbaren Fracht das Firmengelände in Richtung Lingen. Dort wird das Rohöl in der Raffinerie zu Benzin, Diesel, Heizöl und Bitumen für den Straßenbau weiterverarbeitet. Experten loben die gute Qualität des bayerischen Öls. Es gilt als wesentlich leichter und hochwertiger als das vergleichsweise zähe, schwere Rohöl, das in weitaus größeren Mengen in Norddeutschland gefördert wird.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso die Ölförderung im Wattenmeer weitaus teuer ist als zu Lande.

Jeder Meter kostet

Wie hoch die tatsächlichen Förderkosten eines Ölfeldes sind, darüber gibt jedoch kein Produzent gern Auskunft. Branchenkenner schätzen jedoch, dass die Wintershall-Produktion im Raum Großaitingen selbst bei einem Weltmarktpreis von zehn bis fünfzehn Dollar je Fass noch rentabel ist. Die Kosten einer Offshore-Förderung, etwa in der Nordsee, sind im Vergleich dazu wegen des immensen Aufwands deutlich höher.

Das weiß man auch bei Wintershall. Das Unternehmen sucht und fördert seit mehr als sieben Jahrzehnten rund um den Globus Öl und Erdgas. Zusammen mit dem Konkurrenten RWE Dea betreibt die BASF-Tochter die größte deutsche Produktionsstätte im Norden. Das Fördergebiet Mittelplate im Wattenmeer gilt mit Abstand als größte Lagerstätte hierzulande. Zwei Drittel der inländischen Ölreserven sollen hier lagern. Seit 1987 wurden auf der künstlichen Bohr - und Förderinsel im Wattenmeer 22 Millionen Tonnen Öl gefördert. Weitere 30 bis 35 Millionen Tonnen sollen in den nächsten Jahren noch dazukommen.

Mit jedem Liter Öl, der im Wattenmeer aus 3000 Metern Tiefe nach oben geholt wird, steigen die Produktionskosten. Der nachlassende Druck in der Lagerstätte zwingt die Ingenieure, immer mehr Hilfsmittel einzusetzen, um den begehrten Rohstoff aus dem Untergrund herauszuquetschen.

Nur geringe Erfolgschancen

Die Förderung auf See und hohe Umweltschutzauflagen treiben die Kosten zusätzlich nach oben. Mittelplate liegt direkt am Rande eines Nationalparks. Das empfindliche Gleichgewicht des Wattenmeers soll keinesfalls gestört werden. RWE und Wintershall haben hier in den vergangenen 20 Jahren insgesamt 670 Millionen Euro investiert - auch um die strengen Vorschriften zu erfüllen. Mit dem Ergebnis, dass Mittelplate inzwischen zu den modernsten Förderstätten der Welt zählt. Neue Technologien werden hier entwickelt und eingesetzt, die auch andernorts zunehmend gefragt sind. Seit einigen Jahren wird Mittelplate zudem von Land aus angezapft. Die seitlich abgelenkte Produktionsbohrung misst knapp zehn Kilometer und zählt damit zu den längsten weltweit.

Die Förderkosten für eine Tonne Öl sind im Wattenmeer nach Einschätzung von Experten deshalb mindestens drei bis vier Mal so hoch wie etwa in Süddeutschland. Offiziell bestätigen will das allerdings keiner. Ein Sprecher von RWE Dea lässt sich nur so viel entlocken: Bei einem Ölpreis von 50 Dollar lohne sich die Förderung im Wattenmeer noch.

Die Erfolgschance, dass Wintershall in den nächsten Wochen südlich von Augsburg auf Öl stoßen könnte, liegt nach den Worten von Wintershall-Manager Pünnel bei zehn bis zwanzig Prozent. "Ganz genau wissen wir es aber erst, wenn wir unten angekommen sind", ergänzt er - ganz unten, das ist in etwa 2000 Metern Tiefe. Auch Großaitingens Bürgermeister Stellinger erhofft sich in den nächsten Monaten mehr Klarheit. Er will Bayerns neuer Landesregierung zumindest einen kleinen Teil der Ölförderabgaben für die Gemeindekasse abtrotzen. "Horst Seehofer hat hoffentlich mehr Verständnis für unser Anliegen", sagt Stellinger.

Für den Bohrtechniker Kay Bolte ist das Projekt "Schwabmünchen 5" bereits nach wenigen Tagen abgehakt. Die Reisetasche ist gepackt, sein nächster Einsatzort liegt in Ungarn. Dort warten schon die nächsten Ölsucher auf ihn und seine Kollegen.

© SZ vom 06.12.2008/ld/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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