Nach Skandalen:Thyssen-Krupp bietet Angestellten Amnestie an

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Der Stahlkonzern Thyssen-Krupp sucht die Whistleblower - und bietet ihnen Amnestie an. Vom Schienenkartell bis zum Autoblechkartell ließ sich das Unternehmen einiges zu Schulden kommen. Jetzt sollen Mitarbeiter illegale Absprachen melden. Dafür drohen ihnen dann keine Konsequenzen - zumindest nicht von Seiten des Unternehmens.

Von Caspar Busse und Klaus Ott

Als Staatsanwälte und Wettbewerbshüter vor knapp zwei Jahren den Stahlkonzern Thyssen-Krupp wegen eines Schienenkartells zu Lasten der Deutschen Bahn urchsuchten, packte ein Manager aus der dritten Reihe umgehend aus. Er erzählte der hauseigenen Compliance-Abteilung, angeblich auf Druck eines Vorstands, was er von den illegalen Machenschaften wusste. Später bezeichnete der Manager genau das als größten Fehler seines Lebens. Lange Zeit sah es nämlich so aus, als hänge Thyssen-Krupp die sogenannten Kleinen und lasse die Großen laufen. Mehr als zehn Mitarbeiter und Manager, vor allem aus der mittleren Ebene, wurden gefeuert und teilweise auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt. Vorstände hingegen kamen glimpflich davon - bisher.

Jetzt will Thyssen-Krupp offenbar endgültig reinen Tisch machen und hart durchgreifen - mit allen Konsequenzen. Anders kann die jüngste Meldung aus Essen nicht verstanden werden: Thyssen-Krupp startet ein Amnestieprogramm für Mitarbeiter in aller Welt. Wer bis zum 15. Juni über nicht verjährte Kartellverstöße und Korruptionsfälle "freiwillig, wahrheitsgemäß und umfassend" aussage und bei der Aufklärung uneingeschränkt kooperiere, werde nicht entlassen und nicht mit Schadenersatzansprüchen überzogen, die in manchen Fällen ja durchaus den persönlichen Ruin bedeuten könnten. Nur strafrechtliche Vorwürfe seien davon ausgenommen. Das Amnestieangebot gelte nicht für Vorstandsmitglieder, Spartenvorstände und weitere Spitzenmanager, etwa Geschäftsführer von Tochterunternehmen, hieß es.

Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang: Eine Amnestie für Mitarbeiter, die sich gesetzeswidrig verhalten haben - das haben bisher erst wenige Unternehmen umgesetzt. Siemens beispielsweise hat einen solchen Weg zur Bewältigung seiner internen Korruptionsaffäre gewählt. Thyssen-Krupp hat derzeit nicht nur mit hohen Milliardenverlusten, unter anderem durch den Bau zweier riesiger Stahlwerke in Brasilien und Alabama, zu kämpfen, sondern auch mit einer ganzen Reihe von internen Skandalen. So wurden etwa Kartellverstöße beim Verkauf von Aufzügen und Rolltreppen aufgedeckt und geahndet. Schienen wurden in Absprache mit Wettbewerbern zu überhöhten Preisen an die Deutsche Bahn geliefert - den Fall brachte übrigens der Konkurrent Voestalpine als Kronzeuge ins Rollen. Das Bundeskartellamt geht zudem dem Verdacht auf Kartellabsprachen bei der Lieferung von Autoblechen an die Pkw-Industrie nach. Es drohen weitere hohe Strafen. Bisher wird der Schaden schon auf eine halbe Milliarde Euro taxiert.

Der seit zwei Jahren amtierende Vorstandschef Helmut Hiesinger, 52, will nun ganz genau wissen, was früher in der Chefetage geschah. Er will mit dem Amnestieangebot eine Zäsur setzen und einen Selbstreinigungsprozess in Gang bringen. Das Problem: Noch immer agieren in einigen Unternehmensbereichen alte Seilschaften. Der Vorstand will diese zerschlagen, einzelne Mitarbeiter sollen auspacken, weil sich daraus für sie persönlich Vorteile ergeben könnten. Dabei wird es sich vor allem um die alten, bereits bekannten Fälle handeln. Aber es werden möglicherweise auch ganz neue Tatbestände auf den Tisch kommen. Der Druck wird dadurch noch erhöht, dass ein Ombudsmann eingesetzt wird. An den können sich aussagewillige Mitarbeiter wenden - auch mit anonymen Angaben. Außerdem werde die interne Compliance-Organisation nun durch die Rechtsanwaltskanzlei Noerr verstärkt, teilte der Konzern mit.

Der Imageschaden durch bisher bekannt gewordene Verstöße sei bereits "gewaltig", deshalb müsse nun etwas geschehen, begründete das Unternehmen am Dienstag die neuen drastischen Maßnahmen: "Trotz erheblicher Anstrengungen, eine gemeinsame Vorstellung von Werten zu vermitteln, wurden in der letzten Zeit wiederholt schwere Compliance-Verstöße festgestellt."

Neue Devise: Null Toleranz

Seit Monaten geißelt Hiesinger, der vor mehr als zwei Jahren von Siemens zu Thyssen-Krupp gekommen war, mit immer schärferen Worten die alten Denkweisen und Praktiken im Konzern und fordert einen Kulturwandel. Er will mehr Offenheit, mehr Transparenz, mehr Souveränität, keine blinde Gefolgschaft mehr. Er will das überkommene System von Privilegien abschaffen und mehr Kritik gelten lassen. Früher habe diese den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllt, sagte Hiesinger vor kurzem: "Es ist über die Jahre ein Unternehmen entstanden, das in der aktuellen Aufstellung nicht wettbewerbsfähig funktioniert." Das wolle er ändern. Hiesinger setzt auf Null Toleranz, doch er kommt nicht so schnell voran wie erhofft.

Auffällig ist der Zeitpunkt für das Amnestieprogramm - nämlich im Monat Eins nach dem Rückzug von Gerhard Cromme. Der langjährige Aufsichtsratschef, der einst die Fusion der Stahlkonzerne Thyssen und Krupp betrieben und das Unternehmen stark geprägt hatte, musste sich im März auf Druck von Berthold Beitz zurückziehen. Der 99-Jährige führt die Krupp-Stiftung, mit 25,3 Prozent der bestimmenden Aktionäre bei Thyssen-Krupp. Beitz hat damit noch immer den entscheidenden Einfluss auf das Traditionsunternehmen. Der Patriarch hatte lange - zu lange - zu Cromme gestanden. Als dieser wegen der vielen Affären intern und extern zunehmend in Kritik geriet, verlor auch Beitz die Geduld mit seinem Schützling. Cromme musste seinen Posten als Chef des Aufsichtsrat an den früheren Henkel-Chef Ulrich Lehner, 67, abgeben.

Interessant: Es war Cromme, der einst bei Siemens ein groß angelegtes Amnestieprogramm gut fand. Bei dem von München aus international agierenden Konzern war 2006 ein globales System von schwarzen Kassen und Schmiergeldzahlungen aufgeflogen. Milliardenbeträge versickerten in dunklen Kanälen. Cromme wurde Aufsichtsratschef bei Siemens und profilierte sich als der große Aufklärer. Siemens tat sich - wie Thyssen-Krupp heute - aber schwer, die Mitwisser und Mittäter zum Auspacken zu bewegen - bis der neue, von Cromme angeheuerte Vorstandschef Peter Löscher ein Amnestieprogramm startete, das deutschlandweit zum Vorbild wurde und das nun von Thyssen-Krupp kopiert wird - und zwar nur ein paar Wochen nach dem erzwungenen Abgang von Gerhard Cromme.

© SZ vom 17.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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