Nach dem Brexit-Votum:"Auch Deutschland wird einen hohen Preis für den Brexit zahlen"

Bayerische Motoren Werke AG Unveil Their Latest Mini Automobile

Die Mini-Produktion im alten Morris-Werk in Oxford: Zu den Wirtschaftssektoren, die vom Brexit besonders hart getroffen werden, zählen die Maschinenbau- und Automobilbranche.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)
  • Für die deutsche Wirtschaft steht durch den Brexit einiges auf dem Spiel.
  • US-Großinvestor Georges Soros sagt Europa schwere Zeiten voraus.
  • Deutsche Finanzexperten warnen vor allem vor schädlichen Auswirkungen durch einen langwierigen Trennungsprozess.

Von Karl-Heinz Büschemann

Ob sich die Finanzmärkte wieder geirrt haben? In der vergangenen Woche hatten die internationalen Börsen einen freudigen Aufschwung genommen, weil der Ausstieg der Briten aus der EU abgewendet zu sein schien. Dann kam es anders. Die Befürworter des Brexits siegten und die Börsen gingen auf steile Talfahrt. Demnach kommen besonders harte Zeiten auf die deutsche Wirtschaft und die Volkswirtschaften des Kontinents zu. Die Börsen auf dem Kontinent waren am Freitag stärker abgestürzt als die in London.

Für die deutsche Wirtschaft steht einiges auf dem Spiel. Nach den Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) liefert die deutsche Wirtschaft jährlich Waren für rund 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Etwa 750 000 Arbeitsplätze hingen davon ab. Britannien ist nach Frankreich der größte Importeur deutscher Produkte in der Europäischen Union.

Wenn es rumpelt in der internationalen Wirtschaft, kommt der Kommentar des US-Großinvestors George Soros in der Regel schnell. Der gebürtige Ungar, der einst Milliardengewinne mit Spekulationen gegen das britische Pfund machte und seitdem als Experte für internationale Wirtschaftskrisen gilt, sagt Europa schwere Zeiten voraus: Die weitere Entwicklung auf dem Kontinent werde davon abhängen, wie lange der Abnabelungsprozess der Briten dauern werde.

Die Finanzmärkte, so meint Soros, dürften so lange starken Schwankungen unterworfen sein, wie der lange und komplizierte Prozess des Austritts aus der EU verhandelt werde. Die Folgen für die Realwirtschaft würden vermutlich mit denen der Finanzkrise 2007 bis 2008 vergleichbar sein.

Wolfgang Eder ist kein Finanzspekulant, sondern seit Jahrzehnten ein Mann der industriellen Praxis. Als Chef des österreichischen Stahlkonzerns Voest Alpine erwartet er die Auswirkungen des britischen Austritts in Europa im Wesentlichen im Finanzmarkt und keineswegs bei der Industrie: Der Einfluss werde "nicht allzu massiv sein", glaubt Eder, der auch Chef des Weltstahlverbandes ist. Es gebe stabile wirtschaftliche Beziehungen zwischen britischen und europäischen Unternehmen, "die sich ja nicht einfach in Luft auslösen werden".

Maschinenbau und Automobilbranche dürfte es hart treffen

Dagegen erwarten die Ökonomen der Bertelsmann-Stiftung gravierende wirtschaftliche Einbußen in Europa. Am schmerzhaftesten werde ein Brexit die Briten selbst treffen, sagen sie. Aber dieser Schritt schaffe "eine Situation, in der alle verlieren", sagte Andreas Esche, Leiter des Wirtschaftsbereichs der Stiftung.

Mehr als 50 Prozent des britischen Import- und Exportgeschäfts wickelte England zuletzt mit EU-Mitgliedstaaten ab, sagen die Bertelsmann-Experten. Fallen die durch die EU garantierten Handelsprivilegien weg, verteuern Zölle und andere Effekte den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Zu den Sektoren, die es den Experten zufolge besonders hart treffen wird, zählen die Maschinenbau- und Automobilbranche, aber auch die Pharma- und Chemieindustrie.

Ökonomen erwarten "langen, dreckigen Scheidungsprozess"

"Es gibt nur Verlierer durch einen Brexit", ist auch die Meinung von Marcel Fratzscher, dem Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW in Berlin: "Auch Deutschland wird einen hohen Preis dafür zahlen." Fratzscher fordert daher, die Europäische Union zu vertiefen, die Bankenunion zu vollenden und das Bankensystem grundlegend aufzuräumen. "Dort liegt die größte Verwundbarkeit der Euro-Zone." Der DIW-Chef fordert sogar einen europäischen Finanzminister, der in die nationalen Haushalte eingreifen dürfe.

ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hält die jetzt anstehenden Gespräche zwischen Großbritannien und der EU für ein Problem: "Es steht ein langer, schwieriger und dreckiger Scheidungsprozess an", befürchtet er. Das wäre für die Konjunktur Gift. Entscheidungen über Investitionen würden auf die lange Bank geschoben, Verbraucher die Konsumausgaben zurückfahren. Wer gibt schon Geld aus, wenn er nicht weiß, ob er morgen noch im Job ist?

Aus diesem Grund wünscht sich auch der neue Chef des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest ein schnelles Ende der Verhandlungen, "damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibt".

Der DIHK hält sich mit Schätzungen über die Folgen in der deutschen Wirtschaft zurück, er rechnet aber wegen des bevorstehenden EU-Austritts von Großbritannien mit schwierigen Zeiten für die britische Wirtschaft, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Briten und Kontinentaleuropäer werden leiden

Der Verbandsmann betonte das "massive Interesse" der Wirtschaft am Zusammenhalt Europas. Besonders deutsche Unternehmen seien auf den Binnenmarkt angewiesen und legten Wert auf die Geschäftsbeziehungen zu den britischen Kunden. "Sie verdienen dort gutes Geld, sie haben dort gute Zulieferer", sagte Wansleben.

Unter Managern oder Wirtschaftsforschern gibt es auch Hoffnungen auf positive oder weniger negative Effekte. So glaubt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität in Duisburg, nur an geringe Auswirkungen des Brexits auf die Autoindustrie. Der Weltmarkt für Autos laufe auch nach dem Brexit weiter relativ stabil. Die deutschen Autokonzerne müssten sich nicht auf gravierende Verwerfungen einstellen.

Auch wenn selbst Experten nicht vorhersagen können, was genau passieren wird. Die Börsen haben am Freitag gezeigt, dass Briten wie Kontinentaleuropäer gleichermaßen unter dem Brexit leiden werden. Die Londoner Börse und der Dax haben am Freitag so viel Verluste erlitten, dass es für diese Einschätzung reicht.

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